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„Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind“

Dresdens Justiz muss viel Kritik wegstecken. Packt sie Neonazigegner zu hart an? Der Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Dresden sagt: Nein.

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Von Thilo Alexe und Alexander Schneider

Nach einem umstrittenen Urteil gegen einen Anti-Neonazidemonstranten sieht sich Dresdens Justiz schweren Vorwürfen ausgesetzt. Für SPD-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ist der Richterspruch „höchst befremdlich“. Die Linkenvorsitzende Katja Kipping schämt sich. Und der Landeschef der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Harald Baumann-Hasske, fragt: „Sollen jetzt Personen, die ihr verfassungsmäßiges Recht auf Versammlung wahrnehmen wollen, durch unverhältnismäßige Strafen davon abgehalten werden?“

Wie können Neonazis gestoppt werden? Autonome versuchten es im Februar 2011 in Dresden mit brennenden Barrikaden. Die Gewalt von links hat ein juristisches Nachspiel. Die Aufarbeitung ist heikel und sorgt für heftige Debatten. Foto: dpa
Wie können Neonazis gestoppt werden? Autonome versuchten es im Februar 2011 in Dresden mit brennenden Barrikaden. Die Gewalt von links hat ein juristisches Nachspiel. Die Aufarbeitung ist heikel und sorgt für heftige Debatten. Foto: dpa

Vergangene Woche verurteilte das Amtsgericht Dresden den 36-jährigen Berliner Tim H. unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten. Das Urteil sorgte für Wirbel, weil der nicht vorbestrafte H. keine Bewährungsstrafe erhalten hatte. Im Internet entstand rasch eine heftige Diskussion.

H. soll am 19. Februar 2011 zum Durchbrechen einer Polizeikette aufgerufen haben. Vier Beamte wurden bei dem Durchbruch verletzt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidigung und Staatsanwaltschaft fechten es an. Die Anklagebehörde will eine höhere Strafe.

Nicht zum ersten Mal steht Sachsens Justiz am Pranger. Tenor: Vor allem bei den Protesten gegen Neonaziaufmärsche rund um den Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar reagiere sie unverhältnismäßig. Friedliche Blockierer, so die Kritik, bekommen rasch Post vom Staatsanwalt. Die Polizei habe im großen Stil Handydaten von Demonstranten erhoben. Gewalttätern aus dem rechten wie linken Spektrum drohe dagegen wenig Repression.

Jürgen Schär, Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Dresden, stöhnt, wenn er diese Vorwürfe hört und entgegnet: „Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind.“ Zwar seien in seiner Abteilung auch die rund 350 Verfahren gegen mutmaßliche Blockierer vom 19. Februar 2011 bearbeitet worden. Doch im Mittelpunkt der Ermittlungen stehe nach wie vor die Verfolgung von erheblichen Straftaten, die an diesem Tag sowohl von Gegendemonstranten als auch von Rechtsextremisten begangen worden seien. Schär zufolge ist gerade die Ermittlung von Gewalttätern besonders aufwendig und langwierig.

Die Beamten mussten unzählige Video-Bänder ansehen, um Täter herauszufiltern und zu identifizieren. Diese waren aus dem ganzen Bundesgebiet nach Dresden gereist. „Wir haben bei einigen Beschuldigten mehrere Vorwürfe eingestellt, damit wir sie schneller anklagen können“, sagte Schär. Er sei jedoch unzufrieden damit, dass viele Verfahren dann länger vor Gericht liegen.

In den oft hitzigen Debatten rund um angebliche und tatsächliche Ermittlungspannen zum 19. Februar hätte er sich mehr Unterstützung von Regierung und Politik gewünscht, sagt Schär dann aber doch. Über hundert Berichte habe seine Abteilung erstellen müssen, Antworten auf Landtagsanfragen, Ministerien, Datenschützer, Vorgesetzte. Aufgrund dieser Arbeit seien bei der Strafverfolgung Monate verloren gegangen.

Zum Verfahren gegen Tim H. äußert sich der Chef der Staatsschutzabteilung nicht, da es bislang nicht abgeschlossen ist. Er legt Wert darauf, dass die Behörde nicht nur gegen Verdächtige aus der linken Szene vorgehe. Schär kündigte weitere Anklagen an – „auch gegen mutmaßliche Rechtsextremisten“. Bislang wurden 48 beschuldigte Gewalttäter angeklagt. Zwei Dutzend Prozesse wurden geführt, knapp die Hälfte gegen Jugendliche unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die Debatten dürften sich zuspitzen. Nicht nur, weil der nächste 13. Februar vor der Tür steht. Im März soll der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König beginnen. Auch er wird wie Tim H. wegen Landfriedensbruchs beschuldigt.