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„Wir sind doch keine Ticket-Rambos“

Der Görlitzer Fahrscheinkontrolleur Ralph Heselbart ist es leid, ständig Kritik zu hören: „Wir machen nur unseren Job.“

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© Ralph Schermann

Ralph Heselbart war fast 20 Jahre Polizist. Später war er Wachschützer, begann 2010 in der Dussmann Gruppe und kontrolliert dort im Auftrag der Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG) Fahrscheine. Zurzeit kontrollieren vier Dussmann-Leute, dazu kommen acht weitere aus Subunternehmen. Ralph Heselbart, 63 Jahre alt, hat sie alle ausgebildet und zur Industrie- und Handelskammer begleitet. Denn ohne deren Sachkundeprüfung darf mittlerweile niemand mehr Kontrollen vornehmen. Doch trotz aller Sachkunde – immer wieder stehen VGG-Kontrolleure in der Kritik. Jüngst sollen sie gar einen Jugendlichen verprügelt haben, berichtete die SZ. Soziale Medien tobten. Ralph Heselbart auch.

Herr Heselbart, eigentlich dürfen Sie nicht mit der Presse reden, sagt Ihr Unternehmen. Riskieren Sie Ihren Job?

Das ist mir egal, ich nähere mich der Rente. Nein, ich kann das Herumgehacke auf uns nicht mehr aushalten. Ich habe als Chef der VGG-Kontrolleure Verantwortung für meine Leute. Wenn jetzt bei Facebook sogar Aufrufe zu finden waren, gegen uns mit Gewalt vorzugehen, dann kann ich das nicht einfach hinnehmen. Denn die Vorwürfe sind haltlos. Wir haben noch nie Fahrgäste geschlagen, schon gar nicht getreten, wie jetzt geschrieben wurde. Wer so etwas behauptet, der soll es beweisen.

Die Staatsanwaltschaft hatte 27 Strafanzeigen wegen Körperverletzung durch Kontrolleure auf dem Tisch.

Alle, ich betone alle, diese Verfahren wurden eingestellt. Nicht nur, weil sich Aussagen widersprachen, sondern auch, weil Anzeigeerstatter falsche Angaben machten. Vielleicht sollten wir auch Anzeigen einreichen, nämlich wegen Verleumdung?

Sie rühren also kontrollierte Fahrgäste in keiner Weise körperlich an?

Quatsch, natürlich geht auch von uns eine gewisse Gewalt aus, aber eben kein grundloses Schlagen. Wer ohne Ticket erwischt wird, zahlt. Zahlt er nicht, nehmen wir seine Personalien auf. Das kann durchaus über die beabsichtigte Haltestelle hinaus dauern. Oder einer verweigert, sich auszuweisen. Dann muss die Polizei her, und es kann dauern, bis die Streife eintrifft. Wer dann weg will, den halten wir fest. Wehrt er sich, begegnen wir dem. Auch das Armlegen auf den Rücken und das Fixieren mit Handschellen können Mittel der Deeskalierung sein. Ganz rabiate Erwischte können da sogar „auf den Boden gelegt“ auf die Polizei warten. Aber es geht um Ursache und Wirkung: Wenn Gewalt, dann begegnen wir ihr, nicht andersherum. Die Übergänge sind freilich fließend, vielleicht mal einen Tick drüber, zugegeben. Es ist nicht leicht, Abwehrhandlungen in Sekundenschnelle auch lehrbuchgerecht zu takten. Aber wir sind doch keine „Ticket-Rambos“.

Anders gesagt: Wer sich ordentlich verhält, hat nichts zu befürchten?

So ist es – und auf rechtlicher Grundlage. Schwarzfahren ist nicht, wie früher, ordnungswidrig. Das heißt heute Leistungserschleichung und ist eine Straftat. Die VGG ist sehr kulant, wenn sie nach dem Kassieren von 60 Euro erhöhtem Beförderungsentgelt nicht noch eine Anzeige bei der Polizei einreicht. Denn unabhängig der 60 Euro könnte jede Leistungserschleichung eben als Straftat noch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Auch der Versuch ist strafbar. Auch deshalb ist das Festhalten Betroffener zur Personalienfeststellung für uns zwingend vorgegeben, als Verfolgung eines Straftatverdachtes auch außerhalb von Bus und Bahn, und eben keine „Freiheitsberaubung“, wie es uns manche unterstellen.

