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Abenteuer am großen Teich

Schlafen im Zelt, Lieder am Lagerfeuer und ganz viel Freiheit: In Deutschbaselitz gibt es einen Ort, an dem Kinderferienträume wahr werden.

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© Matthias Schumann

Von Jana Ulbrich (Text) und Matthias Schumann (Fotos)

Deutschbaselitz. Das Paddel ist ein ganzes Stück größer als Ida. Aber die Achtjährige beherrscht es schon perfekt, auch wenn sie hier die Jüngste im Boot ist. Stolz sticht Ida das Paddel ins Wasser. Sie hat genau aufgepasst vorhin bei der Einweisung: Ines, ihre Betreuerin, hat den Kindern gezeigt, wie man mit so einem großen Stechpaddel richtig umgeht. Sie hat ihnen erklärt, warum es wichtig ist, eine Schwimmweste anzuhaben, warum sie nicht an die Insel heranfahren dürfen, auf der die Vögel brüten, und warum sie die Blesshühner im Schilf in Ruhe lassen sollen. Alles klar? Jetzt aber los!

Viel los im Abenteuercamp

Immer in Bewegung: Im Camp können die Kinder nach Herzenslust rennen, toben und spielen – sogar bei Regenwetter.
Immer in Bewegung: Im Camp können die Kinder nach Herzenslust rennen, toben und spielen – sogar bei Regenwetter.
Kreative Künstler: Auch Schnitzen können die Kinder im Camp lernen. Der neunjährige Jamiro arbeitet gerade an einem Elefanten aus Lindenholz.
Kreative Künstler: Auch Schnitzen können die Kinder im Camp lernen. Der neunjährige Jamiro arbeitet gerade an einem Elefanten aus Lindenholz.
Ehrenamtliche Helfer: Birgit arbeitet eigentlich als Sachbearbeiterin. Im Abenteuercamp ist ihre Kreativität beim Basteln sehr gefragt.
Ehrenamtliche Helfer: Birgit arbeitet eigentlich als Sachbearbeiterin. Im Abenteuercamp ist ihre Kreativität beim Basteln sehr gefragt.

Ida und ihr Bruder Nils sind die ersten im Schlauchboot. Auf das Paddeln haben sich die Geschwister am meisten gefreut. Die Acht- und der Zehnjährige haben schon im vorigen Jahr eine Sommerferienwoche hier im Abenteuercamp am Großteich in Deutschbaselitz verbracht. Und weil das so toll war, sind sie jetzt zum zweiten Mal da. Die meisten der Ferienkinder werden Stammgäste im Camp. „Weil das eben so cool ist“, erklären Ida und Nils ganz selbstverständlich. Sie kommen, ebenso wie die meisten anderen hier, aus dem Landkreis und der Umgebung. Gestern sind sie sogar bei strömendem Regen gepaddelt, erzählen sie aufgeregt. „Das war total lustig und überhaupt nicht kalt“, versichert Ida. Sie weiß auch, dass der Regen sehr wichtig war. Sonst könnten sie heute Abend nämlich kein Lagerfeuer machen wegen der Waldbrandgefahr.

Lagerleiter Torsten, der wie alle anderen ein Namensschild mit dem Vornamen am Bändchen um den Hals trägt, schmunzelt: „Wenn die Kinder hier ankommen, sind sie plötzlich wie weggebeamt von Fernseher und Smartphone“, erzählt der 54-Jährige, „so als wären sie hier auf einmal in einer anderen Welt.“ Irgendwie sind sie das ja auch. Das Abenteuercamp direkt am See ist wie eine Insel raus aus dem Gewohnten. Die andere Welt liegt weit entfernt vom Alltag und dem Lärm der Stadt. Außer Kinderlachen, Grillenzirpen und Vogelgezwitscher ist hier nichts zu hören. Höchstens der große Gong, der viermal täglich zum Essen ruft. Der Weg hierher führt entweder per Boot übers Wasser oder weit hinaus aus Deutschbaselitz über einen alten Campingplatz.

Erfahrene Betreuer

Schon die Anreise hierher ist ein Abenteuer. Die Kinder werden mit dem Schlauchboot abgeholt. Sie lassen ihre Eltern und den Alltag einfach am anderen Ufer des großen Teichs zurück. Auf ihrer Abenteuerinsel schlafen sie in Zelten unter uralten Bäumen, sie essen an großen Tischen im Freien, und sie sind den ganzen Tag draußen. Sie schnitzen, basteln, werkeln, rennen, klettern und spielen längst vergessene Kinderspiele. Heute früh haben sie auf der Wiese im Kreis gesessen, sich an den Händen gefasst und „Telegramm verschicken“ gespielt. „Was ist ein Telegramm?“, hat Adrian gefragt. Torsten hat geschmunzelt und es dem Siebenjährigen erklärt. Und dann haben sie alle losgelegt, haben das „Telegramm“ per Händedruck von einem zum anderen weitergegeben. Ein Kind in der Mitte hat geraten, in wessen Hand es gerade steckt. Und alle wollten unbedingt mal das Kind in der Mitte sein. Kaum zu glauben, wie viel Spaß so ein einfaches altes Kinderspiel macht.

