Merken

Zähe Suche nach Wahrheit

Seit Dezember sitzen eine Vietnamesin und zwei frühere Mitarbeiter der Ausländerbehörde wegen Einschleusens vor Gericht.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Karin Schlottmann

Irgendwo auf dem Flug zwischen Hanoi und Dresden ist ihr die Lust auf den Au-Pair-Job vergangen. Ob sie jemals bei ihrer Dresdner Gastfamilie gewesen sei, fragt Richter Joachim Kubista. Nein, sagt die Vietnamesin, sie sei aus dem Flugzeug ausgestiegen und sofort zu einem Bekannten nach Leipzig gefahren. Ihre Eltern hatten in Vietnam sogar ein Haus verkauft, um die Reise zu finanzieren. Warum so viel Aufwand, wenn doch angeblich nur ein Jahr Aufenthalt geplant war, will Kubista wissen. Die Zeugin schweigt.

Ein halbes Jahr später vermittelt eine Agentur ihr den passenden Ehemann. Kurz darauf heiraten beide in Dänemark. Warum diese Eile, gab es ein Problem mit Ihrem Visum?, fragt der Richter. Ich weiß es nicht mehr, antwortet die Zeugin. Sie bekommt ein Kind und trennt sich offiziell von ihrem deutschen Mann. Seit fast neun Jahren lebt sie nun in Deutschland.

Ehefrau statt Kindermädchen

Aus Angst vor den Konsequenzen tun sich die vietnamesischen Zeugen schwer mit der Wahrheit. Warum sie alle als angebliche Studenten oder Au-Pair-Mädchen eingereist sind und dann umgehend mit einem deutschen Ehepartner eine Familie gegründet haben, verraten sie nicht. Die Staatsanwaltschaft lässt im Verlauf des Verfahrens fünf von ihnen wegen des Verdachts der Falschaussage im Gerichtsaal festnehmen, einer saß über eine Woche in Untersuchungshaft. Die Methode hilft bei der Wahrheitsfindung. Ein Vietnamese, der vor seiner Festnahme behauptet hatte, er habe aus Liebe geheiratet, berichtet nach der Freilassung, er habe insgesamt 12000 Euro für die illegale Einreise und für die Schein-Ehe gezahlt. Ein Teil des Geldes floss in Vietnam, ein Teil in Dresden an die Hauptangeklagte Thi Thuy Huong T. Seit dem 10. Dezember läuft vor dem Landgericht Dresden der Prozess wegen illegalen Einschleusens von Ausländern, er dauert mindestens bis September.

Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft lautet auf banden- und gewerbsmäßiges Einschleusen in 39 Fällen, Bestechung, Bestechlichkeit und Falschbeurkundung im Amt. Auf der Anklagebank sitzen eine Vietnamesin und zwei ehemalige Mitarbeiter der Dresdner Ausländerbehörde. Die Vietnamesin soll die beiden damaligen Sachbearbeiter angestiftet haben, für ihre Landsleute Papiere mit falschen Angaben auszustellen, damit sie nach Deutschland kommen konnten. Sie und der Angeklagte Michael L. hatten ein Verhältnis. Die beiden waren ein perfektes Team: Sie hatte die Kontakte zu ihren Landsleuten, er besaß Fachwissen, Formulare und Informationen. Über zehn Jahre lief das so.

Beide wollten in ihren Augen Gutes tun, aber es war eben auch ein Haufen Geld im Spiel. Die dritte Beschuldigte, Petra W., war in diesem Geschehen wohl nur eine Randfigur. Ihr Anwalt Ulf Israel kritisiert, dass seine Mandantin auf der Anklagebank sitzt, weil sie sich Blusen schenken ließ, während andere 6000 Euro für eine Schein-Ehe kassierten und nur Zeugen sind.

Ein Mammutverfahren

Die Generalstaatsanwaltschaft hat jetzt den Druck noch einmal erhöht. Es seien neue Anklagen wegen 250 weiterer Fälle in Vorbereitung, kündigte Staatsanwalt Andreas Günthel kürzlich an. Sie sind das Ergebnis der Auswertung von Dateien, die auf dem Computer von Michael L. gefunden wurden. Die Bundespolizei hatte in mühevoller Kleinarbeit die mit einer Software verschlüsselten Dateien geknackt. Der virtuelle Tresor, wie Staatsanwalt Andreas Günthel ihn nennt, füllt auf Papier vier Leitz-Ordner.

Außerdem fanden die Ermittler Unmengen an Videofilmen, die Michael L. und Thi T. beim Sex und beim Geldzählen zeigen. Würde man alle Schleusungen in einem Verfahren zusammenfassen, drohe den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn bis zwölf Jahren, schrieb Günthel vor einigen Tagen an das Gericht. Stimmungsmache, sagen die Verteidiger.

Die Dresdner Ausländerbehörde bemüht sich darum, bürgerfreundlichen Service zu bieten und obrigkeitsstaatliches Gebaren abzulegen. Im Prozess gibt das Amt aber dennoch eine schlechte Figur ab. Wer wann in welchem Büro Dienst hatte, war kein Geheimnis. Die Vietnamesen kannten ihre Pappenheimer und gingen mit ihren Anträgen zu denen, die aus ihrer Sicht am unkompliziertesten waren. „Geht zur Dicken, die arbeitet schneller“, riet Thi T. einer Landsfrau am Telefon. Die Vietnamesin hatte auch keine Scheu, Bedienstete ohne Umschweife nach ihren privaten Handy-Nummern zu fragen. Zur Begründung habe sie gesagt, sie wolle sich für ihre Landsleute nach dem Stand der Fallbearbeitung erkundigen. Es wäre auch ein „großes Geschenk“ drin. Niemand wehrte sich in all den Jahren gegen die vielen kleinen Mitbringsel, die die Vietnamesen regelmäßig vorbeibrachten.

Der Behördenleiter nahm höchstselbst Blumen entgegen und verteilte sie an die Mitarbeiter. Eine Sachbearbeiterin räumte im Zeugenstand unter Tränen ein, dass auch sie ein Verhältnis mit Michael L. hatte. Andere Kollegen, denen sein Übereifer bei den Vietnamesen-Anträgen auffiel, wurden von seinem Vorgesetzten abgebürstet. Ein Mitarbeiter hat sogar einmal eine Akte vor Michael L. versteckt, weil er ihm nicht traute.

Der Vorgesetzte ist jetzt vorläufig versetzt worden. Sein Nachfolger will scheinbar alles besser machen, überblickt aber seine Kompetenzen noch nicht vollständig. Neulich setzte er sich an einem Prozesstag als Zuschauer in den Gerichtssaal. Während einer Verhandlungspause ging er auf zwei Zuschauer zu, die er für vietnamesische Staatsbürger hielt.

Er zückte seinen Dienstausweis und verlangte – im Gerichtsgebäude –, ihre Personalausweise zu sehen. Die beiden lehnten ab. Sie stammen zwar aus Vietnam, sind aber Deutsche. Der junge Mann beharrte dennoch auf sein Kontrollrecht und wollte gerade anwesende Bundespolizisten um Amtshilfe bitten, als ein Richter einschritt und ihm mit Verweis auf das Hausrecht des Gerichts sein Gehabe verbot.