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Antiquitäten in der alten Mühle

In der Bienertmühle lassen sich Händler nieder. Einer gibt nicht nur seiner Ware eine besondere Bühne.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Heute genießt Steve Schneider seine Pause in den 30er-Jahren. Einfach mal Platz nehmen, in Stühlen, die der Architekt Mies von der Rohe vor knapp 90 Jahren entwarf. Oder lieber doch die 50er-Jahre? Findet er da mehr Ruhe? Kein Problem. Die groben Sitzmöbel mit Lederbezug in dänischem Design stehen gleich neben der Sitzgruppe aus den 30ern. Steve Schneider wandelt zwischen den Jahrzehnten. Sein Arbeitsplatz ist ein Streifzug durch die Geschichte, die Architekturhistorie und verschiedene Design-Epochen. Der 38-Jährige handelt mit Antiquitäten. Vor zwei Jahren ist der Restaurator mit seinem Laden und der Werkstatt in der Bienertmühle angekommen. Nun bereichert sein Geschäft „Blickzurück“ den bunten Mix aus Künstlern, Händlern, Büros und Selbstständigen, die den alten Industriekomplex direkt an der Weißeritz in Plauen neu beleben.

Dabei ist es eher die Mühle, die den Händler inspiriert. Schon als er das erste Mal in den Räumen gestanden hatte, war da dieser Reiz. „Daraus muss man etwas machen“, hatte er damals gesagt. Die Mischung aus groben Betonwänden, Metallträgern und der Eisentreppe, die noch immer an Bienerts Zeiten erinnert, sollte Kulisse sein für seine Waren. Das sind nicht nur Möbel. Steve Schneider handelt mit historischen Brillenfassungen, die er mit neuen Gläsern versieht. Bei ihm gibt es Schmuck, alte Holzkisten, eine Kirchenbank und Skulpturen. Und er hat alte Radios, die ein ausgebildeter Rundfunkmechaniker wieder zum Laufen bringt. „Mit richtigen Knöpfen zum Drehen“, sagt er. Ohne Fernbedienung. Dafür mit richtig gutem Klang. Auf solch einem Radio lässt er keine Popmusik laufen. „Damit hört man guten Jazz“, sagt er.

Viele der Stücke sind Raritäten. So der Sessel, der einst dem Schriftsteller Martin Andersen Nexö gehört hat. Oder die Reisekisten aus Holz, in denen die Ersatzteile für das legendäre Motorrad Gilera 500 transportiert wurden. Und eins der allerersten Radios der Marke Braun SK4, Schneewittchensarg genannt. „Die Mutter Oberin des Produktdesigns“, schwärmt Steve Schneider. Um an diese Schätze zu kommen, arbeitet er mit Händlern in ganz Europa zusammen. Viele der Stücke restauriert er selbst. Eine Restauratorin für Gemälde hilft ihm ebenfalls.

Sammler, Kenner und Museen auf der ganzen Welt gehören zu seinen Kunden. Deshalb handelt der Löbtauer auch im Internet. Kunden kommen aus Korea, Israel, Australien und den USA. Am liebsten mag er aber die Menschen, die in seinen Laden in der Bienertmühle kommen. Dann kann er die Geschichten zu den Dingen erzählen. Zu jedem kennt er eine. Zum Beispiel zu der klobigen Kommode aus Nussbaumholz, die er von einer alten Dame bekam. Sie hatte im Pflegeheim gelebt. Nur die Kommode hatte sie mitnehmen wollen. Die war zwar zu groß für das kleine Zimmer im Heim. Getrennt hat sie sich nie davon. Bis zum Tod. Eine traurige Geschichte.

Eine Treppe wie zu Bienerts Zeiten

Es ist ein Möbelstück, für das der richtige Kunde kommen muss. Nicht, weil es dem Händler schwerfällt, Dinge wegzugeben. Das sei kein Problem, sagt er. Er kauft schöne Dinge, pflegt sie, zeigt sie, handelt mit ihnen. Das ist sein Geschäft. Und trotzdem verkauft Steve Schneider lange nicht an alle, die etwas bei ihm erwerben wollen. Die Kunden sollen die Dinge schätzen. Sollen ein Möbelstück nicht nur haben wollen, weil es teuer ist und sie es sich leisten können. Der Händler will wissen, dass seine Waren an einen Ort kommen, wo sie gut aufgehoben sind, wo die Geschichte weiterlebt. Klingt kitschig. Manchmal leistet er sich trotzdem genau diesen Luxus.

Mit seinen Räumen will er jetzt auch andere inspirieren. Im Obergeschoss seines Ladens sollen eine kleine Bühne und eine Theke entstehen. Dafür ließ der Vermieter die Räume kürzlich umbauen. Denn für einen regelmäßigen Kulturbetrieb ist ein zweiter Zugang notwendig, der auch als Rettungsweg dient. Mithilfe der Kreativraumförderung der Stadt konnten ein Durchbruch geschaffen und eine zweite Metalltreppe eingebaut werden. Die ist zwar erst einige Wochen alt, sieht aber aus, als ob es sie auch schon zu Bienerts Zeiten gegeben hat. Die Details müssen stimmen – das ist Steve Schneider wichtig.

Schon arbeitet er am Veranstaltungsplan. Ein Kreativraum soll entstehen. Ein Platz für Kultur und Kleinkunst, den es so in Plauen kaum zu finden gibt. Zum Mühlentag zu Pfingsten soll es zwei Lesungen geben. Mit dem Künstler Markus Lange bereitet er eine Ausstellung vor. Auch mit dem nahen Gymnasium Plauen soll es gemeinsame Kulturprojekte geben. Ab dem Spätsommer ist zudem ein regelmäßiges Theaterprogramm geplant.

Dafür arbeitet der Antiquitätenhändler mit dem Schauspieler Andreas Pannach vom Mittelsächsischen Theater Freiberg Döbeln zusammen. Der will neue Stücke für die kleine Bühne schreiben und inszenieren. Ende August soll es die erste Premiere geben. Die eine oder andere Requisite dafür lässt sich sicher in dem Geschäft finden. Der Mix aus Retro und neuen Texten sei sehr inspirierend, sagt Andreas Pannach. Das neue Kulturangebot soll die Mühle und den Stadtteil bereichern. Genauso bereichern, wie eine Pause in den Sesseln aus unterschiedlichen Epochen wirkt.

Termine und Veranstaltungen in der neuen Kulturkulisse gibt es im Internet und auf Facebook.

www.kulturkulisse.de ; www.blickzurück.de