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Wie der Terror nach Freital kam

Wer sind die Gewalttäter, die von der GSG 9 verhaftet wurden? Altenpfleger, Busfahrer, Gleisbauer, Kältetechniker, Lagerist: Die mutmaßlichen Rechtsterroristen stehen mitten im Leben. Vorstrafen haben sie keine.

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Von Andrea Schawe, Karin Schlottmann, Alexander Schneider und Ulrich Wolf

Um vier Uhr morgens holen ihn die Beamten aus der Nachtschicht ab. Sie legen ihm Handschellen an und bringen ihn zum Landeskriminalamt. Statt eines Dresdner Amtsrichters wartet eine Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs auf ihn. Mike S., 26 Jahre alt, von Beruf Krankenpfleger-Helfer, verheiratet. Er arbeitet in einem Pflegeheim. Seit Dienstag sitzt er in Untersuchungshaft. Mike alias Kegelkarl wird verdächtigt, Mitglied einer rechtsextremistischen Terrorgruppe zu sein. Der Haftbefehl ist über 30 Seiten lang. Für ihn und seine sieben Gesinnungsgenossen gelten in der Haft verschärfte Bedingungen. Mit seinem Verteidiger kann er nur durch eine Glasscheibe sprechen. Ein Richter kontrolliert selbst die Verteidigerpost. „Die Bundesanwaltschaft hat Tabula rasa gemacht“, sagt Rechtsanwalt Rolf Franek.

Freital vor den Toren Dresdens steht seit Wochen landesweit in den Schlagzeilen. Dafür gesorgt hat unter anderem eine Gruppe rechter Randalierer, die inzwischen unter Terrorismusverdacht stehen.
Freital vor den Toren Dresdens steht seit Wochen landesweit in den Schlagzeilen. Dafür gesorgt hat unter anderem eine Gruppe rechter Randalierer, die inzwischen unter Terrorismusverdacht stehen. © Thomas Kretschel
Timo S. im Januar vor dem Amtsgericht in Dresden: Gegenstand der Verhandlung war damals eine Hetzjagd auf Pro-Asyl-Aktivisten.
Timo S. im Januar vor dem Amtsgericht in Dresden: Gegenstand der Verhandlung war damals eine Hetzjagd auf Pro-Asyl-Aktivisten. © SZ
Im September 2015 gab es einen Anschlag auf ein Büro der Linken auf der Dresdner Straße in Freital.
Im September 2015 gab es einen Anschlag auf ein Büro der Linken auf der Dresdner Straße in Freital. © SZ

Tatsächlich hat Generalbundesanwalt Peter Frank mit seinem Schlag gegen die „Terrorgruppe Freital“ einen Riesencoup gelandet. Am 11. April übernimmt er offiziell die Ermittlungen von der sächsischen Justiz. Acht Tage später schickt er im Morgengrauen die Elitetruppe GSG 9 nach Freital, die fünf mutmaßliche Mitglieder verhaftet. Gleichzeitig werden die Gefängniszellen von drei Hauptverdächtigen gefilzt, sie sitzen seit November in U-Haft. Erinnerungen an den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden wach. Nie wieder wollen die Sicherheitsbehörden so kläglich versagen wie damals.

In Freital fliegen im März 2015 die ersten Leuchtraketen und Böller bei einer Anti-Asyl-Demo. Im April versuchen zwei Täter, einen Brandsatz auf das Hotel „Leonardo“ zu werfen. Ein Asylbewerber wird geschlagen und getreten. Feuerwerkskörper landen auf dem Hotel-Gelände. Ein Pegida-Ableger ruft freitags regelmäßig zu Demonstrationen auf. Im Juli wird das Auto eines Kommunalpolitikers der Linkspartei durch Sprengkörper zerstört. Keine Woche vergeht ohne Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Unterstützer. Der Protest gegen die Flüchtlinge radikalisiert sich in kürzester Zeit. In diesem Klima des Hasses formiert sich spätestens im Juli, so die Bundesanwaltschaft, die „Gruppe Freital“. Sieben Männer, eine Frau, alle wohnen in der Region. Den Sprengstoff für die Attentate sollen sie sich in Tschechien besorgt haben. Pyrotechnik, das meiste davon illegal eingeführt: La Bomba, Dum Bum, Viper 12, Cobra 6, Cobra 12, Flash Bangers, Schwarzpulver und Zündschnüre. Die Ermittler finden das „Obst“, wie die Beschuldigten es nennen, in den Wohnungen und am Arbeitsplatz eines Beschuldigten.

Der Jüngste ist Justin S., 18 Jahre alt, Gleisbauer-Lehrling. Rico K, der Älteste, ist 39. Maria K., arbeitslos. Philipp W., genannt Zigeunerphilli, von Beruf Abwassertechniker. Sebastian W. („Buddy“) und Pflegehelfer Mike S. Als Rädelsführer gelten Patrick F. (24), genannt Keks, Lagerarbeiter, und Timo S. (27), Busfahrer.

Keiner aus der Gruppe hat eine Vorstrafe. Was sie verbindet, ist ihre rechtsradikale und ausländerfeindliche Gesinnung, sagen die Ermittlungsbehörden. Flüchtlinge und „Linke“ sind ihnen verhasst. Seit den ersten Anti-Asyl-Protesten mischen sie in der Szene mit. Ihr Ziel: Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte und ein links-alternatives Wohnprojekt. Den Flüchtlingen Angst machen, sie erschrecken und möglichst aus der Stadt vertreiben, war erklärtermaßen ihre Absicht. Drei Anschläge vom Herbst werden ihnen zugerechnet. Zwei Asylbewerberunterkünfte und das Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden werden mit Sprengsätzen und Buttersäure beworfen. Flüchtlinge werden verletzt, Häuser beschädigt.

