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Zwei Männer und ein Baby

Matthias und Christian wünschten sich seit Langem ein Kind. Dann konnten sie Fabius adoptieren. Was ihrem Sohn fehlen wird, wissen sie genau: nichts.

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Von Doreen Hübler

Fabius ist ein kleines Wunder. Wenn seine Eltern diesen Satz sagen, dann klingt es so, wie Tausende anderer Eltern von ihren Kindern erzählen. Kaum zu glauben, dass Fabius gerade noch so winzig war, und nun schon mit wachem Blick die Lampe über dem Tisch verfolgt, dabei mit dem Mund Laute formt, aus denen bald Worte werden. Es ist ein ganz normales Glück. Doch für seine Eltern ist es ein bisschen mehr. Denn Matthias, Christian und Fabius, das sind zwei Männer und ein Baby.

Ein Trio, das beim Besuch in einem Dresdner Café auffällig unauffällig gemustert wird. Dabei ist eigentlich alles sehr alltäglich. Zwei Männer, Ende dreißig, nichts wirkt ausgefallen, alles unkompliziert. Matthias hat gerade Besorgungen gemacht und schnallt sich den Tragegurt ab. Das Kind darin ist erkältet, aber schon auf dem Weg der Besserung. Christian pellt den Sohn aus seiner Jacke. Er war den ganzen Tag auf Arbeit, lässt sich die Neuigkeiten berichten und platziert den glucksenden Fabius auf seinem Schoß. Jetzt ist Zeit für Familie.

Dass diese in ihrem Leben kommen wird, haben Christian und Matthias schon immer gewusst. Oder es sich jedenfalls gewünscht. „Wir sind beide Familienmenschen“, sagen sie. „Und Familie ist da, wo Kinder sind.“ Verliebt haben sie sich vor 14 Jahren, später haben sie geheiratet, Höhen und Tiefen erlebt. Irgendwann kam den Punkt, an dem sie begannen, über die Zukunft nachzudenken. Einen Plan für die Frage zu machen: Wie bekommen wir ein Baby? Oder besser: Wie kommt ein schwules Paar zu einem Kind?

Ein Durcheinander an Möglichkeiten tat sich auf. Sie hätten einen unbürokratischen Weg gehen können, zum Beispiel eine Patchwork-Familie mit einem lesbischen Paar gründen – keine ungewöhnliche Lösung. Und doch passte sie nicht zu ihnen. Zu viel Potenzial für zwischenmenschliche Verwicklungen. „Wir wollten eine aktive Vaterrolle übernehmen“, da waren sie sich einig. In dieser Zeit haben sie manchmal neidisch in die USA geschaut, auf Gesetze, die eine Leihmutterschaft erlauben. „Aber ein Kind bestellen?“, sagt Matthias. „Nein, das hat so etwas Käufliches.“ Die Möglichkeit war unheimlich und in Deutschland außerdem unmöglich.

Im Jahr 2006 bewarben sie sich beim Dresdner Jugendamt um eine Adoption. Oft wurden Fälle wie ihrer hier noch nicht bearbeitet. Bisher habe man nur zwei Adoptionsanträge von schwulen Paaren bekommen, sagt Sachgebietsleiterin Marga Körner. Der Vorgang werde jedoch mit der gleichen Sorgfalt behandelt wie der Kinderwunsch eines heterosexuellen Paars. „Es werden keine Unterschiede gemacht“, sagt sie. „Entscheidend ist, ob die Eltern geeignet sind.“ Für alle Bewerber gilt die gleiche Regel: Das Verfahren kann dauern und wird vielleicht nicht erfolgreich sein.

Christian und Matthias schrieben trotzdem Anträge, gaben unter anderem den Wunsch an: Das Kind sollte so klein wie möglich sein, um es von Anfang an begleiten zu können. Sie füllten Papiere aus und nahmen an einem Elternseminar teil, gemeinsam mit heterosexuellen Paaren. „Komisch war das nicht“, sagt Christian. Nur eine Sache war bei ihnen anders. „Wir haben Paare getroffen, die alles versucht haben, um schwanger zu werden. Bei ihnen war der Erwartungsdruck anders“, sagt Matthias. „Bei uns dagegen wurde gar nichts erwartet.“ Ihre Perspektive: Sie hätten eine Weltreise geplant und sie spätestens 2012 angetreten. Das Jahr, in dem beide 40 werden, dann wären sie zu alt für die Adoption eines Babys. Doch plötzlich ging alles ganz schnell. An einem Freitag im Januar 2010klingelte das Telefon. Ein Baby war geboren und sollte ihres werden. Ein Junge, gerade mal einen Tag alt. Die Mutter gab das Kind zur Adoption frei und wurde vorher über die möglichen Eltern informiert. Sie wählte Christian und Matthias aus – ein Wunsch, der für das Männerpaar alles veränderte. „Wir hatten mit ein bis zwei Jahren Wartezeit gerechnet und noch nicht einen Strampler oder gar Windeln gekauft“, sagt Christian. Die erste Zeit war ein emotionaler Ausnahmezustand, für den beiden heute noch die Worte fehlen.

