Merken

Wunderbar unbequem

Eine historische Mühle am Pfaffenberg bei Königstein erwacht dank Christian Linge aus dem Tiefschlaf. Ganz behutsam.

Teilen
Folgen
NEU!
© Kristin Richter

Von Nancy Riegel

Eigentlich ist Christian Linge aus Königstein Stuckateur. Mittlerweile kann sich der 42-Jährige getrost in seinen Lebenslauf zusätzlich die Bezeichnung „Hobby-Archäologe“ notieren. Diese Zusatzqualifikation hat er sich durch die Reparatur einer alten Mühle am Pfaffenberg durchaus verdient. Nicht nur den originalen Mühlstein grub er eigenhändig aus, sondern auch eine Münze aus dem Jahr 1640. „Die wurde damals mit eingebaut als Glücksbringer, damit die Mühle viel Geld bringt“, sagt Christian Linge.

Den alten Mühlstein entdeckte Christian Linge unter viel Dreck im Erdgeschoss.
Den alten Mühlstein entdeckte Christian Linge unter viel Dreck im Erdgeschoss. © Kristin Richter
In der gemütlichen Stube empfängt der Besitzer Gäste.
In der gemütlichen Stube empfängt der Besitzer Gäste. © Kristin Richter

Geld verdienen mit der jahrhundertealten Mühle, das steht für den Stuckateur und Denkmalpfleger an letzter Stelle. Für rund 30 000 Euro kaufte der Handwerker das alte Gebäude an der Potatschke im Jahr 2010. Eingefallenes Dach, das Fachwerk zerstört, ein Paradies für Ratten. Das Haus glich einer Ruine. Christian Linge sah darin einen Schatz, investierte viel Zeit, aber wenig Geld – denn der Mann mit dem geflochtenen Zopf legte selbst Hand an und nutzte ausschließlich alte Baumaterialien wie Lehm, Stroh und gebrauchte Ziegel. Auch seine Werkzeuge sind teils historisch. Mittlerweile lebt er im ebenfalls selbst sanierten Anbau neben der Mühle, die er als Hobby und historisches Zeugnis betrachtet. Hauptberuflich arbeitet er selbstständig als Stuckateur. Um die Mühle kümmert er sich nur in seiner Freizeit.

Dafür hat er schon einiges geschafft. In der unteren Etage hat der 42-Jährige die alte Schwarzküche nachgebaut. Kessel und Kelle sind nicht nur Deko, der Ofen funktioniert tatsächlich. Nebenan serviert Christian Linge seinen Besuchern heißen Tee am warmen Ofen in der Stube. „Der Müller war früher auch immer Gastwirt. Brachten die Dorfbewohner ihr Getreide vorbei, warteten sie im Gastraum so lange, bis das Mehl fertig war“, erzählt er. Die Stube stellt er heute für Feiern zur Verfügung, Gäste müssen allerdings auf fließendes Wasser verzichten. Immerhin gibt es Strom – und sogar eine Wassertoilette.

In der Stube gibt es nicht nur Tee, sondern auch Geschichte. In einen Balken hat der Stuckateur Jahreszahlen geritzt. 1549, 1601, 1750. „Das sind die Jahre, in denen der erste Stein gesetzt wurde, das Fachwerk entstand und die Stube gebaut wurde“, zählt er auf. Herausgefunden hat dies das Denkmalamt, durch die Analyse der Holzbalken. Mithilfe der Jahresringe lässt sich ermitteln, in welchem Jahr der Baum gefällt und kurz darauf verbaut wurde. Mehr als 250 Jahre alt sind dementsprechend die Balken in der Wohnstube.

Eine Herausforderung für Christian Linge, der morsche Holzteile ersetzen, aber den historischen Charakter nicht zerstören wollte. „Andere schleifen Holz glatt, ich habe es eben angeraut, damit es älter aussieht. Da zieht man sich den ein oder anderen Schiefer ein“, sagt er lachend.

Für ein Projekt wie die alte Mühle am Pfaffenberg braucht es eben Kreativität und auch eine Prise Eigensinn, das weiß auch Christian Linge. Seinen Prinzipien ist er treu, und die stehen im Gegensatz zu gängigen Auffassungen und allgemeiner Praxis. Eigenheimsiedlungen etwa sind für ihn der Graus, er vergleicht sie mit einer Lego-Stadt – alles wird nur zusammengesteckt, sieht gleich aus und hält nicht lange. „Es ist wunderbar, zu wissen, dass die Mühle länger stehen wird, als ich lebe, und dass vielleicht erst in hundert Jahren wieder etwas repariert werden muss“, sagt er.

Seine Passion und vor allem sein Wissen gibt er an andere weiter. Er engagiert sich im Verein „Ländliche Bauwerte“ und berät Hausbauer, die ebenso wie er Wert auf die Geschichte des Gemäuers legen. So hat er in einem Gebäude in Döbeln einen Keller aufgespürt. Einziges Indiz: ein Steinhaufen auf dem Boden. So ähnlich hat er auch den alten Mühlstein in seinem Haus entdeckt. Vergraben unter haufenweise Dreck, kam das Relikt zum Vorschein. Auch alte Tonscherben lagen dabei. Demnächst will Christian Linge die obere Etage ausbauen, vielleicht für Übernachtungsgäste. Das wäre für die Mühle nichts Neues, die in der DDR als billige Herberge herhalten musste. Viel Luxus können künftige Gäste auch dann an der Potatschke nicht erwarten. „Wer hier schläft“, so Linge, „muss hartgesotten sein.“ Denn saniert wird die Mühle nicht. Nur repariert.