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Allein auf der Bühne

Thomas Losch ist deutscher Meister im Rollstuhl-Bodybuilding. Konkurrenz hat er in Deutschland noch nicht.

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© Wikinger.com

Von Michaela Widder

Er schuftet an seinem Comeback. Noch einmal will Thomas Losch auf die Bühne, noch einmal fit werden für Tag X, noch einmal seinen gut eingeölten Körper den Kampfrichtern präsentieren. Dann ist Schluss, sagt der 56 Jahre alte Bodybuilder. Er ist deutscher Meister in einer Disziplin, die erst auf sein jahrelanges Drängen 2015 in Deutschland eingeführt worden ist. Losch sitzt im Rollstuhl, und diesen historischen Titel im Wheelchair-Bodybuilding gewann er konkurrenzlos. „Es gibt höchstens 15 bis 20 Leute, die überhaupt den Sport in Deutschland betreiben“, erklärt er.

Das Streben nach dem perfekt austrainierten Körper und eine körperliche Behinderung scheinen für viele nicht zusammenzupassen. Obwohl Losch auch Zuspruch für seinen Sport erfährt, hat er schon Anfeindungen erlebt und musste sich nicht nur einmal Sätze wie diesen anhören: „Wir wollen eigentlich hübsche, gesunde Athleten auf der Bühne sehen.“

Was aber für den Mann aus dem westfälischen Oer-Erkenschwick in erster Linie zählt, ist seine große Leidenschaft fürs Bodybuilding. „Ich habe mein Handicap zur Stärke gemacht“, sagt er. Losch arbeitet als Personaltrainer und bereitet Kraftsportler auf Wettkämpfe vor. Früher oder später fragen sie ihn, warum er im Rollstuhl sitzt, und er hat kein Problem, dann seine Geschichte zu erzählen.

Motorradunfall mit 19 Jahren

Er ist damals Zeitsoldat bei der Bundeswehr und wie so oft mit dem Motorrad auf dem Heimweg. Nicht unheimlich schnell, wie er meint. Durch Sekundenschlaf verliert er plötzlich in einer Kurve die Kontrolle und kracht in einen Zaun. Tom, wie er von seinen Kumpels genannt wird, ist gerade mal 19, als er am Abend des 21. April 1984 im Krankenhaus erfährt, dass seine Beine gelähmt sind. Bei dem Unfall hat er sich den neunten bis elften Brustwirbel gebrochen. „Die ersten Tage waren nicht lustig“, sagt er. „Dann wurde mir klar: Es ist jetzt alles anders. Das heißt aber nicht unbedingt, dass alles schlecht ist.“

Bei einer Körpergröße von 1,84 Metern wog Losch, ein paar Monate später nur noch 56 Kilo. „Es war schon anstrengend, nur mit dem Rollstuhl durch die Gegend zu fahren.“ Er begann deshalb mit Krafttraining. Die Fitnessstudios waren in den 1980er-Jahren längst noch nicht behindertengerecht gebaut. Andere Mitglieder halfen und trugen ihn zu den Geräten. Als allmählich die Kraft zurückkam, hatte er immer mehr Spaß daran. Auf seinen muskulösen Oberarmen kann er sogar Treppensteigen. 1983 wurde Losch das erste Mal in der Handicapklasse deutscher Meister im Bankdrücken. 100 Kilo schaffte er locker.

„Es ist für einen Rollstuhlfahrer viel schwieriger, Muskelmasse aufzubauen. Der Stoffwechsel funktioniert nicht so gut und man setzt relativ schnell Bauch an“, erklärt er. Viele klassische Grundübungen wie Kreuzheben oder Kniebeuge sind nicht möglich. „Da muss man schon erfinderisch sein und drumherum trainieren.“ Noch mehr als andere Bodybuilder muss Losch deshalb auf seine Ernährung achten. Anabole Steroide, die in der Szene trotz hoher gesundheitlicher Risiken weit verbreitet sind, seien für ihn aber ein absolutes Tabu.

Wie er es geschafft hat, seinen Körper zu stählen, verrät er in Seminaren oder in Internetvideos. Als Rollstuhl-Bodybuilder ist Losch in Deutschland ein gefragter Mann. „Mich schreiben viele an und fragen um Rat. Das war nie meine Prämisse“, sagt er. Aber es sei natürlich schön, anderen Menschen mit Handicap Mut zu machen.

Dabei warfen ihn selbst schwere Verletzungen noch nach seinem Unfall immer wieder zurück. 2006 brachen die Metallplatten im Rücken. 2008 musste er an der Hüfte operiert werden. Und im vorigen Jahr, als Losch eigentlich seine Teilnahme bei der Weltmeisterschaft geplant hatte, erlebte er den nächsten Rückschlag. Zu Hause kippte er mit seinem Rollstuhl um und erlitt dabei ein schweres Trauma an der Halswirbelsäule. „Ich dachte erst, dass es nicht so schlimm ist, aber dann bekam ich Lähmungen im rechten Arm.“

Eine Frage der Einstellung

Wieder verbrachte er Monate im Krankenhaus. Freunde nennen ihn den Pinguin. „Man kann hinfallen“, findet er, „aber man muss immer wieder aufstehen.“ Losch kämpft sich auch durch „depressive Phasen“, wie er zugibt. „Doch ich versuche, mich darauf zu besinnen, was ich kann, und nicht darauf, was ich nicht kann.“

Mindestens zehn Kilo Muskelmasse hat der Hobby-Athlet durch den Sturz verloren. Erst seit Januar kann er wieder vorsichtig trainieren. Wettkämpfe kämen in diesem Jahr noch viel zu früh. Er hadert nicht mit der Situation, sondern sieht darin sogar einen Vorteil. „Es ist auch mal schön, einen Grillsommer zu erleben, ohne extrem aufs Gewicht achten zu müssen.“

Losch denkt nicht nur an sich, die Zukunft seines Sports liegt ihm am Herzen. Er wollte nicht mehr nur Gastauftritte, er wollte sich endlich in einer eigenen Klasse mit anderen Rollstuhlfahrern messen, selbst wenn er in Deutschland bisher noch ohne Konkurrenz ist. Um für Nachwuchs zu werben, ist er auf Messen und Veranstaltungen unterwegs, „Ich könnte nächstes Jahr mit einem besseren Gefühl aufhören, wenn mich ein junger Rollstuhlfahrer von der Bühne fegen würde.“