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Arbeitsplatz mit Rockzipfel

In Pieschen können Eltern Büroplätze nebst Kinderbetreuung mieten. Das soll bald in ganz Dresden möglich sein.

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© Sven Ellger

Von Sophie Arlet

Stefanie Hopfe steckt gerade in der Endphase ihrer Doktorarbeit und braucht volle Konzentration. Lydia ist 14 Monate alt und braucht die Mama. Die Lösung haben beide in der Großenhainer Straße 98 gefunden. Dort betreibt der Rockzipfel e.V. ein Eltern-Kind-Büro.

Das besteht aus einer Wohnung, die so auch eine Tagesmutter einrichten würde. Während Stefanie Hopfe in den Tiefen der Mikrobiologie versinkt, ist ihre Tochter nebenan im Spielzimmer. Und an Tagen, an denen das kleine Mädchen den Rockzipfel seiner Mutter gar nicht loslassen will, setzt die sich einfach mit dem Laptop daneben. Derzeit haben sich acht Eltern mit ihren Kindern in Pieschen eingemietet. Abwechselnd passen sie auf die Kinder auf oder arbeiten. Mittags wird zusammen gekocht und gegessen. „Zu Hause könnte ich überhaupt nicht arbeiten“, sagt Hopfe.

Die Mikrobiologin teilt sich die Elternzeit mit ihrem Mann und arbeitet zwei Tage pro Woche am Helmholtz-Zentrum in Rossendorf. Davon absolviert sie einen Tag in Heimarbeit beziehungsweise im Eltern-Kind-Büro. Das Angebot richtet sich an Studenten, Wissenschaftler oder Freiberufler, die mit Laptop und Handy arbeiten können und Elternzeit und Beruf verbinden möchten. Manche Eltern kommen aber auch einfach, weil sie einmal pro Woche in Ruhe ihre E-Mails lesen möchten – mit Baby werden selbst die alltäglichsten Dinge zum organisatorischen Mammutprojekt.

Für 80 bis 140 Euro monatlich können Eltern zwei bis fünf Tage pro Woche in die Großenhainer Straße kommen. Die Kinder sollten im Alter zwischen sechs Monaten und drei Jahren sein. Für Hopfe ist es eine Zwischenlösung. Sie will ihr Kind noch nicht so zeitig woanders betreuen lassen, möchte aber trotzdem mit der Promotion vorankommen. Mittlerweile ist sie die Vorsitzende vom Dresdner Rockzipfel e.V. Der hatte sich 2014 gegründet.

Die Idee stammt aus Leipzig und wird inzwischen auch in Berlin, München, Hamburg und Hannover umgesetzt, in unterschiedlichen Formen. In Hannover werden die Kinder von professionellen Tagesmüttern betreut. Die Beiträge sind die gleichen wie bei städtischen Einrichtungen. Wer ein geringes Einkommen hat, bekommt einen Zuschuss von der Stadt. In Berlin befinden sich die Büroräume direkt neben einer Kita. Arbeitende Mütter haben so die Möglichkeit, konzentriert zu arbeiten und zwischendurch ihre Kinder zu stillen.

In Hamburg, München und Leipzig wechseln sich die Eltern bei der Kinderbetreuung ab. Ihnen geht es nicht in erster Linie darum, acht Stunden ungestört arbeiten zu können. „Für mich geht es auch um die sozialen Kontakte“, sagt Stefanie Hopfe. Und um Spielkameraden für ihre Tochter. Wenn die Promotion geschafft ist, will sie wieder voll in den Beruf einsteigen und eine Tagesmutter suchen. Andere nutzen die Elternzeit, um sich selbstständig zu machen. So ist im Rockzipfelbüro bereits veganer Lippenbalsam erfunden worden. Der Verein ist finanziell auf sich allein gestellt. Miete und Ausstattung werden über die Elternbeiträge finanziert. Darüber hinaus sind die Mitglieder immer wieder auf Geld- und Sachspenden angewiesen.

In Zukunft könnte das Konzept auch in anderen Dresdner Stadtteilen umgesetzt werden. Der Jugendhilfeausschuss hat Mitte Mai auf Antrag von Linken, Grünen und SPD 120 000 Euro bewilligt. Davon wird für zwei Jahre eine Mitarbeiterin bezahlt, die aus der Rockzipfel-Idee ein Modellprojekt machen soll. Ziel ist es, Eltern den Berufsabschluss beziehungsweise beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern.

„In Zusammenarbeit mit dem Sozialamt werden die Standorte für die neuen Eltern-Kind-Büros ausgewählt werden“, sagt Claudia Creutzburg, die für die KulturLeben UG das Modellprojekt auf den Weg bringt. Wichtig sei, dass Eltern aus allen gesellschaftlichen und sozialen Schichten der Zugang zu einem Eltern-Kind-Büro ermöglicht wird. „Für Frauen, die sich vor der Geburt eines Kindes in einer prekären Arbeitssituation befanden, ist der Wiedereinstieg in den Beruf schwierig“, so Creutzburg.

Das gelte besonders für Alleinerziehende, denen schlicht die Zeit und Kraft für die berufliche Zukunftsplanung fehlt. In Dresden ist der Trend steigend. Haben sich 2007 11 000 Mütter oder Väter allein ums Kind gekümmert, waren es 2016 fast 12 900. Knapp 5 000 von ihnen beziehen Hartz IV. Sie sollen durch Eltern-Kind-Büros eine berufliche Perspektive bekommen.

Die Rockzipfler haben noch Plätze frei und würden sich über Interessenten freuen. Am 15. Juli feiern sie ihr Sommerfest. Am Nachmittag können sich Eltern die Räume ansehen und mit den Vereinsmitgliedern ins Gespräch kommen.