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„Wir wissen sehr wenig über die Flüchtlinge“

Wissenschaftler sächsischer Hochschulen wollen gemeinsam fremdenfeindliche Tendenzen erforschen. Dafür widmen sie sich zunächst den Asylbewerbern.

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© dpa

Von Thilo Alexe

Die Debatte um den Zuzug von Asylbewerbern und den erstarkenden Rechtspopulismus erfasst auch die Wissenschaft. Forscher sächsischer Hochschulen haben ein Netzwerk gegründet, das Integration, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus erforschen will. An dem Verbund mit dem Kürzel Ifris beteiligen sich die Unis in Dresden, Leipzig und Chemnitz sowie das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung.

Sie verweisen bei der Vorstellung am Dienstag in Dresden darauf, dass „die große Zahl ankommender Menschen“ auch in Sachsen „mit weitreichenden gesellschaftlichen Konflikten“ einhergehe. „Die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung konnte in Dresden bis zu 25.000 Menschen mobilisieren“, heißt es in einer Erklärung. Und der Rechtsextremismusforscher Steffen Kailitz betont mit Blick auf Sachsen im vergangenen Jahr: „In keinem anderen Bundesland war die Zahl fremdenfeindlicher Ausschreitungen gegen Unterkünfte und Flüchtlinge höher.“

Die Forscher, zu denen die Leipziger Oliver Decker und Gert Pickel gehören, wollen zu einer Versachlichung beitragen. Dazu gehört Grundlagenarbeit zur Situation von Flüchtlingen, die, wie es heißt, zu „Möglichkeiten der Eindämmung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Sachsen beitragen soll“.

In einem ersten Schritt soll die Lage von Asylbewerbern analysiert werden. „Wir wissen sehr wenig über die Flüchtlinge“, sagt Kailitz. Bei geplanten Befragungen geht es dem Team zufolge nicht nur um deren Herkunft. Auch Sozialisation, Wertvorstellungen, Einstellungen zum westlichen politischen System und das Empfinden der Situation in Deutschland sollen eine Rolle spielen. „Was bringen die Leute mit? Was erleben sie?“, umreißt die Sozialforscherin Antje Röder von der TU Chemnitz den Fragenkatalog. Ergebnisse soll es frühestens in einem Jahr geben. „Es muss ja irgendwie belastbar sein“, sagt der Leipziger Politologe und Religionssoziologe Pickel.

Der Rechtsextremismusforscher Decker schließt nicht aus, dass künftig auch die sogenannte hate speech – fremdenfeindliche Hetze – im Internet erforscht wird. Doch zunächst geht es um die Menschen, die nach Deutschland kommen. Untersucht werden soll dabei auch, welche Wirkung Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auf deren Integrationsperspektiven haben. Mit einer Anschubfinanzierung von 60 000 Euro bis zum Jahresende unterstützt das sächsische Wissenschaftsministerium den Forscherverbund. Der sieht die Arbeit als langfristig an und will sich nach und nach erweitern.

Zu Pegida gibt es Forschung, allerdings basiert sie teils auf knappen Daten. Nicht alle gefragten Demonstranten wollten mit Wissenschaftlern reden. Ifris will mit Befragungen die Basis verbreitern. „Wir arbeiten vor allem empirisch“, sagt Pickel.

Dabei versteht sich das Projekt auch als beratend für die Politik. Die Ergebnisse sollen nicht im wissenschaftlichen Raum bleiben. Im Dresdner OB-Wahlkampf hatte CDU-Kandidat und Innenminister Markus Ulbig die Schaffung eines Pegida-Instituts angeregt. Das will Ifris jedoch nicht sein. Die Initiative, sagen die Forscher, komme von ihnen und nicht durch einen Hilferuf der Politik. Allerdings fördert Sachsen auch den Aufbau eines Zentrums für Integrationsstudien in Dresden.