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Alarm im Chemiewerk

Etwa hundert Einsatzkräfte sind an der Übung der Wacker Chemie AG beteiligt. Künftig könnten es noch mehr werden.

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© Matthias Seifert

Von Antje Steglich

Nünchritz. Schaulustige haben sich am Donnerstagnachmittag schon zeitig vor dem Werk der Wacker Chemie AG in Nünchritz eingefunden. Knapp zwei Dutzend etwa. Technikfreaks genauso wie Familien. „Wann kommt die Feuerwehr“, fragt ein kleiner Junge seine Mama nicht nur einmal – und ist ganz begeistert, als kurz nach fünf endlich die Sirene heult. Nur drei Minuten später kommt schon der Katastrophenschutz von der Johanniter Unfallhilfe mit mehreren Fahrzeugen angerast, sechs Minuten später rückt die Freiwillige Feuerwehr Nünchritz durchs Werktor an. Im Werk hat der Einsatz indes längst begonnen.

Auch wenn es nur eine Übung war: Bei Gasalarm darf keiner mehr rein ins Werk.
Auch wenn es nur eine Übung war: Bei Gasalarm darf keiner mehr rein ins Werk. © Matthias Seifert

„Es werden drei verschiedene Szenarien geprobt“, sagt Werksprecherin Asta Tehnzen-Heinrich. Zunächst tritt im Werkinneren ein Stoff durch eine undichte Leitung aus. Der entzündet sich schließlich, und durch die große Hitze werden auch umliegende Leitungen beschädigt. Weitere gesundheitsgefährdende Stoffe treten aus – Mitarbeiter werden verletzt. Es ist eine Art Kettenreaktion, die auch von außen gut nachzuvollziehen ist.

Feuerwehrmänner klettern auf eine Anlage und bereiten eine Höhenrettung vor. 30 Meter über dem Erdboden. Daneben versuchen die Kameraden, mit Wasser eine Gaswolke niederzuschlagen. Und während erst nur die Sirenen geheult haben, warnt schließlich eine Durchsage davor, Teile des Werkes zu betreten. Ein paar Minuten später gilt bereits im gesamten Werk und in der näheren Umgebung Gasalarm. Mitarbeiter und Anwohner werden gebeten, sich in geschlossene Gebäude zu begeben, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Der Wind weht aus Südwest, deshalb wird vorsichtshalber auch die S 88 und der Elberadweg zwischen Großenhainer Straße und Leckwitz gesperrt. Sogenannte Wechselverkehrszeichen werden geschaltet – und die Polizei bezieht mitten auf der Staatsstraße Stellung.

Es dauert keine zwei Minuten, da ignoriert schon der erste Fahrer die Sperrung und wird von den Beamten des Riesaer Reviers abgefangen. 20 Euro muss der Hyundai-Fahrer als Verwarnung zahlen, genau wie ein VW- und ein Seat-Fahrer hinter ihm. Sie alle kommen aus Richtung Leckwitz und wollen die Wechselzeichen nicht gesehen haben. Zur Sicherheit kontrolliert Revierleiter Hermann Braunger noch einmal deren Funktion. Sie arbeiten einwandfrei. Auch die Sprachdurchsagen sind dem ersten Anschein nach gut zu hören – da hatte es im vergangenen Jahr noch Defizite gegeben, heißt es etwa vom Katastrophenschutz des Landkreises, der in die Übung des Chemiewerkes involviert ist. Die vielen Schaulustigen folgen den Durchsagen allerdings nicht und bleiben für ein paar gute Fotos lieber ganz in der Nähe des Werkzaunes. Im Ernstfall könnte das lebensgefährlich sein, sagt Hermann Braunger.

Trotzdem in diesem Jahr nur drei Fahrzeuge die Sperrung der S 88 ignoriert haben – im vergangenen Jahr waren es 19 – reichen die Schilder im Ernstfall seiner Meinung nach nicht aus. „In der Endkonsequenz heißt das, dass wir unsere Leute hinstellen müssen, um den Bereich zu sperren. Die befinden sich dann aber mitten im Gefahrenbereich – das gefällt mir überhaupt nicht“, sagt der Revierleiter. Ein gewisser Lerneffekt scheint dennoch einzutreten, sagt Wacker-Sprecherin Asta Tehnzen-Heinrich, „das Üben lohnt sich.“ Und geht es nach dem Unternehmen, könnte die jährlich von der Landesdirektion für die Werkfeuerwehr vorgeschriebene Übung künftig sogar noch ausgeweitet werden.

Zurzeit sind in die Jahresübung das Werk und deren Berufsfeuerwehr, die Johanniter Unfallhilfe und die freiwilligen Gemeindewehren von Glaubitz und Nünchritz involviert – was sich allein schon auf etwa hundert Kräfte summiert. Was aber, wenn es im Ernstfall tatsächlich viele Verletzte gibt? „Es macht Sinn, auch das Krankenhaus einzubeziehen“, sagt deshalb Asta Tehnzen-Heinrich, „dafür ist aber eine größere Vorbereitung notwendig.“

Zunächst steht aber erst einmal die Auswertung der diesjährigen Übung an, erklärt sie. Sicher werde man da auch das Thema Schaulustige thematisieren. Die sind vereinzelt auch noch weit nach 18 Uhr mit ihren Kameras am Werksgelände unterwegs. Da hat die Sirene bereits Entwarnung für die Anwohner vermeldet.