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An der Rolle bleiben

Noch vor ein paar Jahrzehnten haben Steherrennen die Massen begeistert. In Heidenau lebt die Hoffnung auf eine Renaissance.

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© Robert Michael

Von Cornelius de Haas

Wenn Wilfried Kluge über seinen Sport spricht, dann leuchten seine Augen. Auch mit 66 Jahren ist der Heidenauer als Schrittmacher bei Steherrennen im Einsatz. „Das ist eine der ältesten Radsportarten überhaupt“, sagt er und schwelgt in der Geschichte. „Schrittmacher waren Anfang des 20. Jahrhunderts die reichsten Männer der Szene. Sie reisten mit dem Flugzeug zu den Rennen an und konnten ihren Preis selbst festlegen. Für uns geht es eigentlich nur noch um den Spaß an der Sache.“

Den will Kluge am Sonntag auch auf seiner Hausbahn haben. Ab 14 Uhr steht der Herbstpreis der Steher und das Derny-Championat der Frauen auf dem Programm. Bei beiden Rennen versuchen die Rennfahrer, den Windschatten der vorausfahrenden Motorräder zu halten. „Steherrennen sind allerdings schwieriger“, sagt Kluge und erklärt: „Man muss mit seinem extra versteiften Fahrrad an der Rolle, die sich am Ende der Schrittmachermaschine befindet, dranbleiben, um den perfekten Windschatten zu finden.“ Womit auch geklärt ist, woher das Wortspiel „von der Rolle sein“ stammt.

Beim Derny fehlt die Rolle dagegen. „Dort fährt man mit einem normalen Rennrad hinter der Maschine her“, so Kluge, der als Schrittmacher Mitte der 1990er-Jahre einen Tschechen zum Titel führte und damit selbst Meister wurde.

Auf der 1927 eröffneten Heidenauer Bahn wird am Sonntag auch Kluges Vereinskollege Udo Becker am Start stehen. Der 46-Jährige ist während der von Mai bis September laufenden Saison fast jedes Wochenende als Schrittmacher unterwegs. Ob er Vertreter einer sterbenden Sportart ist? Das will Becker zumindest nicht bestätigen. „Es sieht vielleicht danach aus, aber ich hoffe, dass sich das wieder ändert. Denn es ist nach wie vor eine sehr spektakuläre Veranstaltung.“

Acht Gespanne – darunter auch der amtierende Europameister Franz Schiewer aus Cottbus – fahren um den Sieg, auf der Bahn wird es da schnell eng. „Maximal drei Paare dürfen nebeneinander fahren. Wenn ich als Vierter vorbei will, muss ich erst einmal warten“, sagt Becker. „Die Taktik ist so wichtig wie in der Formel 1.“ Das erklärt auch, warum es bei Steherrennen immer auf beide ankommt. „Der Schrittmacher sieht die Lücken, der Steher muss folgen.“

Früher war das Spektakel ein Besuchermagnet, verunglückte Fahrer erhielten nicht selten Staatsbegräbnisse. Auch in der DDR war der Sport beliebt. „Aber nach der Wende ging es bergab“, erzählt Kluge wehmütig. „Auch wenn sich der Trend schon zum Ende der DDR andeutete. Ich hatte aber gehofft, dass wir die Kurve bekommen.“ Seine Erklärung: „Es wurde danach immer mehr auf die olympischen Sportarten gesetzt.“

Doch die Hoffnung auf eine Zukunft der Steherrennen lebt. Beim SSV Heidenau werden 2019 drei Nachwuchsfahrer als Steher aktiv sein. „Wir haben den Vorteil, dass wir eine Bahn und passende Räder haben – und der SSV eine Jugendabteilung“, sagt Kluge. „Die Jugendlichen sehen uns regelmäßig und können sich so für den Sport begeistern. Ausüben dürfen sie ihn aber erst, wenn sie 18 Jahre alt geworden sind.“

Dass die Rennen noch immer ihr Publikum ziehen können, war am vergangenen Wochenende in Forst zu erleben. „Da kamen 3 000 Zuschauer“, berichtet Becker. In Heidenau hofft man am Wochenende auf einen ähnlich guten Zulauf.