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Als Christ beiden Konfessionen verbunden

Kaplan Jens Bulisch in Crostwitz ist auch in deutscher und sorbischer Sprache zu Hause.

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© Andreas Kirschke

Von Andreas Kirschke

Crostwitz. Pfingstsonnabend weihte ihn Bischof Heinrich Timmerevers in der Dresdner Kathedrale zum Priester. Am Tag darauf feierte Dr. Jens Bulisch in Crostwitz seine Primiz. „Die Anteilnahme war überwältigend. Viele aus der Pfarrei kamen. Auch etliche Freunde aus meiner Jugendzeit“, sagt er. „Besonders die Crostwitzer Feier zeigte meiner Familie, wie sehr wir hier Heimat finden. Das berührte mich tief und machte mich stolz. Konnte ich doch meinen Freunden von auswärts zeigen, wie schön es hier ist.“ Im Juli schließlich ernannte der Bischof den 46-Jährigen zum Kaplan in Crostwitz. Mit 4 000 Gläubigen ist es die größte sorbisch-katholische Pfarrgemeinde.

„Dass ich hier bin, ist eine gute Fügung“, sagt Jens Bulisch. „Vor allem der frühere Generalvikar Michael Bautz und der frühere Crostwitzer Pfarrer Clemens Rehor begleiteten mich auf meinem Weg.“ In Taucha bei Leipzig wuchs Jens Bulisch auf. Im Proseminar Moritzburg bei Dresden erwarb er das kirchliche Abitur. Direkt in der Wendezeit leistete er seinen Zivildienst auf dem Friedhof in Taucha. In Leipzig und in Kiel studierte er evangelische Theologie. Seine Dissertation schrieb er zum Thema „Die kirchliche evangelische Presse in der DDR“. Mit welchen Zwängen kämpfte sie? Wie stark wirkte die Zensur? Wie weit war kritische Recherche möglich? „All diesen Fragen ging ich nach“, erinnert er sich.

Als junger Seelsorger kam Jens Bulisch nach Bautzen. Er war Vikar in den evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden St. Petri und Gesundbrunnen. 2002 wurde er Pfarrer in der Kirchgemeinde Putzkau/ Schmölln und später Pfarrer in Demitz-Thumitz. Seit 2011 lebt er mit seiner Familie im sorbisch-katholisch geprägten Crostwitz. „Unsere Entscheidung, katholisch zu werden, war Ergebnis reichlicher Überlegungen, Erfahrungen und Begegnungen“, meint er. Die katholische Kirche sei weltumspannend. Sie lege Wert auf die Sakramente. Gläubige erlebten Gottes Wirklichkeit in der Eucharistie. Die sorbische katholische Liturgie sieht er als großen Schatz an. „Ich spüre, wie tief die Menschen hier Glauben leben. Und täglich brauchen. Ich spüre, wie stark Glaube, Sprache und Kultur bei den Sorben eins sind“, sagt Jens Bulisch. „Das ist wie mit einem dreibeinigen Stuhl. Er kippelt nicht und wankt nicht. Fehlt jedoch ein Bein, wäre es kein Stuhl mehr.“

Sorbisch lebt und lernt er im Alltag. Immer tiefer verinnerlicht er die Sprache. Sein Großvater mütterlicherseits stammte aus einer Bauernfamilie in Hochkirch und hatte selbst sorbische Wurzeln. „Als ich Konfirmand war, schenkte er mir seine 150 Jahre alte sorbische Bibel“, sagt der Enkel. Erst Jahre später wurde er sich dieses Schatzes wieder bewusst. Ein Referent redete sorbisch. „Wie weit lebt diese Sprache heute noch? Kann ich sie lernen?“, fragte sich Jens Bulisch. Ende der 1990er-Jahre lernte er am Sorbischen Institut und entdeckte die Sprache als Hobby für sich. „Auf der einen Seite empfand ich die Sprache als etwas Exotisches. Ich war neugierig und gespannt darauf“, erzählt er. „Zum anderen war ich stark geschichtlich interessiert. Ich wollte frühere sorbische Ortsnamen, Flurnamen, mundartliche Wendungen übersetzen und deuten.“

Als Vikar in der St. Petri Gemeinde Bautzen erlebte er sorbische Abendveranstaltungen. An Sonntagen begleitete er den sorbischen Superintendenten Siegfried Albert zu den Gemeindenachmittagen. In Großpostwitz, Klitten, Neustadt/Spree, Schleife und Uhyst/Spree. Dort lernte er vor allem ältere Sorben kennen. Sie wollten ihrem Glauben und ihrer Muttersprache verbunden bleiben. Regelmäßig sprach Jens Bulisch fortan das „Wort zum Tag“ im Sorbischen Hörfunk. Er brachte sich ein im Sorbischen evangelischen Verein. In den Festgottesdiensten der Sorbischen evangelischen Kirchentage begleitete er jetzt öfter die sorbische Liturgie und die Predigt.

„In meiner eigenen Kirchgemeinde wurden die sorbischen Wurzeln leider nur wenig wertgeschätzt“, erinnert er sich. Das hielt ihn und sein Frau Yvonne (39), die als Lehrerin für Französisch und für katholische Religion am Sorbischen Gymnasium Bautzen arbeitet, nicht vom weiteren Lernen ab. Ihre Kinder Heinrich (10) und Margarethe (16) besuchten den Kindergarten in Crostwitz und später die Grundschule in Crostwitz. Heinrich lernt heute in der Sorbischen Oberschule Räckelwitz, Margarethe in der Sorbischen Oberschule Bautzen. „Unsere Kinder sollten zweisprachig aufwachsen“, sagt Jens Bulisch. „Bei manchen sorbischen Familien, die ihre Kinder an deutsche Schulen schickten, löste das Verwunderung aus. Sie fühlten sich kritisiert und herausgefordert. Sie fühlten sich in ihrer Bequemlichkeit angegriffen und in ihrer Identität verletzt.“

In Erfurt und Dresden studierte er katholische Theologie und lernte nach und nach die Crostwitzer Pfarrei näher kennen. Jetzt als Kaplan feiert er mit den Gläubigen die Messe in Sorbisch und in Deutsch. Vornehmlich in Crostwitz, Panschwitz-Kuckau, Räckelwitz und Doberschütz. „Für die Sorben ist Glaube selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens. Volkskirche ist gelebter Alltag. Kirche ist seit Jahrhunderten Kulturträger und Bewahrer. Das berührt mich immer wieder neu“, sagt der 46-Jährige. Und: „Meine Konversion war keine Entscheidung gegen die evangelische Kirche. So bleibe ich beispielsweise weiter Mitglied im Sorbischen Evangelischen Verein.“

Mit Zuversicht und Freude begann er im Sommer seinen Dienst als Kaplan. Sein Primiz-Spruch begleitet ihn täglich auf seinem Glaubensweg. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht“, zitiert er die Bibel. „Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“