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Wucher am Schloss

Eine Seniorin wurde Opfer eines überteuerten Schlüsseldienstes. Die Polizei kennt viele solche Anzeigen.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann und Nadine Steinmann

Ilse Reuschel* (65) ist aufgeregt. Gerade hat sie die Wohnung ihrer Mutter in Ordnung gebracht und wartet nun, dass die 92-Jährige von einem Krankenhausaufenthalt nach Hause gebracht wird. Nur schnell noch zum Briefkasten – und da passiert es: Die Tür fällt ins Schloss, der Schlüssel liegt drin und die Mutter hat auch keinen mit.

Eine Seniorin musste fast 600Euro für die Türöffnung bezahlen.
Eine Seniorin musste fast 600Euro für die Türöffnung bezahlen. © Ralph Schermann

Zum Glück hat Ilse Reuschel das Handy dabei. Sie möchte natürlich, dass ihre Mutter nicht im Hausflur warten muss, und wählt die erste Nummer, die ihr das Internet für Schlüsselnotdienste anzeigt. Tatsächlich kommt nach 20 Minuten ein Monteur. Schnell ist die Tür auf, das Schloss aber kaputt. Ein neues einzubauen, ist der Monteur nicht in der Lage. Ohne Ergebnis hämmert er 40 Minuten an der Tür herum, um Ilse Reuschel schließlich einen Zylinder in die Hand zu drücken: „Da müssen Sie jemanden suchen, der den einbaut.“ Er kritzelt allerlei Rechtfertigungen auf eine Rechnung, die Frau Reuschel leider unterschreibt: „Das ging ja alles so schnell.“ Nur das Scheckkarten-Lesegerät des Monteurs funktioniert. Knapp 580 Euro bucht er von der EC-Karte der mittlerweile eingetroffenen 92-Jährigen ab. Ilse Reuschel, die von Hartz IV lebt, verschlägt es die Sprache: „Im Internet stand ab acht Euro.“ Doch die Betonung liegt auf dem „ab“.

Ein ähnliches Szenario musste auch ein junges Pärchen aus Ottendorf-Okrilla erleben. Norman Schott ist mit seinem damals fast einjährigen Sohn im neuen Eigenheim. Seine Frau ist in Dresden unterwegs. Der Kleine schläft gemütlich in seinem Bettchen. Schließlich wollte sein Vater nur kurz das Haus verlassen, um den Kindersitz ins Auto zu bringen. Den Schlüssel für die Haustür hat er einstecken. Das Problem: Die Tür fällt ins Schloss und von innen steckt leider noch ein zweiter Schlüssel. Sämtliche Fenster sind zu, die Tür lässt sich einfach nicht öffnen und der Kleine liegt nun ganz allein im Haus. Auch Norman Schott ruft den erstbesten Schlüsseldienst an, der für Anfahrt, Einsatz, Aufbohren und neues Schloss schließlich 519 Euro von dem jungen Vater verlangt. Auch er bezahlt völlig überfordert, will einfach nur seinen kleinen Sohn in die Arme schließen.

Dirk Linczmajer von der Polizei kennt das: „In den vergangenen Monaten kam es vermehrt zu Anzeigen gegen Schlüsseldienste.“ Darunter mehrfach gegen die angebliche Firma Schlüsseldienst Benjamin Lehmann Oberhausen, über die auch der bei Ilse Reuschel namenlos gebliebene Monteur tätig war. Allerdings nennt die Rechnung weder Telefon- noch Mailanschluss, selbst bei der auf solchen Formularen üblichen Angabe der Steuernummer steht „in Gründung“. Nachfragen laufen also ins Leere.

Dirk Linczmajer hört solche Hinweise oft: Meist verwenden Betroffene im Internet oder auch in Branchenbüchern in ihrer Aufregung gleich die ersten Einträge. Der Sprecher eines Telefonbuchverlages kennt das: „Schlüsseldienste versuchen häufig, Telefonservice zu missbrauchen.“ Bundesweit hat sich der Strausberger Rechtsanwalt Jens Mader auf Verfahren gegen dubiose Schlüsseldienste spezialisiert: „Das funktioniert über Scheinadressen. Über Rufumleitungen kommen Leute von sonst woher.“ Kommen sie aus einem anderen Ort, wird Wartezeit mit Lügen überbrückt: Der Kollege hätte einen Unfall oder sei noch bei einem länger dauernden Auftrag.

Fast stets sei es so, dass Monteure das Schloss angeblich nie unzerstört aufbekämen, also ein neues Schloss gekauft werden müsse. Am Ende stehen Kosten zwischen 400 und 900 Euro – und immer die Nötigung, sofort zu zahlen, da sonst die Tür wieder verschlossen würde. Es gab Fälle, da drohten Monteure, bei Nichtbezahlen „etwas aus der Wohnung zu pfänden“. Für zahlreiche lokale Schlüsselnotdienstanbieter ist das ein Skandal: „So arbeitet kein seriöser Handwerker“, heißt es dazu immer wieder. Zudem ist die Branche bestürzt, dass viele noch immer auf solche Firmen hereinfallen. Zwar werde in Internet-Impressen darauf hingewiesen, dass es sich meist nur um Vermittlerfirmen handelt. Um wegen Wucher nach dem Strafgesetzbuch dagegen vorzugehen, bedarf es möglichst gebündelter Verfahren. Deshalb rät die Polizei auch stets zu Anzeigen.

Unabhängig von Wucher können Betroffene nur versuchen, bezahlte Preise über Zivilklagen teilweise erstattet zu bekommen. Ohne einen Rechtsanwalt ist das aber kaum zu schaffen. Beratungen dazu bieten auch die Verbraucherzentralen an.

Ilse Reuschel nützt die Erkenntnis indes wenig: Ihre Tür schnappt zwar zu, geht aber nicht mehr abzuschließen: „Um das neue Schloss einbauen zu lassen, habe ich im Moment kein Geld mehr.“

* Name von der Redaktion geändert.