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Als Robotron den Sozialismus glänzen ließ

Der Ein-Megabit-Speicher war der Höhepunkt der Dresdner Mikroelektronik in der DDR. Er ist legendär geworden.

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© Robert Michael

Von Ralf Hübner

Der Ein-Megabit-Speicher hat Geschichte geschrieben. Die DDR bejubelte ihn als Beweis für die Leistungsfähigkeit des Sozialismus. Den Dresdner Wissenschaftlern und Ingenieuren hat er in der Fachwelt Anerkennung eingebracht. Siemens habe unter anderem auch deshalb in eine Chipfabrik in Dresden investiert, das jetzige Infineon-Werk, sagt der ehemalige Chefentwickler des Zentrums Mikroelektronik Dresden (ZMD) und Speicher-Projektleiter Bernd Junghans. Vor 30 Jahren übergaben die Wissenschaftler am 12. September 1988 Staats- und Parteichef Erich Honecker den ersten funktionierenden U61000, wie der Schaltkreis getauft wurde.

Die Geschichte beginnt im Februar 1986, als der damalige Kombinatschef von Carl Zeiss, Wolfgang Biermann, die führenden Köpfe des ZMD nach Jena beordert und ihnen offeriert, dass er künftig bei ihnen das Kommando hat. Die SED-Führung habe das Dresdner Forschungsinstitut in dessen Kombinat eingegliedert. Und er macht klar: Die schwächelnde DDR-Mikroelektronik soll international Anschluss finden. „Die Staatsführung hatte verstanden, dass die DDR kein Industriestaat bleiben könne, wenn sie die Mikroelektronik nicht voranbringe“, erinnert sich Junghans. Immer mehr Branchen wie etwa der exportorientierte Maschinenbau und die feinmechanisch-optische Industrie benötigten dringend moderne elektronische Komponenten, um sich behaupten zu können.

Biermann macht den ZMD-Leuten klare Ansagen. So sollte unter anderem die Pilotfertigung für den Ein-Megabit-Speicher 1989 und die des Vier-Megabit-Speichers 1992/93 beginnen. „Der Ein-Megabit-Speicher war das Flaggschiff. Er sollte ein Signal sein und die Mikroelektronik insgesamt nach vorn bringen“, sagt Junghans.

Um die Sache zu beschleunigen, werden den Entwicklern über das MfS Unterlagen eines japanischen Ein-Megabit-Speichers zugespielt. Doch diese erweisen sich als wenig hilfreich, denn die Dresdner müssen andere Wege gehen und sich mit ihrem Konzept an der technischen Ausrüstung und den Materialien orientieren, die überhaupt zur Verfügung standen. „Die Ausrüstungsindustrie und die Bereitstellung spezieller Materialien hinkten hoffnungslos hinterher. Das hinderte uns, in der ersten Liga der Mikroelektronik mitzuspielen“, sagt Junghans. Eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion soll den Rückstand zumindest abmildern. Rund 100 verschiedene Maschinen wurden gebraucht. Doch nur etwa jede zweite davon konnte in der DDR oder der Sowjetunion beschafft werden. Die anderen gab es nur im Westen und die waren wegen der damaligen Embargo-Politik normalerweise nicht zu haben. Die DDR aber will zunächst ohne illegale Einkäufe im Westen auskommen.

Doch schon die Beschaffung eines geeigneten, speziellen Fotolacks für die Bearbeitung der Schaltkreisstrukturen Schaltkreisstrukturen oder für den Schichtaufbau benötigtes hochreines Silizidmaterial erweist sich als schwierig. Für Orwo-Wolfen etwa ist die benötigte Menge des Fotolacks zu gering, um dessen Entwicklung zu beginnen. Ende 1987 zeigt sich, dass die Sowjets mit zwei wichtigen Komponenten nicht schnell genug fertig werden. Da entschließt sich die DDR dann doch, über dunkle Kanäle Maschinen im Westen zu beschaffen. Nur wissen auch die Einkäufer nicht immer, welche Apparate genau gebraucht werden. Und so müssen viele der Maschinen erst angepasst werden. Am 9. August 1988 schließlich halten die Wissenschaftler die ersten funktionstüchtigen, eigenen Chips in den Händen.

„Abgekupfert, nachgebaut“, urteilt man im Westen geringschätzig. Und dennoch: Schon einen Tag nach der Erfolgsmeldung stehen CIA-Experten bei Siemens in der Tür. Sie mutmaßen eine Mauschelei des Elektronikriesen mit der DDR. Sie hatten deren Wissenschaftlern den Chip nicht zugetraut. Bis Ende 1989 kann ZMD einige zehntausend Speicher an den Computerhersteller Robotron ausliefern. An eine Massenfertigung ist indes nicht zu denken, denn viele der Maschinen für die Produktion sind Unikate.

Das Ziel sei dennoch erreicht worden, resümiert Junghans. „Die DDR konnte den Rückstand zur Spitze von sechs bis acht Jahren auf etwa zwei verkürzen.“ Die Japaner fertigten damals schon den Vier-Megabit-Speicher. „Wir lagen nur noch eine Generation zurück.“ Die jetzige Situation sei der damaligen ähnlich, glaubt der 77-Jährige. „Deutschland und Europa sind der Weltspitze in Asien und den USA etwa sechs bis acht Jahre hinterher.“ Das sei bedenklich. „Es macht uns abhängig.“ Er könne die aktuelle Sorglosigkeit in Politik und Wirtschaft auf dem Gebiet nicht verstehen.