Sie haben viel geweint in diesen Tagen, aus Freude und Fassungslosigkeit. Und sie mussten improvisieren, sich Babysachen borgen und die Familie informieren, dass sie nun einen Sohn haben. Matthias teilte seinem Chef mit, dass er ab sofort Elternzeit nimmt. Über die Details für den Fall der Fälle hatten sie sich vorher abgestimmt und so pragmatisch entschieden, wie es Tausende andere Paare tun. Matthias arbeitet in der Wohlfahrtspflege und konnte unkomplizierter aus seinem Job aussteigen. Er bleibt die ersten beiden Jahre zu Hause, Christian, der eine Führungsposition in einem Halbleiter-Werk hat, nahm drei Monate Elternzeit.

Die Rollen mussten verteilt werden, aber eine klare Angelegenheit wird das bei ihnen nie sein. Es gibt neckische Streitereien, wer mehr Windeln gewechselt hat, aber keine klassische Mutterrolle oder Vaterfigur. Matthias ist Papa und Christian Papi. Und dann gibt es noch die „Bauchmama“, die leibliche Mutter von Fabius, zu der sie Kontakt halten. Sie schicken ab und zu Fotos, berichten, was der Kleine nun alles kann. Die Bindung soll lose sein, aber nicht abreißen, denn Fabius soll jetzt und später einen Bezug zu seiner Herkunft haben.

Später – dieses Wort schleicht sich oft in die Gespräche von Christian und Matthias. Sie waren schon vor Fabius Geburt gut vorbereitet und sind es jetzt noch mehr. Sie haben Bücher gelesen und Seminare besucht. Alles zum Thema „Elternschaft“, noch mehr über „Homosexuelle Eltern“. Manche haben sie gefragt, woher sie das denn alles wissen, das mit dem Wickeln und Babybrei kochen, so ganz ohne Mutterinstinkt. „Warum sollten wir das nicht wissen?“, fragt Matthias. „Für heterosexuelle Eltern ist es doch auch eine völlig neue Erfahrung, auf die sie sich einlassen.“

Sie selbst haben nie gezweifelt. Trotzdem sind sie da, die Zweifler, die auffällig unauffällig auf ihren Alltag blicken. Direkte Worte, die ihre Familie verurteilen, hören sie nie, aber Meinungen, die über Umwege an sie heran getragen werden. „Es gibt doch so viele Heteropaare, die sich ein Kind wünschen, und ausgerechnet die kriegen eins.“ Das ist so ein Satz, über den sie gern diskutieren würden. „Sachlich, aber nicht beleidigend“, sagt Christian. Allzu oft hört die Auseinandersetzung mit ihrem Familienmodell mit einem schnellen Urteil auf: „Das arme Kind.“ Genau da beginnt für das Paar eine Doppelmoral. „Die Toleranz geht also genau so weit: Schwule sind in Ordnung, aber Kinder dürfen sie keine haben“, sagt Christian.

Was ihrem Sohn fehlen wird, wissen sie genau: nichts. Er habe Liebe und Zuneigung, all das, was ihm eine gute Mutter geben würde. „Er wird natürlich von weiblichen Rollenbildern umgeben sein“, sagt Christian. Und stark werden. Das haben sie als Ergebnis vieler Studien über homosexuelle Paare mit Kindern, sogenannte Regenbogenfamilien, herausgelesen: „Sie machen ihre Kinder besonders stark.“ Sie bringen ihnen bei, Antworten auf Vorurteile zu finden. Noch ist Fabius zu klein dafür, aber bald wird er seine eigenen Erfahrungen machen

Zum Beispiel in der Kindertagesstätte, in der ihn seine Eltern angemeldet haben. Matthias und Christian haben entschieden, als Paar aufzutreten, um Klarheit zu schaffen. Sie werden so selbstverständlich am Elternabend teilnehmen, wie schon beim Krabbelkurs. Sie wollen den normalen Eltern-Alltag leben und sind darüber glücklich. „Klar, wenn man ein Kind hat, steckt man die eigenen Bedürfnisse zurück, aber ich sehe das nicht als Opfer“, sagt Christian. „Wir haben davor so viel erlebt. Jetzt ist etwas anderes wichtig.“

Nun ist das Glück komplett. Fast jedenfalls, noch fehlt ihre offizielle Anerkennung. In der Geburtsurkunde ist nur Matthias als Vater eingetragen: Homosexuelle Paare dürfen adoptieren, aber nur ein Partner hat das Sorgerecht. Richtig finden die beiden das nicht, aber sie sehen ein: „Wir sind keine übermäßigen Patrioten, aber konnten uns in Deutschland bisher alle Wünsche erfüllen, sogar Fabius. In anderen Ländern würden wir allein fürs Schwulsein schon längst am Galgen hängen.“

Irgendwann werden sich die Gesetze ändern, da sind die beiden zuversichtlich. Spätestens zu Fabius 18.Geburtstag hoffen sie, dass ihr Sohn zwei rechtmäßige Väter haben wird. Und vielleicht noch einen Bruder oder eine Schwester. Den Antrag auf eine zweite Adoption haben Matthias und Christian auf dem Tisch liegen.