„Erlebnispädagogik“ heiß das Konzept, das hier vom Netzwerk für Kinder- und Jugendarbeit und dem Verein VdA aus Bischofswerda getragen, gelebt und ermöglicht wird. Über 200 Kinder und Jugendliche kommen in den Sommerferien hier her. In diesem Kindercamp-Durchgang sind es 51 Sechs- bis Zehnjährige. Umsorgt und verpflegt werden sie von 18 erfahrenen und engagierten Betreuern, zwölf von ihnen machen das ehrenamtlich, einige nehmen sogar extra Urlaub. Fünf Tage all-inclusive kosten 165 Euro.

Zu den ehrenamtlichen Helfern gehört auch Bernd vom Küchenteam. In einer riesigen Pfanne brät er zarte Fleischstreifen. Die Kinder dürfen den täglichen Speiseplan mitbestimmen. Heute haben sie sich Döner gewünscht. Bernd hat dafür extra echtes Fladenbrot besorgt, das die Kinder sich dann an den Tischen selber füllen können. Den halben Vormittag hat das Küchenteam geschnippelt: Tomaten, Gurken, Salat, Zucchini, Brokkoli. Es wird ein sehr gesunder Döner – für die wachsende Zahl an Vegetariern und neuerdings auch Veganern unter den Kindern wahlweise auch vegetarisch oder vegan. Auch jeder Allergiker bekommt von Bernd seine Extrawurst, wenn er sie denn braucht. „Voriges Jahr hatten wir ein Mädchen dabei, das konnte nichts mit Ei essen“, erzählt der 54-Jährige, der hier schon seit vielen Jahren zu den Helfern gehört. „Da haben wir für die Kleine eben extra gekocht, sie hätte ja sonst nicht mit hierherkommen können.“ Bernd hievt die Pfanne mit den Fleischstreifen vom Herd. „Es gibt doch nichts Schöneres, als diese fröhlichen, unbeschwerten Kinder hier zu sehen“, sagt er. Aber jetzt muss er sich beeilen. Sie werden ja gleich hungrig wie die Wölfe von der Bootstour kommen.

Schaukeln für „Faultiere“

Auch Wolfgang, Lehrer im Ruhestand, ist hier als Helfer „hängengeblieben“, seit er vor Jahren mal mit einer Klasse auf Abschlussfahrt da war. Braungebrannt und gut gelaunt sitzt der 67-Jährige vor einem Haufen Lindenholzklötzchen und einem Kasten mit verschiedenen Schnitzwerkzeugen. Geduldig erklärt er den Jungs am Tisch, wie sie Klötzchen und Messer richtig halten müssen, damit aus dem Holzklotz am Ende ein Elefant wird. Jamiro, neun Jahre alt und auch schon zum zweiten Mal hier, macht das schon wie ein richtiger Profi.

Der Elefant übrigens gehört zum großen Motto der Ferienwoche: „In fünf Tagen um die Welt!“ Nach der Ankunft gestern in Europa reisen die Kinder heute nach Afrika. An einem der Tische basteln ein paar Mädchen mit den Betreuerinnen kleine Trommeln aus leeren Chipsdosen. Sie kleben und pinseln, was das Zeug hält. Und immer wieder probieren sie aus, wie sie ihren Chipsdosen-Trommeln die tollsten Töne entlocken können. Heute Abend am Lagerfeuer werden sie trommeln wie die Afrikaner. „Wollen wir uns vielleicht auch noch Masken basteln?“, fragt Birgit, 54, im richtigen Leben Sachbearbeiterin und auf dieser Abenteuerinsel die Frau fürs Kreative. Na klar wollen die Mädchen!

Die Jungs wollen lieber Fußballspielen. „Und faulenzen“, ruft Thorben, 9, und wirft sich demonstrativ in die Hängematte. Die zwei „Faultierschaukeln“ sind ganz neu. Die Jugendlichen vom Kreativ-Camp vorige Woche haben sie zusammen mit Wolfgang, dem ehemaligen Lehrer, aus Holzbalken und Seilen gebaut. Beim Seileknoten haben sie auch gleich noch ein paar Seemannsknoten gelernt. Irgendwann braucht man das vielleicht mal im Leben, schmunzelt Wolfgang.

Überhaupt lernen die Kinder in den fünf Tagen hier so ganz nebenbei jede Menge fürs Leben. Abwaschen zum Beispiel. Manche haben das noch nie gemacht. Hier im Camp gibt’s keine Spülmaschine. Die wäre ohnehin rausgeschmissenes Geld. Die Kinder reißen sich ums Abwaschen. Ehrlich! Einen Fernseher gibt es auch nicht. Auch der wäre rausgeschmissenes Geld. „Zum Fernsehgucken haben wir doch überhaupt keine Zeit“, sagt Otto und wundert sich über so eine Frage. „Abends singen wir doch am Lagerfeuer, und es gibt Gute-Nacht-Geschichten, und wir machen eine Nachtwanderung, und wir fahren mit dem großen Hausbootfloß auf den See raus“, zählt der Neunjährige eifrig auf. „Und wir dürfen so lange wach bleiben, bis der Gong schlägt“, erklärt er. Der letzte Gong am Abend heißt: „Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett.“ Meistens widerspricht in dem Moment keiner mehr. Nach so einem Tag im Abenteuercamp sind sie alle hundemüde.

Unten am Ufer werden jetzt lachende Kinderstimmen laut. Ida und die anderen kleinen Seefahrer sind zurück. Schnell schleppen Bernd und seine Kollegen vom Küchenteam die vollen Schüsseln und die Tellerstapel raus. Bernd schlägt dreimal den Gong. Das heißt jetzt: Mittagessen ist fertig. Und von allen Seiten kommen die kleinen Abenteurer angestürmt.