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Mit Baby vom Dach stürzen?

Nach einem Beziehungsstreit spielten sich in Heidenau dramatische Szenen ab. Doch wie sind die rechtlich zu bewerten?

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© Archivfoto: Marko Förster

Von Yvonne Popp

Heidenau. Wollte ein 27-jähriger Marokkaner wirklich sich und sein Baby umbringen, als er drohte, sich mit dem Kind aus einem Dachgeschossfenster zu stürzen? Oder war das nur eine leere Drohung gegenüber der Mutter des Kindes? Mit dieser Frage muss sich seit Dienstag das Schöffengericht in Pirna beschäftigen.

Am 13. August vergangenen Jahres war der Mann nach einem heftigen Streit mit seiner rund zehn Jahre älteren Lebensgefährtin bereits am Vormittag von der Polizei aus der gemeinsamen Wohnung in der Heidenauer Haeckelstraße gewiesen worden. Doch kurz nach Mittag war Ahmed E. zurück in Heidenau. Zeugen zufolge hatte er sich über ein offenes Fenster im Erdgeschoss Zutritt zum Haus verschafft. Im Dachgeschoss angekommen, trat er die Tür zu seiner Wohnung ein. Mit den Worten: „Heute gehen alle gestorben hier“, soll er seiner damaligen Partnerin ins Gesicht geschlagen und sie dann mit einem Messer bedroht haben. Dabei verletzte er die Frau am Hals. Laut Staatsanwaltschaft hatte er kurz darauf noch mit einer Schere in Richtung des gemeinsamen, damals erst acht Monate alten Babys gefuchtelt und dabei geschrien: „Ich mach den Kleinen tot“.

Was sich danach abgespielt hat, ist in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft aber nicht niedergelegt. Völlig außer sich hatte Ahmed E., der seit 2014 in Deutschland lebt, seinen kleinen Sohn in einen Tragegurt gesetzt und sich diesen um den Bauch geschnallt. So war er dann über ein Fenster auf das Dach des Mietshauses geklettert. Nachdem die Polizei in der Wohnung eingetroffen war, soll er mehrfach gedroht haben, mit dem Kind in die Tiefe zu springen. Beim Versuch, ihn zurück in die Wohnung zu ziehen, hatte der Angeklagte auch mehrfach mit der Schere in Richtung der Beamten gestochen.

Der Fall wurde auf eine kleine Rechts-Odyssee geschickt. Er landete zunächst am Amtsgericht Pirna. Für das Amtsgericht war aber klar: Der Marokkaner wollte seine Drohung wahr machen und sich und sein Baby umbringen. Als versuchtes Tötungsdelikt verwies es den Fall an die Schwurgerichtskammer des Landgerichts in Dresden. Die jedoch wertete die Drohung, mit dem Kind vom Dach zu springen, „nur“ als Widerstandshandlung gegen Vollstreckungsbeamte und gab das Verfahren zurück ans Amtsgericht, wo es seit Mittwoch verhandelt wird.

Andreas Beeskow, vorsitzender Richter des Schöffengerichts in Pirna, teilt die Ansicht des Landgerichts nicht, ist aber an dessen Entscheidung gebunden. Beeskow obliegt es nun, in den kommenden Prozesstagen festzustellen, was sich tatsächlich in Heidenau abgespielt hat.

Um die Taten des wegen kleinerer Delikte bereits vorbestraften Marokkaners juristisch genau bewerten zu können, werde der Vorfall auf dem Dach im Verfahren auf jeden Fall zur Sprache kommen, kündigte er an. Ach wenn der 27-Jährige nun nicht wegen versuchter Tötung, sondern nur wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung, Nötigung und Bedrohung angeklagt ist.

Am 5. April wird weiter verhandelt. Sollten dann Tatsachen festgestellt werden, die einen Tötungsvorsatz beweisen, würde der Fall wieder ans Landgericht gehen.