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„Müssen aus dem Naziverdacht raus“

Heidenaus Bürgermeister wurde über Nacht bekannt. Zwei Wochen nach den Krawallen zieht Jürgen Opitz Bilanz.

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© Daniel Förster

Es begann mit einem Anruf. Am 18. August wurde Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz mitgeteilt, in drei Tagen ziehen 600 Flüchtlinge in den ehemaligen Praktiker-Baumarkt in seiner Stadt. Was in den folgenden Tagen geschah, machte Heidenau unrühmlich weltbekannt. Der CDU-Politiker Opitz nahm seitdem die Herausforderung an und jede Gelegenheit wahr, seine Stadt aus der braunen Ecke, in die sie plötzlich gestellt wurde, herauszuholen. Woher nimmt er dafür die Kraft?

Herr Opitz, Sie werden inzwischen persönlich bedroht. Ein Zettel im privaten Briefkasten, Mails. Wie konkret sind diese Bedrohungen?

Ich möchte aus unterschiedlichen Gründen dazu nichts sagen.

Eine persönliche Drohung ist eine neue Stufe der Auseinandersetzung …

Eine Drohung ist eine Drohung. Wenn mehrere Hundert Leute vor meinem Haus skandieren, wie am 21. August geschehen, ist das genauso eine Drohung. Ich frage mich eher, da ich mich als Bürgermeister für alle Heidenauer sehe, wie ich an die Leute rankomme, die so von Hass beseelt sind. Wie können wir vernünftig miteinander reden, ohne niedergebrüllt zu werden? Grundsätzlich kann und will ich mit allen Menschen reden.

Sie haben den Heidenauern einen Dialog in kleinen Gruppen angeboten. Wie wird er angenommen?

Ein junger Mann kam am Montag direkt nach meinem Fernseh-Interview, in dem ich das Angebot wiederholte, auf mich zu. Wir unterhielten uns 20 Minuten gut, und er hat sich bedankt. Am Dienstagabend waren etwa 20 Handwerker und Unternehmer zwei Stunden bei mir. Wir haben uns ausführlich zur Asylpolitik in Europa, Deutschland und Heidenau ausgetauscht, viele Missverständnisse aufgeklärt. Der Dialog in der kleinen Form ist ein Mechanismus, der unser Land vor über 25 Jahren vor schweren Auseinandersetzungen bewahrt hat. Er sollte wieder funktionieren.

Was erwidern Sie Leuten, die Heidenau jetzt als braunes Nest bezeichnen?

Viele Menschen in Heidenau sind sich gar nicht sicher, ob sie schon Nazis sind. Sie fragen mich, wenn sie die Asylpolitik nicht gutheißen, sind sie dann schon Nazis? Definitiv nicht. Die Asylpolitik ist eine Sache, die besser gemacht werden muss, und das können kritische Staatsbürger sagen. Diese Meinung kann man äußern, auch in einer Demo. Aber: Gegen wen richtet sich meine Meinungsäußerung, und wenn diese mit Hass, Hetze und Gewalt verbunden ist, wenn die Menschen, die hierherkommen, verunglimpft werden, das ist Rassismus. Da gilt es, eine klare Grenze zu ziehen. Und wenn politische Losungen aus dem Dritten Reich laut werden, muss jedem klar sein, da ist er auf der falschen Demo.

Wie soll auf der einen Seite Abgrenzung, auf der anderen Dialog stattfinden?

Das eine, die Asylpolitik, ist das Verfahren, das andere sind die Menschen. Das muss man trennen. Ich bin selbst von der Art und Weise, wie diese Politik derzeit betrieben wird, betroffen und nicht zufrieden. Sie besser machen zu wollen, kann Ärger und Frust ausräumen. Gedeihliches Zusammensein kann nur möglich sein, wenn Aggressionen unterbleiben und wir Wege finden, ohne Gewalt in gleichberechtigten Dialog zu treten. Der eigenen Meinung mit verbaler und körperlicher Gewalt Nachdruck zu verleihen, funktioniert nicht in einer Stadt, in der man sich an vielfältigen Stellen wiedersieht.

Von wem erhalten Sie Unterstützung, von wem wünschen Sie sich noch mehr?

Bei der Sorge um die Menschen, die zu uns gekommen sind, ist die Unterstützung aus der Bevölkerung erstaunlich. Für den anderen Prozess brauche ich Signale aus der großen Politik, dass aus Heidenau etwas gelernt wurde. Persönlich bekomme ich die Rückendeckung vieler Menschen aus ganz Deutschland.

Was wird aus Heidenau?

Wir haben viel für die Menschen getan, und viele Menschen haben viel für die Stadt getan. Das werden wir wieder mehr in den Mittelpunkt stellen. Wir haben weder unseren Heidenau-Song noch den Slogan der familienfreundlichen Stadt gelöscht, weil das nach wie vor unser Anspruch ist. Dass das als Gebergemeinschaft zu verstehen ist, haben viele nicht begriffen. Wir müssen aus dem Generalverdacht, Nazi oder Pack zu sein, raus. Jeder wird für sich den Weg finden müssen, sich als mündiger Bürger zu äußern. Jeder, der den Satz „Ich bin ja nicht gegen Ausländer, aber“ sagt, sollte überlegen, welche Signale er damit setzt.

Sie stehen seit nunmehr fast zwei Wochen täglich in der Öffentlichkeit, haben zig Interviews gegeben, Gespräche geführt. Woher nehmen Sie die Kraft?

Ich bedanke mich insbesondere bei meiner Stellvertreterin, dass sie mir den Rücken freigehalten hat, und der gesamten Stadtverwaltung. Viel Kraft geben mir das Danke, das „kämpfen Sie weiter“ zahlreicher Heidenauer.

Das Gespräch führte Heike Sabel.