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Zündeln im Dienste der Wissenschaft

Es brennt - und die Feuerwehr schaut zu. So spielt sich das derzeit im sächsischen Weißwasser ab. Wissenschaftler erforschen hier in einem Plattenbau den Verlauf eines Feuers.

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© dpa

Von Jörg Schurig, dpa

Weißwasser. In einem Plattenbau in Weißwasser lodern die Flammen. Schon bald dringt giftiger Rauch in den Hausflur. Ein Feuer wie dieses entwickelt schnell eine tödliche Kraft - doch die Feuerwehr schaut in sicherem Abstand ganz entspannt zu. Die «Brandstifter» handeln in wissenschaftlichem Auftrag. Der zum Abriss bestimmte Fünfgeschosser dient als Labor für Brandversuche. Forscher der Universität Magdeburg haben den Hausflur und zwei Wohnungen mit Kameras und Messgeräten ausgerüstet. Jedes Detail ist wichtig. Wie heiß wird es in der Wohnung? Welche Teile des Inventars wirken als Brandbeschleuniger? Wohin zieht der Rauch? Und warum?

«Wohnungen sehen heute anders aus als in den 70er-Jahren», sagt Jens Glasewald, Sprecher der Feuerwehr Weißwasser. «Es gibt mehr Elektronik, mehr Plaste. Da entstehen ganz andere Gase und giftige Dämpfe.» Ein Brand könne sich heute in einer Wohnung wesentlich rasanter ausbreiten. Während man früher bei einem Wohnungsbrand mit Temperaturen von 500 bis 700 Grad zu rechnen hatte, gehe man heute von bis zu 1200 Grad aus. Das erhöhe auch das Risiko für die Feuerwehrleute. «Deshalb ist es wichtig, die Rauch- und Temperaturverläufe unter neuen Bedingungen aufzuzeichnen.»

Die Erkenntnisse von Weißwasser sollen in einen Leitfaden für die Feuerwehr münden. Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Projekt mit 1,1 Millionen Euro. Gut angelegtes Geld - finden nicht nur die Feuerwehrleute. Denn die vorangegangene Studie dazu stammt noch aus den 70er-Jahren. «Damals waren die Möbel noch aus Holz», sagt Andreas Ruhs, Abteilungsleiter bei der Feuerwehr in Frankfurt am Main, die ebenfalls an den Tests beteiligt ist. Und er nennt einen weiteren Aspekt: Rettungseinsätze in Zeiten des demografischen Wandels. «Es ist ein Unterschied, ob man einen 30-jährigen Mann aus einem brennenden Haus herausholt oder einen älteren Herrn im Rollstuhl.»

Ruhs berichtet von einem Einsatz der Frankfurter in einer Wohnung Demenzkranker. Der Rauchmelder hatte zwar Alarm gegeben, nur konnten die drei Bewohner das Signal nicht deuten. «Die haben zugeschaut, wie es brennt.» Glücklicherweise habe eine Nachbarin reagiert und die Feuerwehr gerufen.

Grillanzünder als Auslöser

In Weißwasser ist die schon lange da, bevor die ersten Flammen züngeln. Stefanie Schubert, Doktorandin an der Universität Magdeburg, hält ein kleines Stück handelsüblichen Grillanzünders in die Höhe. Der soll den Brand beim ersten Versuch auslösen. Ein gleichgroßes Stück kommt als Referenzexemplar ins Labor. Laut Szenario wird ein Kinderwagen in einem Treppenhaus des Fünfgeschossers angezündet. Von jetzt an übernehmen Kameras und Sensoren die Kontrolle. Schaulustige kommen kaum auf ihre Kosten. Das Inferno spielt sich hinter den Betonplatten ab - weitgehend unsichtbar für die Menschen draußen.

Damit das Feuer ordentlich Nahrung erhält und die Bedingungen möglichst echt sind, wurden die beiden Vier-Zimmer-Apartments wie richtige Wohnungen eingerichtet - mit Möbeln, Lampen, Fernseher, Gardinen - selbst das Kuscheltier fehlt nicht. Das Inventar ist katalogisiert und gewogen - um die sogenannte Brandlast der Wohnung exakt zu ermitteln. Die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr von Weißwasser haben beim Einrichten geholfen. Glasewald findet den künftigen Brandort richtig «wohnlich». Nur die Technik verrät, dass die neuen «Mieter» andere Ambitionen haben.

