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Zugriff im Morgengrauen

Die Nacht ist noch nicht ganz zu Ende, als die Ermittler zuschlagen. Die Bundespolizei lässt an mehreren Orten eine internationale Bande auffliegen, die ihr Diebesgut bis China verkaufte.

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© Ronald Bonß

Von Tobias Wolf und Christoph Springer

Die Nacht ist noch nicht ganz zu Ende, als die Ermittler zuschlagen. Während Streifenwagen die Seitenstraßen absichern, öffnen Spezialisten der Bundespolizei um sechs Uhr morgens binnen Sekunden die Tür im sechsten Stock einer Asylbewerberunterkunft in der Dresdner Südvorstadt. Uniformierte stürmen in die Wohnung. Drei Männer lassen sich widerstandslos festnehmen. 600 Polizisten sowie Mitarbeiter von Zoll, Landeskriminalamt und Steuerfahndung beginnen zeitgleich mit Durchsuchungen von Wohnungen und Gewerbegebäuden an 30 weiteren Standorten in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Es soll der größte Schlag gegen die organisierte Kriminalität in Mitteldeutschland der letzten Jahre werden.

Auch große Mengen Babynahrung wurden sichergestellt.
Auch große Mengen Babynahrung wurden sichergestellt. © Bundespolizei

Die Bundespolizei im Einsatz

In einem Großeinsatz ist die Bundespolizei am Mittwochmorgen im Großraum Dresden gegen eine internationale mutmaßliche Diebesbande vorgegangen.
In einem Großeinsatz ist die Bundespolizei am Mittwochmorgen im Großraum Dresden gegen eine internationale mutmaßliche Diebesbande vorgegangen.
Mehr als 30 Objekte wurden durchsucht.
Mehr als 30 Objekte wurden durchsucht.
Die Bundespolizei war nach eigenen Angaben mit rund 600 Beamten im Einsatz.
Die Bundespolizei war nach eigenen Angaben mit rund 600 Beamten im Einsatz.
Unterstützt wurden sie dabei von Zollfahndung und sächsischem Landeskriminalamt.
Unterstützt wurden sie dabei von Zollfahndung und sächsischem Landeskriminalamt.
Bei den Beschuldigten handelt es sich vorwiegend um Osteuropäer, aber auch Asiaten und Deutsche seien unter den mutmaßlichen Tätern.
Bei den Beschuldigten handelt es sich vorwiegend um Osteuropäer, aber auch Asiaten und Deutsche seien unter den mutmaßlichen Tätern.
"Es ist eine bunte internationale Mischung." Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft den Beschuldigten banden- und gewerbsmäßigen Diebstahl und Hehlerei vor.
"Es ist eine bunte internationale Mischung." Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft den Beschuldigten banden- und gewerbsmäßigen Diebstahl und Hehlerei vor.
Mehrere Haftbefehle sind vollstreckt worden.
Mehrere Haftbefehle sind vollstreckt worden.
Bei den Durchsuchungen fanden Beamte Babynahrung ...
Bei den Durchsuchungen fanden Beamte Babynahrung ...
... und Kosmetika.
... und Kosmetika.

Die mutmaßlichen Mitglieder der Diebesbande stammen aus Georgien. Die zehn Männer sollen in Läden an den Dresdner Bahnhöfen, am Hauptbahnhof Leipzig sowie in Supermärkten in Halle/Saale und weiteren Städten in Sachsen und Sachsen-Anhalt gestohlen haben. Bei einem Georgier wurden 30 Gramm Crystal und Heroin gefunden. Die fünf Hehlerinnen aus Vietnam und Lettland sollen den Männern in großem Stil Diebesgut abgekauft haben. Vor allem Baby-Milchnahrung der Marke Aptamil sollen die Diebe gestohlen haben, um damit Profit zu machen. Damit lasse sich seit dem chinesischen Skandal um gepanschte Milch in Fernost viel Geld verdienen, sagt Markus Pfau, Chefermittler der Bundespolizei für Mitteldeutschland.

Ein Teil des Diebesguts soll auch in Tschechien verkauft worden sein. Aber auch teure Kosmetik, Spirituosen, Tabak, hochwertige Pistazien und palettenweise Kaffee finden sich in den Lagern der Bande. So viel, dass die Durchsuchungen bis zum Abend dauern und ein Lkw angefordert werden muss, um alles abzutransportieren. Mehrere Hunderttausend Euro Schaden sollen die Täter angerichtet haben.

Die Bewohner des Asylheims wundern sich derweil über das Großaufgebot der Polizei, grüßen aber freundlich im Vorbeigehen. Ein paar Kilometer weiter ist im Stadtteil Cotta ein Drei-Familien-Haus in den Fokus geraten. Im Erdgeschoss des äußerlich gepflegten Hauses ist ein Nagelstudio untergebracht. Der Blick durch die Schaufenster verrät: Hier wurden zwar noch Fingernägel verschönert, doch im angeschlossenen Laden ging zuletzt nicht mehr viel. Leere Regale neben einer verwaisten Kasse, Verpackungsreste und Müll in den Ecken.

Gleich daneben sichern Polizisten eine Wohnung. Zöllner suchen sie mit einem Spürhund ab. Billige, zum Teil beschädigte Möbel, Deckenlampen ohne Lampenschirm, offene Lichtschalter und Steckdosen, eine verdreckte Küche – die Innenräume wirken verwahrlost. In der Wohnung lebt eine Vietnamesin, die später verhaftet wird. Sie steht im Verdacht, zur Bande zu gehören. Im Nagelstudio mit angeschlossenem Geschäft soll nicht nur legale, sondern auch Hehlerware verkauft worden sein.

Auch die Bewohnerin eines blau getünchten Mehrfamilienhauses im gleichen Stadtteil wird von dem plötzlichen Besuch überrascht. „Euro-Asia-Imbiss“ steht auf einem Schild über dem Geschäft im Erdgeschoss. Blumenampeln neben der Eingangstür, zwei Hundefiguren links und rechts des Eingangs, das Haus wirkt gutbürgerlich. Doch der Schein trügt offenbar. An diesem Morgen bleiben die Rollläden geschlossen und der Gemüsestand vor dem Laden leer. In allen Wohnungen und dem Laden gucken Polizisten in jeden Schrank und jedes Schubfach. Wie im Nagelstudio soll auch hier Hehlerware über den Ladentisch gegangen sein.

„Die Tatverdächtigen aus Georgien gehen in Kleingruppen bis zu vier Mann in Supermärkte und Bahnhofsgeschäfte, decken sich gegenseitig und können so große Mengen auf einmal stehlen“, sagt der Chefermittler. Jeden Tag, fast so als gingen die mutmaßlichen Diebe einer Arbeit nach, so professionell und strukturiert wirkt ihr Vorgehen.

Schon im Frühjahr 2016 waren acht Georgier verhaftet worden, denen derzeit am Landgericht Dresden der Prozess gemacht wird. Bei den Durchsuchungen finden die Polizisten am Mittwoch neben der Hehlerware auch handfeste Beweise: Rechnungen, Kassenbelege und Computer. Vier Autos und mehrere Zehntausend Euro Bargeld werden beschlagnahmt, dazu Konten, Lebensversicherungen und Bausparverträge der Beschuldigten gepfändet, um die illegalen Gewinne abzuschöpfen.

Auf die Spur der vietnamesischen Hehler seien die Kriminalisten bei den Ermittlungen gegen die anerkannten georgischen Asylbewerber gestoßen, sagt Pfau. „Das Asylrecht ist ein hoch schützenswertes Gut, aber hier wurde es missbraucht, um Straftaten zu begehen.“