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Altenpfleger dringend gesucht

Ein Seniorenheim in der Johannstadt braucht neue Mitarbeiter. So geht es der ganzen Branche.

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© Christian Juppe

Von Julia Vollmer

Zwölf Stunden lang saß sie an seinem Bett. Zwölf Stunden, in denen sie sich kaum traute, den Raum zu verlassen, zur Toilette zu gehen. In den längst fälligen Feierabend gehen? Das konnte Stefanie Schubert nicht. Als es auf die 13. Stunde zuging, übermannte sie dann doch die Erschöpfung. Sie holte ihre Jacke, schaute noch einmal ins Zimmer. Als hätte ihr Patient nur darauf gewartet, sie noch einmal zu sehen, schloss er in diesem Moment die Augen für immer. „Wenn ein Heimbewohner stirbt, ist es wichtig, darüber zu reden,“, erzählt Stefanie Schubert. Die examinierte Altenpflegerin arbeitet als Wohnbereichsleiterin in der Johannstädter Residenz Pro Seniore.

2006 machte sie ein Schülerpraktikum bei der Leiterin Carola Lindner-Shuinjo. Nach der Schule absolvierte sie ein weiteres. 2007 begann schließlich ihre duale Ausbildung: Vier Wochen Schule, vier Wochen Arbeit. Sie liebt ihren Job – trotz der Schichten und der harten körperlichen Arbeit. Doch längst nicht alle Schulabgänger haben so viel Lust auf den Beruf Altenpfleger. Deswegen wird nicht nur in der Johannstadt dringend Personal gesucht.

Die Branche kämpft mit einem immer weiter steigenden Mangel an Fachkräften. Das zeigt auch der Blick in die Statistik der Arbeitsagentur. Während es 2007 nur 17 freie Stellen in Dresden gab, sind es aktuell rund 30. Derzeit sind nur neun Altenpfleger arbeitslos, vor zehn Jahren waren es rund 50. Einen Rückgang der Azubis verzeichnet auch Annett Hofmann, Sprecherin des sächsischen Sozialministeriums. Derzeit absolvieren insgesamt rund 4 538 künftige sächsische Altenpfleger eine Ausbildung oder Umschulung. Im Schuljahr 2010 /2011 waren es noch 5 160.

Das bestätigt auch Birgit Bitzer vom Deutschen Berufsverband für Altenpflege. Sie nennt eine Fülle von Gründen, warum sich die Arbeitsbedingungen für Altenpfleger verschlechtert haben und damit das Interesse des Nachwuchses geringer ist. „Eine zunehmende Arbeitsverdichtung bei zu geringer Personaldecke mit sehr hoher psychischer, körperlicher und seelischer Belastung“, beobachtet die Sprecherin. Außerdem würden Zeitdruck, unregelmäßige Arbeitszeiten und viel administrative Tätigkeit die Mitarbeiter extrem fordern. Weiter- oder Fortbildungen seien dringend nötig, würden aber zu selten finanziert. Der Beruf des Altenpflegers erfahre außerdem zu wenig Anerkennung.

Ein großes Problem ist die Bezahlung. „Was die Vergütung anbelangt, gibt es innerhalb der Pflegeberufe eine große Ungleichheit“, so Sabine Karg vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe. So verdienen die Fachkräfte der Altenpflege rund 19 Prozent weniger als die Gesundheits- und Krankenpfleger, so Karg, die sich auf das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beruft. In den ostdeutschen Bundesländern bekommen Altenpfleger fast 30 Prozent weniger als in Westdeutschland. Der Berufsverband appelliert an die Arbeitgeber, die nicht an den Tarifvertrag gebunden sind, für mehr Fairness zu sorgen. Pflegekräfte in Einrichtungen von öffentlichen Trägern profitieren von der Tarifbindung und verdienen mit durchschnittlich 2 660 Euro rund 24 Prozent mehr als in nicht tarifgebundenen Betrieben. In Einrichtungen, die Tarif zahlen, liegen die Einstiegsgehälter bei rund 2 300 Euro und das Gehalt kann auf bis zu 3 200 Euro steigen. „Der Verband ruft Pflegende dazu auf, Gehälter zu verhandeln. Gerade bei gemeinnützigen und privaten Trägern ist dies gut möglich, schließlich sind Pflegende begehrt und werden händeringend gesucht“, betont die Sprecherin.

Das Sozialministerium hat auf die dramatische Situation reagiert und übernimmt seit 2015 im Rahmen einer Förderrichtlinie die Ausbildungsgebühren, die von freien Berufsfachschulen für Altenpflege erhoben werden. „Mit der Förderung soll den zukünftigen Pflegekräften eine hochwertige und interessante Ausbildungsmöglichkeit in einem zukunftsfähigen Berufsfeld geboten werden“, so Sprecherin Hofmann.

Altenpflegerin Stefanie Schubert sieht noch einen Weg: „Die Themen Alter und Tod müssen den Kindern und Jugendlichen viel früher nähergebracht werden, um zu zeigen, wie wichtig Pflegeberufe sind.“