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Zwei, die aufs Land wollen

Um junge Lehrer für Schulen außerhalb von Dresden und Leipzig zu begeistern, hat Sachsen ein Stipendium aufgelegt.

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© Thomas Kretschel, Christian Juppe

Von Carola Lauterbach

Endlich stellt Sachsen wieder im größeren Stil Lehrer ein. Weil sehr viele ältere aus dem Dienst ausscheiden. Die Neuen aber wollen mehrheitlich in Dresden und Leipzig unterrichten. Allein in der letzten Einstellungsrunde zum 1. Februar hatten diesen Wunsch 1 082 von 1 636 Bewerbern unmissverständlich geäußert. Doch Sachsen hat 426 Gemeinden. In denen gibt es 1 483 öffentliche Schulen und 16 033 Klassen. Und vor jeder sollte ein Lehrer stehen.

Versuche, die angehenden Lehrer für ländliche Regionen zu gewinnen, gab es einige. Vermittlung günstiger Wohnbedingungen, Kitaplätze, Hilfe bei der Jobsuche für Partner. Dennoch scheinen die beiden sächsischen Metropolen Magnetwirkung zu haben. Also mussten neue Ideen her. Das Sachsenstipendium. Monatlich 300 Euro ab fünftem Fachsemester bis zum Ende der Regelstudienzeit. Im Gegenzug die Verpflichtung der Stipendiaten, nach ihrer Ausbildung so lange an einer Grund-, Mittel- oder Förderschule im ländlichen Raum zu unterrichten, wie sie diese Förderung erhalten haben – also maximal fünf Schulhalbjahre.

Marie May müsste gar nicht so lange in ihrer ersten Einsatzschule bleiben. Für sie beginnt im April das letzte Semester, in dem sie ihre Masterarbeit über Lehrergesundheit und die Eignung für den Lehrerberuf schreiben wird. Ein Semester lang kann sie sich also freuen, nun monatlich 300 Euro vom Freistaat aufs Konto überwiesen zu bekommen. Die 25-Jährige, die im sächsischen Neustadt aufgewachsen ist, ist eine der 52 Stipendiaten des ersten Sachsen-Stipendium-Jahrgangs. Dafür gab es laut Kultusministerium 156 Bewerbungen.

Im Internet und in der Zeitung hatte Marie May darüber gelesen und gedacht, versuch es doch mal. Dabei stapelt die sympathische junge Frau recht tief. Die Kriterien für das Stipendium erfüllt sie in einem Maße, als sei es direkt auf sie zugeschnitten. Gute Studienleistungen. Studium im Lehramt für Mittel-/Oberschulen. Mit Biologie und Französisch strebt sie eine Fächerkombination an, die mit Blick auf den Bedarf geradezu sensationell erscheint.

Sie selbst hat eine Bildungskarriere genommen, die von der seit zweieinhalb Jahrzehnten in Sachsen regierenden CDU als Paradebeispiel für die „Durchlässigkeit des sächsischen Bildungssystems“ gelten dürfte: Mittelschule, Realschulabschluss mit 1,0, Abitur am beruflichen Gymnasium und schließlich Lehramtsstudium in Leipzig. Allerdings hat Marie May selbstbewusste Ansichten, die an der CDU-Schulpolitik vorbeigehen: Im Sinne der Chancengerechtigkeit für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, spricht sie sich gegen die frühe Selektion und für längeres gemeinsames Lernen aus.

Weil die meisten ihrer Mitschüler, mit denen sie befreundet war, nach der Grund- auf die Mittelschule wechselten, ging Marie mit. Obwohl sie eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium hatte. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sie nicht – wie überproportional viele Kommilitonen – das Lehramt für Gymnasien anstrebt. Und auf Dresden oder Leipzig hätte sie ohnehin keine Lust. „Ich bin nicht so der städtische Typ.“ Sie brauche Natur und Tiere um sich. Deshalb ist ihr Mitbewohner beim Studium in Leipzig – ihr Chinchilla Gismo.

Sie freut sich, Stipendiatin zu sein. Und das nicht allein wegen der finanziellen Unterstützung. Man nimmt ihr unbesehen ab, dass ihr besonders die ideelle Seite des Programms gefällt, Seminar- und Trainingsangebote. Darum wird sie auch von ihren Kommilitonen richtig beneidet. „Das, was wir in Pädagogik und Psychologie beim Studium bekommen, reicht einfach nicht aus.“ Marie Mays künftige Einsatzregion wird der Kreis Bautzen sein. Ihre Wunschschule? „Die Oberschule Bischofswerda.“

Christoph Kober zieht es auch nicht in die Metropolen. Schon deshalb nicht, weil er in seiner Heimatstadt Freital fest im DRK-Katastrophenschutz verwurzelt ist. Und davon will er auch nicht lassen. Dippoldiswalde, Wilsdruff, Klingenberg, da, wo es Oberschulen in der Region der Kreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge oder Meißen gibt, das wäre o.k. für ihn. Warum hätte er sich also nicht für das Stipendium bewerben sollen? Und es hat ja auch geklappt. Der 25-Jährige ist schon stolz. Und es sieht nicht schlecht aus, wenn auf dem Kontoauszug „Hauptkasse des Freistaates Sachsen“ steht – und davor eine 300. Was ihm aber viel wichtiger ist: „De facto habe ich schon jetzt einen festen Arbeitsvertrag in Aussicht. Das finde ich einfach super.“

Christoph ist im 7. Semester und weiß, dass er in der Regelstudienzeit von neun Semestern nicht fertig werden wird. Der Grund: Er studiert an der TU Dresden Lehramt Mittelschule nicht in zwei, sondern in drei Fächern, Deutsch, Geschichte, Ethik. Selbst wenn das Stipendium nach der Regelstudienzeit nicht mehr gezahlt wird, komme ihm noch die ideelle Förderung zugute, auf die er sich wirklich freut .

Lehrer zu werden war für Christoph immer Plan A. Mag sein, weil seine Mutter Lehrerin ist. An ihrer Schule hat er schon das eine oder andere Projekt geleitet, an der eigenen einen Erstsanitäterkurs. Und als Rettungsschwimmer hat er mal eine Mittelschulklasse auf Abschlussfahrt begleitet. Mit der Truppe ist er sehr gut klargekommen. Deshalb ist er sicher, die Mittelschule – die jetzt Oberschule heißt – ist die richtige Schulart für ihn. Außer in den im Studium anberaumten Praktika „übt“ er sich seit zwei Jahren im Unterrichten, indem er Schülern Nachhilfe erteilt. Dank intensiver Prüfungsvorbereitung mit einem Berufsschüler hat der es zu einer 2 im Deutsch-Abi gebracht. Mit Gedichtinterpretation. „Das haben wir so richtig geübt. Von der Analyse zur Interpretation – war gut.“