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Heidenau feiert Willkommensfest

Auf dem Willkommensfest für Flüchtlinge schaute wieder einmal Politprominenz vorbei. Innenminister Markus Ulbig aber wurde regelrecht vertrieben.

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© Robert Michael

Von Ulrich Wolf und Jörg Stock

Heidenau. Die Kampfansage macht Cem Özdemir schon am frühen Morgen. In der ARD kündigt der Bundesvorsitzende der Grünen an, in jedem Fall nach Heidenau zu reisen. Zum Willkommensfest, zu dem mehrere Initiativen rund um das Bündnis Dresden Nazifrei aufgerufen hatten. Dabei stand zu dieser Zeit noch gar nicht fest, ob das wirklich stattfindet. Denn der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hatte jede Versammlung wegen „eines polizeilichen Notstands“ untersagt.

Das Willkommensfest in Heidenau

In Heidenau wurde am Freitagnachmittag ein Willkommensfest gefeiert.
In Heidenau wurde am Freitagnachmittag ein Willkommensfest gefeiert.

Özdemir hat das als Skandal aufgefasst, als „Kapitulation des Rechtsstaates“. Und ruft im Fernsehen dazu auf, mitzukommen. Nach Sachsen, wo der 49 Jahre alte Sozialpädagoge und Spitzenpolitiker eine Hassfigur ist – zumindest für Pegida, für rassistisch geprägte Bürgerwehren und „Nein-zum-Heim-Sager“. Als er sich gegen Mittag in Berlin in den Zug setzt, wird ein Interview bekannt, das der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, dem nationalkonservativen Blatt Junge Freiheit gegeben hat. „Es ist ein unverantwortliches Signal, wenn Herr Özdemir öffentlich zu Rechtsbruch auffordert“, sagt er darin. Wendts eigener Mann in Sachsen hingegen, Hagen Husgen, macht die Staatsregierung für den Polizeinotstand verantwortlich. „Es ist erbärmlich, dass es so weit gekommen ist.“ Und Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth von der CDU twittert: „Versammlungsverbot in Heidenau? Voraussetzungen zweifelhaft, Wirkung fatal – ab zur Prüfung an das Verwaltungsgericht.“ In dem Internetnachrichtendienst steigt der Hashtag #Sachsenkapituliert rasch auf den ersten Rang.

Als Özdemir in Dresden ankommt, setzt er sich mit sächsischen Parteifreunden in einen roten VW-Kleinbus von teilauto.net und lässt sich erst einmal zum Bäcker fahren. Kuchen kaufen. Kirschstreusel für Flüchtlinge. Ein Passant, Mitte 30, erkennt ihn und sagt, er schäme sich für das Geschehen in Sachsen. Da ist bereits klar: Das Verwaltungsgericht Dresden hat zwischenzeitlich das Versammlungs- und Demonstrationsverbot kassiert. Der polizeiliche Notstand sei nicht hinreichend vorgetragen und belegt worden, heißt es in der Entscheidung. Den Eilantrag hatte ein Jurastudent aus Bonn gestellt, der an einer Dresden-Nazifrei-Kundgebung teilnehmen wollte und bereits auf dem Weg nach Sachsen war.

Auf der Autobahn nickt Özdemir kurz ein. Sein kleiner Tross ist kurz vor der Ausfahrt Pirna/Heidenau, als in den Radionachrichten zu hören ist, dass die Zahl der Asylsuchenden in Sachsen in diesem Jahr auf 40 800 steigen wird. In Mittweida wird die nächste Notunterkunft als Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet – in einer Sporthalle, nicht, wie in Heidenau, in einem ehemaligen Baumarkt.

Dort tanzen sie. Auf einer Wiese, gleich nebenan. Dieselben müden Gestalten, die man tags zuvor noch mit scheuen Blicken über den Vorplatz ihrer Notunterkunft hatte schlappen sehen, bewegen sich jetzt im Rhythmus der Musik mit hochgezogenen Mundwinkeln und lachenden Augen. Das hat Pablo geschafft, der Frontmann der Heidelberger Band Irie Révoltés. Er steht unter einem roten Zeltdach und lässt französischen Sprechgesang wummern. Tunesier und Marrokaner werden ihn verstehen, zudem ist es der perfekte Soundtrack gegen einen Lagerkoller.

Rund fünfhundert Menschen sind da. Der Grill ist angefeuert, eine Hüpfburg aufgepustet, ein Zwölf-Tonnen-Lastwagen aus Berlin mit Spenden entladen. Auf der Wiese liegen aufgerissene Pakete. Kinder stürzen sich auf Spielzeuge, Mütter wühlen nach Kinderkleidung. Jeder Flüchtling will etwas Passendes ergattern, auch Duschbad, Deos und Zahnpasta sind gefragt.

Der Syrer Abdul Rahman Hissun, 47, zwängt Hosen und T-Shirts in einen alten Koffer. Nein, sagt er auf Englisch, die sind nicht alle für ihn. Seine Frau und die drei Söhne, sechs, zwölf und fünfzehn Jahre alt, und er hätten nur das auf der Flucht retten können, was sie am Leib trügen. Ingenieur sei er gewesen, erzählt er, und seine Frau Lehrerin. „Wir hatten ein gutes Leben und genug Geld. Dann kam der Krieg, und Präsident Assads Hubschrauber ließen Bomben auf mein Haus regnen. Es ist abgebrannt.“

Gleich neben dem Grill platziert Özdemir seinen Kuchen auf einem provisorischen Stand unter einem weißen Partyzelt. Für Gespräche mit den Flüchtlingen ist zunächst kaum Zeit, zahlreiche Journalisten stürzen sich auf ihn. Nicht nur deutsche, auch Fernsehteams aus Schweden, Italien, Japan und Tschechien brauchen Bilder von einem anderen Heidenau. Von einem fröhlichen und bunten, das fremde Menschen willkommen heißt. „Wir sind nicht die Störer. Das sind die Nazis!“, sagt Festorganisator Henning Obens.

