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Als Gastarbeiter gekommen

Tibor Berta kennen in Großenhain viele – er kam 1967 als Fremder und wäre wohl heute ein Einwanderer.

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© Kristin Richter

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Tibor Berta ist das, was man heute einen Einwanderer nennen würde. Nur dass er schon seit 1967 völlig selbstverständlich vorlebt, womit sich die Politik heute schwertut: Das Thema endlich positiv zu besetzen. Dabei hat die Politik den Weg in die frühere DDR für Tibor Berta und jährlich 5000  weitere Ungarn geebnet. „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ nennt sich das Papier zwischen der DDR und Ungarn, das letztlich der DDR Arbeitskräfte in den Kombinaten bescheren sollte und den Ungarn Ausbildung und Einkommen. Denn gedacht war diese „Einwanderung“ nur für drei Jahre in der Zeit von 1967 bis 1985. Der 18-jährige Tibor Berta kam also zunächst als Gastarbeiter. Die Familie war wenig begeistert, der Vater LPG-Vorsitzender, und der hatte andere Pläne. Doch der junge Tibor lernte lieber Landmaschinenschlosser, arbeitete zwei Jahre in Singwitz bei Bautzen und ein Jahr im Fortschrittkombinat Neustadt. „Eine tolle Zeit war das“, sagt er lachend. Überhaupt ist Tibor Berta ein freudiger, offener Mensch, aber auch einer der viel nachdenkt.

In der Gaststätte hat er sich immer zu anderen gesetzt, um deutsch zu lernen, denn als er herkam, sprach er kein Wort deutsch. In Neustadt hat er auch seine Frau Regina kennengelernt – beim Tanzen. Seit 46 Jahren sind beide verheiratet, glücklich, wie Tibor verschmitzt betont. Er erklärt die Bedeutung der ungarischen Worte Mann und Frau als die jeweils Halben, den Verheirateten als „die im selben Haus“ und „Heimat“, wenn die Ehe glücklich ist. Seine Muttersprache ist ihm wichtig. Tibor Berta sagt über sich, er sei „im Herzen Ungar, aber in Großenhain zuhause“. Bis heute ist er ungarischer Staatsbürger. Auch den Eltern war es vielleicht wichtig, dass diese Bindung blieb. Es spielte auch nie eine Rolle im Alltag. Nur einmal, ganz am Anfang der Ehe. Da ist das Paar fast vier Jahre nach Ungarn gezogen, weil der junge Mann noch seine Armeezeit ableisten musste. Danach kamen beide aus dem westlich orientierten Ungarn zurück in die „graue DDR“. Auch so herum wurde also umgezogen. Bereut haben es beide nie. In der Stadt ist Tibor Berta bekannt. Er hat gut 20 Jahre beim Großenhainer Bauhof gearbeitet – seine Rente bekommt er aus Ungarn und Deutschland, jeweils anteilig. Wobei von der ungarischen Minirente noch die hohen deutschen Sozialabgaben abgezogen werden. Tibor Berta lacht. „So ist das eben, jedes Land hat so seine Ideen“, sagt er abgeklärt. Die Bertas sind heute 67 und in Großenhain glücklich geworden.

So wie Tibor Berta leben viele Ausländer mehr oder weniger lange und mit den unterschiedlichsten Lebenswegen in Großenhain. Zum Beispiel auch ein Neuseeländer, zwei Chinesen, ein Brasilianer, ein Mexikaner, drei Briten und zehn Ungarn. Eine Anfrage der Alternativen Liste (AL) im Stadtrat brachte jetzt interessante Zahlen dazu zutage: 2012 lebten 192 Ausländer aus 45 Ländern mit Hauptwohnsitz in Großenhain und 19  849 Deutsche. Im Juni 2018 wurde erneut gezählt. Da waren es 583 Menschen aus 65 Nationen und 18  990 Deutsche. Unter den ausländischen Bürgern befinden sich aktuell 140 Asylantragsteller, während ein weiterer Teil der 583 Eingereisten bereits als Asylsuchende anerkannt sind. Bei zehn Männern und zwei Frauen ist die Herkunft ungeklärt. Der größte Teil der Auswärtigen in Großenhain kommt aber aus Polen (101) wegen der EU-Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt, Syrien (74), Afghanistan (48) und der Russischen Föderation (33). Bei den Asylberechtigten greift jetzt zunehmend die Wohnsitzauflage im Landkreis Meißen – vorher galt die für ganz Sachsen. Das trifft auch bei sämtlichen Familiennachzügen zu.