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Wo der Spaß aufhört

Der Karikaturist Til Mette gewann in Dresden zweimal den Deutschen Karikaturenpreis. Jetzt verkaufen er und seine Kollegen ihre Zeichnungen, um Flüchtlingskindern in Dresden etwas zurückzugeben.

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Von Peter Ufer

Til Mette ist ein kantiger Kerl mit lockigem Haar. Der kommt nicht einfach so rein ins Zimmer, der wirbelt die stehende Luft auf. Dann redet er. Jedes Jahr kommt der Karikaturist aus Hamburg in Sachsens Hauptstadt, weil hier der Deutsche Karikaturenpreis vergeben wird. Zweimal hat er den schon gewonnen. Er mag Dresden, fühlt sich hier immer herzlich empfangen und gut aufgehoben. Doch zurzeit höre er in Hamburg wenig Lustiges über Dresden.

Eine Auswahl der Karikaturen

Burkhard Fritsche: Der Führer und die Taliban
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Marcus Gottfried: Ouzo aufs Haus
Marcus Gottfried: Ouzo aufs Haus
Til Mette: Juden
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Harm Bengen: Krippe
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Sakurai: In der guten Stube
Sakurai: In der guten Stube

„Durch Pegida erleidet die Stadt einen Ruf, den sie nicht verdient hat“, sagt Mette. Das bürgerliche Dresden müsse sich noch viel mehr regen. „Jeder muss das tun, was er kann“, sagt er. „Ich kann zeichnen.“ Und deshalb startet er jetzt eine Aktion. Gemeinsam mit anderen Zeichnern in Deutschland will er Asylsuchende in Dresden unterstützen. „Vor allem wollen wir Kindern helfen, denn die leiden am meisten“, sagt Mette. Hochwertige und signierte Drucke sollen verkauft werden. Der Erlös geht an das Projekt „Wir sind am Ball“ des Ausländerrates Dresden und des Sportvereins Mickten mit Kindern und Jugendlichen der Zeltstadt Bremer Straße. Trainer geben Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, verschiedene Ballsportarten auszuprobieren. Aus den Erlösen des Cartoonverkaufs werden die Kosten für die Hallenmiete sowie für Hallenturnschuhe finanziert. Die Dresdner können so ihr „Willkommen“ zeigen, können sich Karikaturen wie eine Urkunde zu Hause, in die Praxis oder die Kanzlei hängen – damit jeder sieht, wie offen und herzlich die Stadt eigentlich ist.

Warum Til Mette das tut? Das hat mit seinem Leben zu tun. 1956 kam er in Bielefeld zur Welt, genau wie seine drei Geschwister. Doch als die Familie vollständig schien, da bemerkten die Eltern, dass ihr Zusammensein ein Irrtum war. Blöd gelaufen. Trennung. Seine Schwester musste plötzlich mit einem Hirntumor kämpfen, die Mutter überbeschäftigt mit all den Sorgen, schickte den Sohn aufs Internat. Er fühlte sich wie auf der Flucht. Der Junior wanderte durch Schulklassen und Schulen, acht Wechsel in vier Jahren, Reise durch verschiedene Bundesländer und damit Lehrpläne. Irgendwann verzichtete er darauf, schon wieder neue Lehrbücher zu besitzen. Das war 1970, sein 13. Lebensjahr und ein Zeugnis mit einer Vier drauf. Der Rest Fünfen und Sechsen. Da mochte Til am liebsten nicht mehr da sein.

Infos zur Aktion

Jeder kann sich die Karikaturen online ansehen, auswählen und bis zum 6. November kaufen. Sie werden bis zur Preisverleihung des Deutschen Karikaturenpreises am 15. November hochwertig im Format A3 produziert, signiert und ab 16. November versendet.

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Doch Verschwinden bringt nichts. Man muss sich der Realität stellen. Mette tut das mit Zeichenstift und Papier. „Ich habe schon immer gezeichnet“, sagt der 58-Jährige. Seine Karikaturen wirken wie das Irgendwas, das sowieso ständig dazwischenkommt. „Ich bin aber deshalb noch lange kein Fatalist“, sagt Mette, der später noch auf dem Oberstufen-Kolleg das Abitur absolvierte und in Bremen Kunst und Geschichte studierte. Er wollte Pfarrer oder Lehrer werden. Und zeichnete. Zeichnen kann man lernen, meint Mette, Humor nicht. „Den hat man oder nicht.“

Er hat ihn. Sein komisches Irgendwas unterhält. Ausgestattet mit Anstandsregeln und Gerechtigkeitssinn verfolgt er, was passiert. Und da ständig etwas Ungerechtes und Anstandsloses passiert, geht ihm der Stoff nicht aus. Er betreibt eine ausgezeichnete Vorsorge für aussichtslose Situationen. In einer seiner Karikaturen sitzt beispielsweise ein Ehepaar auf dem Stubensofa und erklärt einer Besucherin: „Damit wir uns später mal keine Vorwürfe machen müssen, haben wir schon mal einen Juden im Keller versteckt.“ Auch bei dem Paar kam wohl was dazwischen, in diesem Fall der Verlust des gesunden Verstandes. So krank ist die Gesellschaft, meint Mette. Er hält immer kurz vor der Peinlichkeit an, aber er lässt sie mitdenken. Das ist sein Witz.

In den USA hat er den verfeinert. 1992 flog er mit seiner Frau, die 1987 aus der DDR in den Westen geflüchtet war, über den großen Teich nach New York. Ina, Wissenschaftlerin, hatte da einen Job bekommen. Er folgte ihr. Malen konnte er auch dort. Sie wurden herzlich in der Stadt empfangen, fanden schnell Freunde. Doch wieder wäre fast etwas dazwischengekommen. Denn das Leben an der amerikanischen Ostküste ist teuer. Die mäßigen Einkünfte einer Wissenschaftlerin und eines Karikaturisten standen im krassen Gegensatz zu den Ausgaben einer Familie mit zwei Kindern in einem durchschnittlich wohlhabenden Stadtteil New Yorks. Nach drei Jahren planten Til und Ina die Heimkehr.

Aber wieder kam etwas dazwischen. Til Mette hatte sich immer wieder bei der Zeitschrift Stern in Hamburg beworben, und plötzlich kam der Sechser im Lotto. Der Karikaturist unterschrieb einen Exklusivvertrag. Sein Haushaltnettoeinkommen reichte jetzt für den weiteren Aufenthalt in New York. 14 Jahre blieb er dort, wurde amerikanischer Staatsbürger. Und er lernte, dass eine Karikatur nicht politisch oder mahnend sein sollte, sondern lustig. Er lernte, dass Humor am besten wirkt, wenn er persönliche Geschichten offen erzählt. Dann entsteht Glaubwürdigkeit.

Nach 2011 änderte sich vieles in New York. Ständige Sicherheitskontrollen, permanente Überwachung. Til Mette sah die Zeit gekommen, zurück nach Deutschland zu gehen. Er ging samt Familie nach Hamburg. Dort wurde er wieder herzlich aufgenommen. „Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben. Immer, wenn ich irgendwo ankam, wurde ich willkommen geheißen. Und Dresden und dem Deutschen Karikaturenpreis verdanke ich sehr viel. Es ist die Zeit gekommen, etwas zurückzugeben“, sagt er.