Ali, Abduls jüngster Sohn, kommt strahlend mit einem riesigen Schulranzen angerannt. Er hat ihn in den Klamottenbergen auf der Wiese entdeckt. Sein Vater hofft, dass er ihn auch benutzen darf. Die Familie wolle nicht mehr zurück nach Syrien, sagt er. „We like Germany – wir mögen Deutschland.“ Aber er will raus aus diesem Lager, möglichst schnell. Die Baumarkthalle sei voller Menschen. Immer Bewegung, immer Lärm, keine Ruhe zum Schlafen. Ob die Kinder wenigstens irgendwo spielen können? Der Vater tippt auf seinem Handy herum, das aus arabischen Schriftzeichen englische macht. „We have no place to play“, steht da. „Wir haben keinen Platz zum Spielen.“

Özdemir tingelt derweil von Interview zu Interview. Ein Schwarzafrikaner beobachtet die Szenerie skeptisch, wendet sich ab und kommentiert: „Blablabla.“ Kurz spricht der Spitzenpolitiker einmal mit einem syrischen Jungen, zwei, drei Brocken auf Arabisch, dann versucht er es auf Englisch. Das klappt auch nicht so richtig, aber sie lächeln sich an. Der Spitzenpolitiker, Sohn türkischer Einwanderer, entdeckt eine Dame im Rollstuhl. „Ich bin hier, um mit den Flüchtlingen zu feiern“, sagt sie. Ulrike Meitzner heißt sie, und sie fürchtet, dass an ihrem Wohnort der Hass so hochkochen könnte wie in Heidenau. Die 43-Jährige lebt im Dresdner Stadtteil Laubegast, wo ein leer stehendes Hotel als Asylunterkunft vorgesehen ist. Die Oberbürgermeister-Kandidatin von Pegida holte dort im Juni fast 17 Prozent. „Darüber könnte ich heute noch kotzen“, sagt Meitzner.

Aus Heidenau selbst sind nicht viele Leute gekommen. „Ein Fünftel vielleicht“, sagt eine Einheimische. Viele junge Leute sind da, die meisten aus Dresden, und offensichtlich etliche Aktivisten aus der Antifa-Szene. Aber es gibt auch die Szene, in der eine junge Frau Özdemir einen Brief übergibt, nur eine halbe Seite lang. Der liest aufmerksam, ist sichtlich gerührt. Später erzählt die Frau, in dem Brief erkläre sich ein Heidenauer Ehepaar bereit, die Patenschaft für das erste Kind zu übernehmen, das in dem Asylprovisorium geboren werde. Den Namen des Paares will sie nicht nennen, das fürchte Repressalien in der Stadt.

Was das bedeuten kann, erlebt Sachsens Innenminister Markus Ulbig diesmal selbst. Er taucht völlig überraschend auf dem Willkommensfest auf, ist aber alles andere als willkommen. „Hau ab!“, wird aggressiv skandiert. Man zeigt ihm den Stinkefinger. Er könne die Kritik nur teilweise verstehen, sagt Ulbig. „Weil ich mit dafür gesorgt habe, dass diese Veranstaltung hier stattfinden kann.“ Nach nur wenigen Minuten zieht sich der CDU-Mann zurück. Er schafft es nicht einmal, Özdemir die Hand zu reichen. Beschützt von der Polizei steigt er lächelnd und schweigend, aber auch irgendwie erschüttert wirkend, wieder in seinen Wagen. Überhaupt scheint die CDU an diesem Tag andere Prioritäten zu setzen. Im nahen Theisewitz bei Kreischa etwa eröffnen mit Fraktionsvize Ines Springer und Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt gleich zwei hochkarätige Christdemokraten die diesjährige Apfelsaison.

Wirtschaftsminister und SPD-Chef Martin Dulig hingegen schaut vorbei. Er wolle Gesicht zeigen, sagt Sachsens stellvertretender Ministerpräsident. „Es ist wichtig, dass wir starke Zeichen setzen. Starke Zeichen der Willkommenskultur.“ Heidenau dürfe kein positives Signal für Rassisten sein. Darauf zählen auch Andreas und Petra Vallen. Das Ehepaar macht Urlaub in der Sächsischen Schweiz. „Was hier in Heidenau an Hass zu sehen war, das gibt es in meiner Heimat nicht“, sagt Vallen. Der 53-Jährige sitzt für eine Bürgervereinigung im Gemeinderat des niederrheinischen Städtchens Kerken. Dort ist ein ehemaliges Tagungshotel zu einer Unterkunft für rund 500 Flüchtlinge umgebaut worden. „Am Anfang gab es zwar ein paar Schmierereien, aber jetzt stehen 95 Prozent der Einwohner hinter dem Heim.“ Hier in Sachsen erfahre er zwar Gastfreundschaft, „aber in den Cafés höre ich oft, wie über Asylbewerber gehetzt wird.“