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Alle fanden Infinus gut

Erstmals äußert sich der Hauptbeschuldigter Jörg Biehl zu den Vorwürfen. Er räumt Fehler ein, will aber nicht vorsätzlich betrogen haben. Lob von Fachleuten und Prominenten hätten ihn zudem geblendet.

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© Ronald Bonß

Von Ulrich Wolf

Im Betrugsprozess um den Dresdner Finanzdienstleister Infinus hat sich Gründer und Hauptbeschuldigter Jörg Biehl am Montag erstmals zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft geäußert. Nach mittlerweile 35 Verhandlungstagen sagte er, es seien „Fehler passiert“. Die Eigengeschäfte der Infinus-Gruppe im dreistelligen Millionenbereich seien zwar riskant und nicht nachhaltig gewesen; zahlreiche Fachleute hätten ihm aber versichert, dass das zu beherrschen sei. Insbesondere Wirtschaftsprüfer und Steuerberater hätten ihn in seiner Geschäftsstrategie unterstützt. Die Risiken seien ihm umfangreich erklärt worden, die Experten hätten ihm aber auch gesagt, diese seien nicht verboten. „Ich ging deshalb davon aus, dass alles rechtens ist.“

Biehl betonte in ausgesprochen freundlichem Ton, er habe weder vorsätzlich Anlegergeld veruntreut noch in betrügerischer Absicht gehandelt. So hätten ihn Commerzbank und Deutsche Bank bis 2012 unterstützt. Das Finanzamt sei ständig zu Prüfungen im Haus gewesen. Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, den Biehl als „Mann mit ausgeprägter Wirtschaftskompetenz“ bezeichnete, habe ihm anerkennend auf die Schulter geklopft. Auch die Berater seiner prominenten Gäste auf den Jahrespartys des Unternehmens wie etwa Katharina Witt, Franz Beckenbauer, Oliver Kahn und Matthias Sammer hätten Infinus vor ihren Zusagen geprüft und für gut befunden. Den für 2015 vorgesehenen Stargast Uli Hoeneß habe man aufgrund seiner Steueraffäre ausgeladen; stattdessen habe Helene Fischer zugesagt, „und sie ist ja dafür bekannt, dass sie nicht bei jedem auftritt“. Alle hätten Infinus gut gefunden, „vielleicht hat darunter meine Kritikfähigkeit gelitten“, sagte Biehl in dem Mammutprozess, in dem schon mehr als 40 Zeugen und Gutachter ausgesagt haben. „Vielleicht fühlte ich mich in einer Liga angekommen, in der ich in Wirklichkeit noch gar nicht war.“

Der gebürtige Dresdner machte am Montag einen auskunftsfreudigen Eindruck. Gelegentlich bedankte er sich für Fragen vom Richtertisch. Der 54-Jährige räumte ein, die den Anlegern zugesagte Rentabilität teilweise aus den Augen verloren zu haben. Die Liquidität sei ihm wichtiger gewesen. „Eigengeschäfte kosten Geld. So war da ein riesengroßes Loch entstanden, aber ich habe darin kein Problem gesehen, weil dem ja Vermögenswerte entgegenstanden.“ Er, Biehl, habe stets Wert darauf gelegt, Zusagen einzuhalten, „weil ansonsten in der Finanzbranche zwar viel versprochen, aber wenig gehalten wird“. Die Ansprüche aus den laufenden Verträgen der Anleger habe Infinus deshalb bis zuletzt erfüllt.

Die Unternehmensgruppe habe sich stets bemüht, vom hohen Anteil der firmeneigenen Versicherungskäufe und -verkäufe wegzukommen, sagte der Infinus-Gründer. Deshalb habe er unter anderem den Einstieg ins Goldgeschäft beschlossen; damit seien „Gestaltungsspielräume in der Bilanz“ möglich geworden. Weiter sagte er, Infinus sei zu spät ins Immobiliengeschäft eingestiegen, um die Geschäftspalette zu verbreitern. Er schränkte allerdings ein: „Wir hätten das wieder aufgeholt. Die Banken haben uns wegen unserer Immobilienpläne das Haus eingerannt, zumal wir über einen entsprechend großen Vertrieb verfügten.“ In Dresden sei geplant gewesen, sich mit 25 Prozent am großen Immobilienmaklerhaus Richert & Oertel zu beteiligen, 2014 sollten die restlichen 75 Prozent erworben werden.