Selbst an die Heizung ist gedacht. Die betroffene «Platte» in Weißwasser steht schon seit Ende 2012 leer und ist ausgekühlt. Der lange Winter ist auch der Grund dafür, warum ein weiterer Brandversuch - an der Fassade - um ein paar Wochen verschoben werden muss. Arbeiter bringen hier noch eine Wärmedämmung an, damit der Plattenbau aus den 80er-Jahren heutigen Häusern möglichst ähnlich ist. Die Wissenschaftler wollen messen, wie sich ein Feuer entlang einer Fassade entwickelt und ob es von unten nach oben auf andere Wohnungen überspringen kann.

«Das Gefährliche am Feuer ist nicht die Flamme, sondern der Rauch», sagt Schubert, die in Magdeburg Sicherheit und Gefahrenabwehr studiert hat. Treppenhausbrände seien für die Feuerwehr ein massives Problem. Denn normalerweise diene ein Hausflur als erster Fluchtweg. Erst wenn das nicht mehr möglich sei, würden Menschen mit der Drehleiter über die Fenster in Sicherheit gebracht. Während an den Kontrollmonitoren langsam die Spannung steigt, bleibt Schubert locker. «Das Entscheidende sind die Aufzeichnungen, die man nach dem Versuch bekommt.»

Ulrich Krause ist der wissenschaftliche Versuchsleiter. Der Magdeburger Professor lacht bei der Frage, wie genau man einen Brand berechnen kann. Maßgebliche physikalische Effekte ließen sich bei einer Simulation gut untersuchen - detaillierter als bei einem Experiment, sagt Krause. Außerdem sei die Zahl der Brandversuche nun einmal begrenzt. Deshalb bleibe die Kombination von Simulation am Computer und Experimenten das Ideal. «Das macht die Brandforschung so schwierig und spannend, weil man eine Überlagerung von verschiedensten physikalischen und chemischen Effekten hat.»

Rauchmelder sollten Standard sein

Bei den Versuchen in Weißwasser soll zugleich die Auswirkung des Feuers auf das gesamte Gebäude ermittelt werden. «Es sind Messreihen aufgebaut, die das Durchbiegeverhalten der Betonplatten registrieren», berichtet Glasewald. Es gehe auch um die Frage, ob eine Wohnung nach einem Brand ohne Probleme wieder bezogen werden kann. Auch die Überreste des Inventars werden untersucht. Das Bundesamt für Materialforschung hat Experten entsandt. In einem Punkt sind sich die Experten schon vor Beginn der Experimente einig. Rauchmelder sollten zur Standardausrüstung einer Wohnung gehören.

Dass die Bundesländer das ganz unterschiedlich regeln, ist auch in Weißwasser Pausengespräch zwischen den Versuchen. Nach den Worten von Ruhs sind in Hessen von 2014 an Rauchmelder in Schlafzimmern und Fluren nicht mehr nur in Neubauten Pflicht. «Die meisten Opfer eines Feuers sterben im Schlafzimmer», sagt der 38-Jährige. Sachsen wiederum hat das weder für Neu- noch für Altbauten geregelt. Hier muss der besorgte Bürger auf eigene Rechnung im Baumarkt entsprechende Technik kaufen. In Sachsen-Anhalt müssen Rauchmelder zumindest in Neubauten Standard sein.

Björn Mierisch von der Feuerwehr Görlitz ist dafür, schon Kinder bei Projekttagen in der Schule für den Ernstfall zu trainieren - so wie man das in Polen und Tschechien macht. Tatsächlich stößt die Feuerwehr bei der Auswertung von Einsätzen immer wieder auf klassische Anfängerfehler. Da werden bei der Flucht aus der Wohnung die Türen offengelassen, was dem Feuer durch die Zugluft zusätzliche Kraft verleiht. Und dass man bei dicker Luft möglichst geduckt und weit unten am Boden flüchten soll, scheint auch manchem unbekannt zu sein. Rauch steigt mit der Wärme nach oben - eigentlich Schulwissen. (dpa)