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Zum Mount Everest durch Weinberge

Für manche Extremsportler liegt der Mount Everest in Sachsen. 100 Mal die Spitzhaustreppe im Radebeuler Weinberg hoch- und runter, dann sind 8848 Höhenmeter geschafft - ohne Atemgerät und Eispickel.

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© dpa

Simona Block

Radebeul. Treppenstufen so weit das Auge reicht - ein Weinberg im sächsischen Elbtal ist für 66 Läufer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Tschechien und den USA der Weg zum Olymp. In 24 Stunden zum „Dach der Welt“ - ohne Verschuldung, lange Anreise und Gefahren. „Für viele ist der Mount Everest eine unerreichbare Herausforderung“, sagt der Organisator des 11. Radebeuler Treppenmarathons, Ulf Kühne. Am Wochenende vermittelte der Parcours über die Spitzhaustreppe am Elbhang Extremsportlern und Enthusiasten das Gefühl der Strapazen und die Euphorie geglückten Gipfelsturms. Der Lauf hat Kultstatus.

Impressionen vom Treppenlauf

War der Himmel beim Start noch wolkenverhangen, wärmte Sonne satt die nach kalter Nacht durchfrorenen Akteure aus Wien, Göttingen, Essen, Oldenburg, Nördlingen, Hradec Králové oder Lafayette Hill. Auf der Treppe zwischen Rebstöcken und Weinbergsmauern herrschte dichtes Gedränge. Wie eine Ameisenspur zogen sich Läuferketten in zwei Richtungen: durchtrainierte Typen im Laufschritt, zügig steigende Freizeitsportler oder sich fast hinauf schleppende Teilnehmer - wie Feuerwehrleute unter schwerem Atemschutz. Für die Kameraden, die je eine Runde schaffen müssen, ist es eine Einsatzübung.

Der Jüngste des Feldes ist Jahrgang 1986, der Älteste Gunter Lanzsch. Der 70-Jährige wohnt am Fuß der Treppe, die eine Touristenattraktion ist. Die Verbindung vom Weingut Hoflößnitz zum Spitzhaus als Ort höfischer Feste ließ Kurfürst August der Starke (1670-1733) im 18. Jahrhundert anlegen. In den 1990er Jahren neu gebaut, bietet sie den Läufern festen Tritt - und abwärts Ausblicke in die Flusslandschaft. Schneidermeister Andreas Allwang wärmt sich hier für Gebirgsläufe in den Alpen auf und schätzt die Regelmäßigkeit der Stufen.

Einfach nur durchhalten

„Es ist durch das Bergab-Laufen sogar einfacher als in den Bergen, denn man setzt immer mit dem flachen Fuß auf“, sagt der 38-Jährige aus München. Das sei ideales Training, nur die Renndauer wegen Müdigkeit, Kälte und Erschöpfung eine Herausforderung. „Spätestens zwischen sechs und acht Uhr morgens wird es ganz schwer.“ Der Sieger des Vorjahres hält mit 13:26:53 Stunden den Streckenrekord - und hatte diesmal schon den Rekord von 144 Runden geknackt - zwei Stunden vor Rennende.

Gunter Lanzsch wollte einfach durchhalten. Mit Temperaturen um 10 Grad und trockenem Wetter seien die Bedingungen ganz gut. Der Rentner ging zum vierten Mal über die ganze Distanz. „Wenn ich es geschafft habe, klopfe ich mir immer auf die Schulter“, erzählte er. Dafür musste er je Runde 397 Stufen aus Natursandstein und 422 Meter hoch und runter - wer 100 Runden und damit 79 400 Stufen schaffte, bekam eine Medaille.

Sechs Frauen und 37 Männer haben schließlich die 100 Runden geschafft. Die Schnellsten waren Vorjahressieger Andreas Allwang aus München sowie Antje Müller aus Großpösna bei Leipzig. Allwang absolvierte die Distanz zum höchsten Gipfel der Erde in 13 Stunden und knapp 46 Minuten. Müller beendete nach 16 Stunden und fast 17 Minuten die 100. Runde. Die meisten der am Samstag gestarteten rund 500 Läufer kämpften sich in Teamwork in Seilschaften und Staffeln zum Gipfel.

„Mit dem Hang zum Verrückten“

Der Mount Everest Stair Marathon sei was für Sportler mit „einem gewissen Hang zum Verrückten“, meint Organisator Kühne. Für Harald Krauß von der Deutschen Ultramarathon Vereinigung sind „Treppenläufer die Exoten unter den Exoten“. Veranstaltungen dieser Art gebe es kaum in freier Natur, meist werden Treppenhäuser in Wolkenkratzern wie dem Empire State Building in New York genutzt - mit nur einer Runde.

Der einzigartige Doppelmarathon in Radebeul zieht inzwischen Enthusiasten aus ganz Europa und Übersee an. Unter Beifall und Anfeuerungsrufen zahlreicher Zuschauer passierten Dreierseilschaften wie die „Wilden Täubchen“, „Gipfelstürmer“, „Treppenflitzer“ oder „Kenias letzte Reserve“ Start- und Wendepunkt. Die meisten Läufer stärkten sich auf dem Weg nach unten mit Obst, Kuchen oder Nudeln. „Wer auf Angriff läuft, macht keine Pause im Verpflegungszelt“, sagt Kühne. Zeitweise feuerten auch die Schläge der Trommler von Blechlawine Dresden auf Ölfässern sie an. (dpa)