„Meine Vision war ein Börsengang“

Gegenüber seinen Vermittlern hätte er das Infinus-System und die damit verbundenen Risiken deutlicher erklären müssen, sagte Biehl. „Ich neige dazu, alles selber zu machen und kontrollieren zu wollen.“ Zudem habe er mitunter „im Denken den fünfzehnten Schritt vor dem ersten gemacht.“ Es habe „ein ewiges Hickhack“ mit der Finanzaufsicht um den Verkaufsprospekt 2012 gegeben; die Aufsichtsbehörde habe aber stets betont, ein „vollständiges Versagen“ zum Prospekt wäre kein Thema. Er selbst habe nur einmal bei der Erstellung des Prospektes mitgearbeitet. Auf Nachfrage des Richters sagte Biehl, er wolle nicht die Schuld auf andere schieben, aber federführend bei der Erstellung des Verkaufsprospekts seien die Mitangeklagten Pardeike und Bullin gewesen. Der gebürtige Freitaler Jens Pardeike, 49, war so etwas wie der Chefbuchhalter der Infinus-Gruppe. Er hatte bislang als Einziger der insgesamt sechs Angeklagten ausgesagt und ist im Gegensatz zu den anderen auf freiem Fuß. Siegfried Bullin, 50, war Hausjurist bei Infinus und zudem als Aufsichtsrat tätig.

„Mein Blick war vielleicht etwas getrübt, weil wir die großen Krisen der Finanzmärkte relativ gut überstanden hatten“, so Biehl weiter. Gleichwohl habe es eine „ewige Dauerdiskussion um die Zukunft“ von Infinus gegeben. „Meiner Natur entsprechend habe ich immer nach vorn geblickt“, sagte der 54-Jährige. Darum habe Infinus weitere Finanzvertriebe gekauft. „Meine Vision war ein Börsengang unseres Unternehmens.“ Biehl hatte sich seit der Wende vom einfachen Versicherungsvermittler zum Chef der zuletzt milliardenschweren Infinus-Gruppe hochgearbeitet.

Bereits Anfang April hatte der Vorsitzende Richter der Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Dresden, Hans Schlüter-Staats, erklärt, er könne sich bei Biehl eine Haftstrafe „nach einer persönlichen vorläufigen Einschätzung“ von neun Jahren vorstellen, sollte es kein Geständnis geben. Für die angeklagten Infinus-Vertriebschefs Kewan Kadkhodai (50) und Rudolf Ott (55) stehen sieben Jahre im Raum, für Pardeike fünfeinhalb Jahre. Dessen Aussagen zu Beginn des Prozesses wertet der Richter nicht als Geständnis. Firmenanwalt Bullin drohen sechs Jahre und dem wegen Beihilfe angeklagten Infinus-Manager Andreas Kison (47) fünf Jahre. Bis auf Pardeike sitzen die Beschuldigten seit fast zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Gegen den Wirtschaftsprüfer und den Steuerberater von Infinus läuft ein gesondertes Ermittlungsverfahren, ebenso gegen die Chefs der Goldfirmen in Österreich.

Der Staatsanwalt Dresden zufolge war das Geschäftsmodell von Infinus nicht nachhaltig, sondern ein Schneeballsystem, in dem mit neuem Geld der Anleger lediglich Altschulden beglichen worden seien. Allein von November 2011 bis November 2013 seien 22 000 Anleger um mindestens 156 Millionen Euro gebracht worden. Die Anklage wertet das als gewerbsmäßigen Kapitalanlagebetrug. Die Infinus-Gruppe brach nach einer Razzia in mehreren Bundesländern und in Österreich im November 2013 zusammen. Bis dahin war sie allen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen. Die Gläubigerforderungen in den mittlerweile eingeleiteten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Infinus-Gruppe sowie gegen Biehl persönlich belaufen sich auf rund zwei Milliarden Euro.