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Zuhause im Obdachlosenheim

Torsten Eichler lebt seit zwei Jahren an der Klötzerstraße – und hat dort ein Privileg.

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© Matthias Seifert

Von Dörthe Gromes

Riesa. Die Müdigkeit guckt Torsten Eichler bereits am frühen Nachmittag aus den Augen. Kein Wunder, steckt dem 44-Jährigen doch die letzte Nachtschicht in den Knochen. Trotzdem nimmt er sich Zeit für die SZ, um sein Zimmer im Riesaer Obdachlosenheim zu zeigen. „Ich wohne hier im Vorzeigezimmer“, kommentiert er den etwa 20 Quadratmeter großen, hellen Raum, den er allein bewohnt. Ein Privileg – teilen sich doch die meisten Zimmer des schmucklosen Plattenbaus aus den 1960er Jahren zwei Menschen. Im Haus leben derzeit 29 Bewohner.

Das Obdachlosenheim im Riesa.
Das Obdachlosenheim im Riesa. © Sebastian Schultz

Funktionales, graues Linoleum bedeckt den Boden des Zimmers von Torsten Eichler. Ein helles Ledersofa dominiert den Raum, davor ein runder Couchtisch, vor dem Fenster steht ein Fernseher auf dem liebevoll ein Kunstblümchen, eine LED-Kerze und ein Weihnachtsmännel drapiert sind. Neben der Couch befinden sich auf einem Schränkchen ein Wasserkocher, ein Glas mit Kaffeepulver und eine Tasse. Auf der anderen Zimmerseite stehen ein einfaches Bett und ein Kleiderschrank.

„Die Möbel sind alle geschenkt, aber den Fernseher habe ich selbst gekauft“, erzählt Torsten Eichler. Auf dem Sofa sitzen ein paar Plüschtiere, und an den Wänden hat der Fan von Dynamo Dresden und Borussia Dortmund eine ganze Sammlung Käppis und Mützen drapiert. Manche hat ein Arbeitskollege extra für den Riesaer gehäkelt. Die Dekoration mildert die Nüchternheit des Zimmers.

Tritt man aus der Tür landet man in einem dunklen Flur, von dem weitere Zimmer abgehen. An jeder Tür stehen die Namen der Bewohner. Das Treppenhaus ist eng und nicht gerade einladend. Alles hier atmet den Geist der Zweckmäßigkeit.

Auf die Frage, warum er im Obdachlosenheim gelandet ist, antwortet Torsten Eichler nur kurz, dass er zuvor im Knast gewesen sei. Vor zwei Jahren kam er her und begann schnell, sich im Heim zu engagieren: „Mir wäre sonst die Decke auf den Kopf gefallen.“ Seit anderthalb Jahren ist der schmale Mann im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes fester Mitarbeiter des Hauses. Die Arbeit bringt ihm Anerkennung, einen kleinen Verdienst und das Einzelzimmer-Privileg. – Wenn Torsten Eichler wie zuletzt Nachtschicht hat, kontrolliert er alle zwei Stunden die Zimmer der Bewohner, ob alles seine Ordnung hat. Vor der Schichtübergabe um 5.30 Uhr bereitet er noch das Frühstück für alle vor. Um 6.15 Uhr werden dann die Bewohner geweckt. An anderen Tagen geht Torsten Eichler mit auf Tour, wenn die DRK-Kleidercontainer in Riesa und Umgebung geleert werden.

Wann er vielleicht wieder aus dem Haus auszieht, darüber denkt Torsten Eichler derzeit noch nicht nach. Vielleicht auch, weil die Einrichtung und ihre Bewohner ein Stück weit zu seinem Zuhause geworden sind. „Wir haben ein gutes Klima im Haus. Hier leben nur normale Menschen“, beschreibt er die Atmosphäre im Heim für Wohnungslose.

Wohnen Sie auch „anders“? Dann melden Sie sich bei uns in der Lokalredaktion Riesa: [email protected] oder telefonisch unter 03525 72415715. Ihr Wohnort – ob Riesa, Strehla, Nünchritz, Zeithain oder Gröditz – spielt dabei keine Rolle. Wir freuen uns!