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Abschied vom Publikumsliebling

Andrea Sanguineti wird bei seinem letzten Konzert in Zittau mit stehenden Ovationen gefeiert.

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Von Karsten Blüthgen

Zittau/Görlitz. Es zählt zu den berühmtesten langsamen Sätzen in der Geschichte der Gattung, das Adagietto aus Gustav Mahlers fünfter Sinfonie. Begleitet von zarten Harfentupfern, formen Streicher eine Melodie, die sehnt und schmerzt. Und sie klingt schwer nach Abschied.

Nun wird dem Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau ein Generalmusikdirektor abhandenkommen. Ein junger Dirigent mit Charme, der musikalisch viel inspirierte: Andrea Sanguineti. Der Italiener verlässt das Haus nach vertraglich vereinbarten fünf Jahren. Am Samstag begann in Zittau die letzte Staffel Philharmonischer Konzerte dieser Saison. Der Dirigent sagt „addio“ mit einer vielschichtigen, beziehungsreichen Sinfonie. Einem Werk voller Leben, Trubel und Tumult, mit Tönen des Abschieds und mit einem weihevollen Choral am Ende. Alle Elemente passen zur Situation des scheidenden GMD. An der Neiße hätte man Sanguineti noch länger behalten. „Immer wieder ist unser Theater das Sprungbrett für hochbegabte Künstler, die ihren Karriereweg nach ihrem Engagement an unserem Haus sehr erfolgreich fortführen“, erklärte Generalintendant Klaus Arauner, als Sanguineti im Januar letzten Jahres bekanntgab, dass er geht.

Sanguineti, heute Anfang dreißig, debütierte vor zehn Jahren am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover, wurde 2011 erster Kapellmeister und stellvertretender GMD in Würzburg. 2013 kam er nach Görlitz und wurde dank seiner so erfrischenden wie inspirierenden Art schnell zum Publikumsliebling. Mit seinem Dirigat animierte er das Orchester zu Leistungen, für das es mit ihm begeistert gefeiert wurde. So auch am Samstag. „Super“, „Bravo“ rief es aus den Reihen, die Leute applaudierten rhythmisch, stehend, lang anhaltend.

Seine Entscheidung deutet zugleich Spannungen an, die dem Publikum verborgen blieben. „Musikalisch haben wir sehr viel erreicht“, sagte Sanguineti nach dem Konzert in Zittau. „Noch mehr wäre möglich gewesen, wenn es nicht diese organisatorischen Anstrengungen gegeben hätte.“ Die sind an einem kleinen Haus und dem ständigen finanziellen Druck leider normal. Sanguineti schaffte stets, davon im Saal nichts spüren zu lassen, stattdessen seine Musiker angesichts höchsten Einsatzes schwitzen zu lassen, wie an diesem Abend. Ambitioniert ging der Italiener in seiner Amtszeit Werke an, die andere scheuen. Mit der Aufführung der gigantischen „Turangalila“ von Olivier Messiaen in Zgorzelec bewies er, dass scheinbar Unmögliches geht. Stilistisch beschrieb der Italiener in den Philharmonischen Konzerten einen Regenbogen, der von Haydns Sinfonik bis in die Gegenwart reichte, und der Rares hörbar machte.

Während sich das Orchester auf die neue GMD, die Polin Ewa Strusinska freut, geht Sanguineti in die Freiberuflichkeit. Opernprojekte in Innsbruck, Essen und Graz warten auf ihn. Sein eigentliches Metier ist die Oper. Auch an der Neiße feierte er Sternstunden.

Mahlers Liederzyklus „Des Knaben Wunderhorn“ hatte Sanguineti in seiner ersten Saison im Programm. Mit Mahler schließt sich nun der Kreis. Das Adagietto musste am Abend wiederholt werden. So kam auch die neue Orchesterharfe nochmals zum Einsatz, deren Anschaffung der scheidende Chef initiiert und mit unterstützt hat.

Wieder in den Theatern Görlitz (19. und 22.6.) und Bautzen (21.6.) sowie in der Lausitzhalle Hoyerswerda (20.6.), jeweils ab 19:30 Uhr