Bei Facebook findet sich nicht nur Kritik: „Mir sind diese Menschen nicht sympathisch, aber sie sind freundlich.“ Oder: „Gäbe es keine Schwarzfahrer, bräuchten wir sie nicht.“

Ja, wir denken, dass man uns an den Uniformen rechtzeitig erkennt. In Zivil sind wir auch unterwegs, aber nur selten, weil es ja unsere Privatbekleidung ist. Jedenfalls sind wir 2017 schon jetzt bei 2 700 Feststellungen und damit über dem Vorjahr.

Weil Sie am Monatsersten Jagd auf Monatskarteninhaber machen und auf Touristen, die Tickets nicht entwerten?

Klischees. Wir haben laut Vertrag keinerlei Spielraum. Wer am 1. Juni mit der Mai-Monatskarte fährt, hat keinen gültigen Fahrschein. Wir machten zwei Tests: Einmal haben wir vor Monatswechsel jeden darauf hingewiesen. Ergebnis: Am Ersten hatten 41 die alte Karten. Nächsten Monat haben wir nicht darauf hingewiesen und am folgenden Ersten  fünf Jugendliche erwischt. Wie will man das einschätzen oder uns vorwerfen? In Fällen, wo nachweislich bezahlte Tickets vorhanden sind, aber nur vergessen wurden, werden zudem auch nicht 60, sondern nur sieben Euro Gebühr erhoben.

Und die Touristen?

Es kann niemand ernsthaft davon ausgehen, dass in Görlitz alles so ist wie an seinem Wohnort. Natürlich muss sich jeder erkundigen oder einfach mal das Ticket lesen, da steht darauf, dass es zu entwerten ist. Ohnehin tun viele so, als wüssten sie nichts. Für einen Hund bezahlen, für eine Fahrradmitnahme – kaum zu glauben, wo wir überall die Augen zudrücken sollen.

Bei Facebook berichtete eine Frau Mueller, dass sie erlebt habe, wie Fahrgäste gegenüber Kontrolleuren ausrasteten.

Die Respektlosigkeit nimmt zu, auch bei Kindern. Neulich sagte ich einem Zwölfjährigen, er möchte seinen Rucksack vom Platz nehmen, damit eine Dame sich setzen kann. Antwort: Halts Maul! Ein Vater, der sich nicht um zwei Vierjährige kümmerte, die in der Bahn krabbelten, bedeutete mir, mich „zu verpissen“. Wenn bei einer Bremsung die Kinder sich verletzten sei das seine Sache. Ein 17.45 Uhr mit 18-Uhr-Ticket Erwischter tobte, bis die Polizei kam. Dann stellte sich heraus, dass er erst kurz zuvor bei einer Kontrolle gegen 17 Uhr ein 18-Uhr-Ticket vorzeigte. Einem Kind habe ich mal 1,10 Euro für ’nen Fahrschein geschenkt, als „Dank“ erwische ich ihn als Jugendlichen jetzt immer wieder beim Schwarzfahren. Wir hören nicht mehr hin, wie oft wir „Arschloch“ genannt werden. Wer uns kritisiert, kann gern eine Woche Praktikum machen, dann wird er anders denken. Ein Kollege bekam spontan einen Fausthieb ins Gesicht. Zum Glück in einem Bus mit Videokamera, sonst hätte vielleicht wieder einer behauptet, wir hätten angefangen. So war diese Körperverletzung nachweisbar, und weil der Schläger auf Bewährung draußen war, ist er jetzt im Knast wieder drin. Sie können bei keinem sicher sein, wie er reagiert. Immerhin erwischen wir alle Bevölkerungsschichten...

... und verängstigen Kinder?

Unsinn. Es kann sein, dass unsere schwarze Uniform einschüchternd wirkt, aber erwischte Kinder haben meist mehr Angst vor der Beichte zu Hause als vor uns.

Auch nach diesem Interview werden Sie bestimmt weiter in der Kritik stehen.

Das ahne ich. Ich weiß natürlich, dass uns viele nicht mögen. Aber die Einhaltung der Tarife muss durchsetzt werden. Das wollte ich wenigstens mal gesagt haben.

Gespräch: Ralph Schermann