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„Asylkritiker“ oder „Rassist“?

„Asylanten“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Rassisten“, „Nazis“ - die Debatte über Flüchtlingspolitik in Deutschland ist auch ein Streit mit Worten. Sprachwissenschaftler warnen vor Verharmlosungen.

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© dpa

Julia Kilian

Berlin. Für manche ist das Unwort des Jahres schon gefunden. „Ganz klar: #Asylgegner“, schreibt ein Nutzer bei Twitter. Im sächsischen Freital etwa protestieren Menschen gegen Flüchtlinge in der Nachbarschaft. Angriffe auf Asylbewerber mehren sich. Wer hinter diesen Protesten steckt? „Asylgegner.“ Liest man oft.

Über die Bedeutung dieses Worts wird derzeit diskutiert. „In die Berichte über brennende Flüchtlingsheime hat sich ein neuer, vermeintlich neutraler Begriff geschlichen“, heißt es in einem Kommentar bei „Zeit Online“. „Der fremdenfeindliche Mob heißt nun „Asylkritiker““. Auch für den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch nehmen die „-gegner“ und „-kritiker“ überhand: Islamkritiker. Flüchtlingskritiker. Asylkritiker.

Seiner Meinung nach sind das verharmlosende Ausdrücke. „Die verschleiern etwas, was nicht verschleiert werden soll“, sagt der Forscher von der Freien Universität Berlin. Stattdessen müsse man - etwa bei Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte - von Rechtsextremen oder Rassisten sprechen. Das falle vielen aber schwer.

Und dafür sieht er mehrere Gründe. „Es ist einfach zu sagen: „Das sind Asylgegner““, sagt Stefanowitsch, der sich mit politischer Sprache beschäftigt. Man müsse nichts weiter erklären. Und man könne sich davor drücken, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es vielleicht doch ein rechtsextremes Problem gebe. Man habe auch Angst vor Pauschalisierungen. „Man fragt sich: „Bin ich zu polemisch?““

Wer protestiert eigentlich wogegen?

Die Debatte beschreibt ein Problem, das schon bei der Pegida-Bewegung aufgefallen ist: Es ist nicht immer klar, wer wogegen protestiert. „Definieren Sie bitte „Asylgegner“. Auch Sprache kann beschönigen“, fordert ein Nutzer bei Twitter. Gehen dort wirklich „besorgte Bürger“ auf die Straße, die Fragen haben? Oder gefestigte Rassisten? Oder gar Neonazis?

Annette Trabold vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim warnt vor Pauschalisierungen. „Die Gefahr besteht ja, dass man Leute in Schubladen packt und abwertet“, sagt sie. Wichtig sei, dass man sich sehr genau die Motive der Menschen anschaue. Sprache ist oft ein heikles Thema, das zeigen zum Beispiel auch Debatten über Gleichberechtigung von Mann und Frau, Herkunft oder Sexualität.

Und um Sprache wird gekämpft. Etwa in den 1990er Jahren, als Deutschland schon einmal vor großen Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik stand. Ist es übertriebene Political Correctness, neue Wörter zu suchen? Nein, meint Trabold. Sprache schaffe Bilder in den Köpfen. „Mein Eindruck ist, dass die Debatte über Sprache in den 90er Jahren ausgeprägter war“, sagt Trabold.

„Wirtschaftsflüchtling“ ist verlockend einfach

Damals sei oft von „Asylanten“ gesprochen worden. Die Endung -nt sei nicht besonders freundlich. Man denke an Querulant, Simulant. Heute sagt auch der Duden, Asylant werde „gelegentlich als abwertend empfunden“. Für den Forscher Stefanowitsch gibt es viele Kampfbegriffe in der Flüchtlingsdebatte. „Wirtschaftsflüchtling“ etwa beschreibe nicht, dass die Menschen oft aus absoluter Armut fliehen.

Medien und Politikern rät er, auf die Wörter „Asylkritiker“ und „Asylgegner“ zu verzichten. Sie seien nicht präzise und führten dazu, dass Menschen, die eine klarere Sprache nutzten, als Populisten bezeichnet würden. Er warnt aber auch vor anderen Pauschalisierungen. Es sei gut, zweimal über Begriffe wie Rassist oder Nazi nachzudenken. Aber wenn man zu dem Entschluss komme, solle man die Wörter nutzen.

Auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) wird in ihrer Berichterstattung über Proteste und Angriffe gegen Flüchtlinge künftig nicht mehr von „Asylgegnern“ oder „Asylkritikern“ schreiben. „Das sind missverständliche Begriffe, die den tatsächlichen Sachverhalt verschleiern und beschönigen“, sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann. Stattdessen sollten in jedem Einzelfall die Demonstranten und Angreifer sowie deren Motivation so konkret wie möglich beschrieben werden. „Und wenn wir einen übergreifenden Begriff für die Gesinnung brauchen, die zu diesen Formen des Protestes führt, wird es am ehesten „Fremdenfeindlichkeit“ sein.“ (dpa)