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Anzeige nach „Reichsbürger“-Lesung

Vor und nach der Veranstaltung in Bautzen gab es Drohungen und Beschimpfungen.

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© André Schulze

Von Jens Fritzsche

Bautzen. Die Lesung zum Thema „Reichsbürger“ Mitte vergangener Woche im Bautzener Landratsamt könnte ein juristisches Nachspiel haben. Der Veranstalter – die sächsische Landeszentrale für politische Bildung – hat bei der Polizei Anzeige wegen Bedrohung gestellt.

Bereits im Vorfeld hatte es Warnungen aus Recherche-Netzwerken gegeben, die sich mit der „Reichsbürger“-Szene befassen. Und es gab offene Drohungen. So habe ein einschlägig bekannter „Reichsbürger“ aus der sächsischen Szene angekündigt, die Veranstaltung „sprengen“ zu wollen, so der Sprecher der Landeszentrale Thomas Platz.

Warnung vor der Verharmlosung der Szene

In Bautzen hatte der Autor Tobias Ginsburg aus seinem Buch „Die Reise ins Reich“ gelesen. Er hatte sich monatelang unter falschem Namen in der Szene bewegt. Begleitet wurde der Abend vom Politologen Jan Rathje. Er warnt seit Langem vor allem vor einer Verharmlosung der Szene. „Sie werden ja oft als Spinner abgetan – aber die Szene ist im Kern antisemitisch und rechtsextrem“, sagt er. „Reichsbürger“ behaupten, die Bundesrepublik sei eine ferngesteuerte GmbH und das Deutsche Reich habe nie aufgehört zu existieren. Nicht zuletzt hängen sie der Theorie einer „jüdischen Weltverschwörung“ an; das Judentum habe weltweit die Macht …

Hitzige Wortgefechte und Beschimpfungen

Am Einlass vorm Landratsamt war es zunächst zu einigen hitzigen Wortgefechten und Beschimpfungen gekommen – denn aus Sicherheitsgründen hatte die Landeszentrale Besucher gebeten, sich im Vorfeld per Mail anzumelden. Das sollte verhindern, dass es zu Störungen während der Veranstaltung kommt, so der Sprecher. Einige Besucher waren dennoch ohne Anmeldung da. In einem Fall hatte ein Mann aus Bautzen zudem insgesamt sechs Personen angemeldet, allerdings keine Namen genannt. Auch eine Drehgenehmigung für einen Fernsehsender hatte er beantragt. Auf eine Nachfrage-Mail der Landeszentrale – verbunden mit der Bitte um namentliche Anmeldung seiner Begleiter – hatte er allerdings nicht mehr geantwortet, „und er konnte vor Ort weder einen Journalistenausweis vorlegen, noch gibt es den Sender noch“, begründet Thomas Platz, warum dem Mann samt Begleitern letztlich der Zutritt verwehrt worden war. „Daraufhin war es zu verbalen Bedrohungen gekommen.“

Nach der Veranstaltung war es zu weiteren Einschüchterungsversuchen gekommen, so Platz. Mehrere Personen hätten mit einem Auto provokativ den Veranstaltungsort umkreist. Auch das wurde bei der Polizei angezeigt. Einige Besucher der Lesung berichten in sozialen Netzwerken zudem, aus Autos heraus fotografiert worden zu seien. Mittlerweile gibt es im Internet auch Videos, gedreht von den Kritikern der Veranstaltung.

Reichsbürgerszene in Sachsen wächst

Bautzen ist dabei offenbar kein Einzelfall. Am folgenden Tag hatte die Landeszentrale eine ähnliche Veranstaltung in Chemnitz organisiert. Hier war ein Mitarbeiter im Anschluss auf dem Heimweg von Unbekannten über 30 Kilometer per Auto verfolgt worden, beschreibt Thomas Platz. Offenbar sollte die Adresse des Mitarbeiters ausgekundschaftet werden.

Im jüngsten Verfassungsschutzbericht für den Freistaat Sachsen wird die „Reichsbürger“-Szene jedenfalls als aggressiv und zum Teil gewaltbereit eingeschätzt. Auch, wenn es sich bisher noch um einzelne Vertreter handelt, so die Verfassungsschützer. Aber diese dürfe man nicht unterschätzen, heißt es. Im Oktober 2016 hatte ein „Reichsbürger“ in München bekanntlich einen Polizisten erschossen. Die Szene in Sachsen wachse stetig. Aktuell gehen die Behörden von rund 1.500 „Reichsbürgern“ aus, etwa 120 davon im Landkreis Bautzen.