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Zu wenig schlaue Kinder?

Nur 40 Prozent aller Grundschüler wechseln im Kreis Görlitz an ein Gymnasium. So wenige wie nirgendwo in Sachsen.

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© Pawel Sosnowski

Von Daniela Pfeiffer

Lernen im Landkreis Görlitz die weniger intelligenten Kinder? 41 Prozent der Viertklässler haben im Frühjahr eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium bekommen. Sachsenweit ist der Kreis damit das Schlusslicht. Der Landesdurchschnitt beträgt 46,5 Prozent, 52,6 Prozent bekamen eine Empfehlung für die Oberschule.

In und um Görlitz liegen manche Grundschulen sogar noch deutlich unter dem Kreisdurchschnitt. Die Grundschule Königshufen etwa, die mit gerade mal acht Schülern nur 21 Prozent aufs Gymnasium schickt. Auch in der Grundschule Schöpstal haben es nur zehn Kinder geschafft, die Voraussetzungen für das Gymnasium zu erfüllen. Dafür mussten sie in Mathe, Deutsch und Sachkunde im Durchschnitt die Note zwei erreichen. Außerdem darf in keinem der drei Fächer eine schlechtere Note als drei auf dem Zeugnis stehen.

Für Steffen Kleint, Schulleiter der Grundschule Schöpstal in Ebersbach, ist die Quote nicht dramatisch. Es gebe eben solche und solche Jahrgänge. Im Schnitt schaffen es aus seiner Schule schon auch um die 40 Prozent ans Gymnasium. „Manche unserer jetzigen Viertklässler brauchen eben noch ihre Zeit“, sagt er. Und überhaupt: Warum müsse jeder aufs Gymnasium? Zum Abitur gebe es viele Wege. So könnten Schüler, die das unbedingt wollen, auch nach der 5. oder 6. Klasse oder nach der 10. noch wechseln. Bei den Eltern hat Steffen Kleint in den vergangenen Jahren immer mehr Zurückhaltung gespürt, wenn es darum ging, das Kind auf das Gymnasium zu schicken. „Den massiven Ansturm gibt es inzwischen nicht mehr. Das hat sich relativiert.“

Bei der August-Moritz-Böttcher-Grundschule in Görlitz ist das Verhältnis in diesem Schuljahr absolut ausgewogen. Genau die Hälfte wird mit der 5.  Klasse auf die Oberschule, die andere Hälfte aufs Gymnasium wechseln. Dass Lehrer und Eltern von Anfang an in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden, ist Schulleiterin Almut Hentschel sehr wichtig. So informieren Schulleiter der infrage kommenden Gymnasien und Oberschulen bereits die Eltern der dritten Klassen über die künftige Schule ihrer Kinder. So bekommt Almut Hentschel auch gut mit, wie sich ihre Abgänger später auf den weiterführenden Schulen machen. Und kann feststellen: Die Entscheidung war fast immer richtig. Daran glaubt auch Marion Jainsch, die die Melanchthon-Grundschule leitet. Sie schickt in diesem Jahr gleich 34  ihrer jetzigen Viertklässler ans Gymnasium, das sind die meisten in Görlitz. Mit 58  Prozent liegt die Schule damit weit über Durchschnitt. Lernen hier also die schlauesten Schüler? Es sieht so aus. Denn Marion Jainsch kommt über den Viertklässler-Jahrgang regelrecht ins Schwärmen: „Wir haben top vierte Klassen diesmal, es sind tolle Kinder, auch von ihren Persönlichkeiten her. Sie haben sich über die vier Jahr stabil entwickelt und lernen wirklich gern. Das hat man nicht immer.“ Zumindest Marion Jainsch, die seit 2009 die Schule leitet, kann sich an so einen Jahrgang nicht erinnern. Auch die Fachlehrer würden sehr gern in diese Klassen gehen. „Da ist man schon stolz.“

Was ist also das Geheimrezept? „Wir haben die Sozialkompetenzen der Kinder von Anfang an angesprochen, sie verstehen sich alle super. Vielleicht hängt es auch damit zusammen“, sagt Jainsch. Und ganz wichtig: Sobald auch nur die kleinsten Veränderungen bei Kindern zu beobachten waren, wurde sofort das Gespräch mit den Eltern gesucht, die ohnehin sehr in die Schularbeit involviert sind.

Große Unterschiede gibt es also selbst innerhalb von Görlitz beim Leistungsniveau der Kinder. Dass das an zu unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Grundschulen liegt, glaubt Steffen Kleint nicht. Die Schulleiter tauschen sich rege zu den Anforderungen aus, es gebe einheitliche Bewertungsrichtlinien. Insofern scheint es also wirklich rein an der Begabung der Kinder zu liegen.

Die Politiker der Grünen sehen das allerdings völlig anders. Sie haben auf die aktuellen Zahlen des Kultusministeriums und die großen regionalen Unterschiede mit Verwunderung reagiert. Denn die großen Spannweiten setzen sich bei der zweiten Bildungsempfehlung nach der 6.  Klasse fort. „Die Vergabe wirft Fragen auf. Wird hier die verpflichtende Empfehlung nach Klasse 4 zu einem Steuerungsinstrument für die Kultusbürokratie?“, fragt sich Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Die Unterschiede würden den Verdacht nahe legen, dass entsprechend der regionalen Angebote und Kapazitäten Schülerströme gelenkt werden. „Das ist nicht Sinn und Zweck der Sache.“ Die Grünen fordern daher, die Bildungsempfehlung zu einer umfassenden Bildungsberatung für Schüler und Eltern weiterzuentwickeln. Dabei müssten die Fähigkeiten und Interessen der Kinder im Mittelpunkt stehen. Die freie Wahl der weiterführenden Schule solle gewährleistet bleiben.