Flüchtlinge gehören einfach nicht nach Deutschland, tönt ein Beschuldigter bei der Polizei. Bald haben wir nichts mehr zu verlieren, es wird Zeit, einen Schritt weiter zu gehen, spornen sie sich im Chatroom „Kakao Talk“ an. „Übelst geil“, auf dem Nachhauseweg nach der Arbeit nachts immer kleine Anschläge machen, freut sich einer. Und weiter: „Mal so richtig Remmidemmi machen in Freital“. Regelmäßiger Treffpunkt war die Aral-Tankstelle in Freital. Dort, an der vielbefahrenen Dresdner Straße, wurde alles besprochen. Direkt gegenüber der Tankstelle liegt das Polizeirevier Freital.

Wortführer der Freitaler Gang ist laut den Ermittlungsbehörden Timo S. Seit November sitzt er in Untersuchungshaft. Timo S. ist gebürtiger Hamburger, Jahrgang 1989. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Stadtteil Bergedorf, rund 15 Kilometer vom Zentrum entfernt. Erst mit 17 macht er seinen Abschluss an der Hauptschule im Stadtteil Allermöhe. Timo S. wird Busfahrer bei den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein. Viele seiner Passagiere in der Multikulti-Metropole sind Ausländer. Einen Online-Bericht der Bild-Zeitung über einen Totschlag in Bergedorf kommentiert er mit den Worten: „Immer diese Ausländer. Nimmt das kein Ende mehr mit diesen Barbaren!!“ Von „Ausländern“ aber ist in dem Bild-Bericht gar keine Rede.

Seine Freizeit widmet er dem Fußball, vor allem dem Hamburger SV. „Ich gebe auch immer alles für den HSV, auch wenn ich viel fluche. Die wahre Liebe verlässt man nicht so einfach“, schreibt er in einem Chat im Internet. Eine Antirassismus-Aktion des Klubs aber kommentiert er mit den Worten: „Alles Affen. Genauso wie die Leute hier auf der Seite.“ Am 1. Mai 2008, mit 19 Jahren, läuft er bei einer großen Nazi-Demonstration in Hamburg-Barmbek mit. Der SZ liegen Fotos von Szenekennern vor. Auf ihnen ist er mit mittellangem blonden Haaren zu sehen, er trägt eine Bomberjacke mit Fellkragen. Auf einer Kundgebung von Rechtsradikalen im September 2009 im Hamburger Stadtteil St. Georg läuft er hinter einem NPD-Transparent mit der Aufschrift „Volksbetrüger aufhalten“ her. Gewalt scheint ihn zu faszinieren. Bei Facebook kommentiert er eine Silvesterparty im Leipziger Szeneviertel Connewitz: „9 mm und alles ist wieder gut im Land.“ Neun Millimeter ist ein Patronenkaliber.

Die nächsten Spuren von ihm finden sich bei einer unangemeldeten Demonstration am 17. Dezember 2011 im Hamburger Süden. Er marschiert in einem Block aus rund 30 schwarz vermummten Personen mit. Einige der Teilnehmer tragen weiße Masken, in der rechten Szene „Totenmasken“ genannt, und Fackeln. Ausländerfeindliche Parolen werden gegrölt. Diese besonders gespenstisch wirkende Form der Inszenierung war nach Erkenntnis des Landeskriminalamtes Hamburg erstmals am 1.  Mai 2011 in Bautzen aufgetreten. Sie wird der „Weiße Wölfe Terrorcrew“ zugeschrieben, eine Organisation, die das Bundesinnenministerium erst vor wenigen Wochen verbot.

Auf einer NDP-Demo am 1. Mai 2012 im schleswig-holsteinischen Neumünster verstärkt er die „Kameradschaft Northeim“. Ein Jahr später, im Juni 2013, ist beim „Tag der deutschen Zukunft“ in Wolfsburg dabei. Für Sachsens Verfassungsschutz ist Timo S. bis zu seiner Verhaftung im vorigen Herbst offenbar ein unbeschriebenes Blatt. Kontakte nach Sachsen hatte der Hamburger bereits vor seinem Umzug nach Freital im Herbst 2014. Insbesondere mit einem Hardcore-Fan von Dynamo Dresden stand er in Kontakt. Beide sind im Juni 2013 im Fluteinsatz in Dresden-Altmickten. Sein Facebook-Profil ist voll mit fanatischen Lobeshymnen für Dynamo, doch ein Ultra schränkt ein: „Der Typ hat nur die Klamotten an, als Hooligan würde ich den nicht einordnen.“

Der Grund für den Ortswechsel ist rein privater Natur, sagt sein Anwalt Michael Bürger. Seine Freundin stammt aus der Region. Bis November verdient er sein Geld als Busfahrer beim Regionalverkehr Dresden. Im Ortsteil Hainsberg wohnte er mit seiner Freundin in einem schmucken Mietshaus mit gelber Fassade, gepflegtem Garten, Steintreppe, Tulpen und Narzissen. Auf dem Hof steht ein schwarzer 3er-BMW mit Doppel-Acht im Kennzeichen, was in der Szene für „Heil Hitler“ steht. Im Haus ist eine Wohnung zu vermieten, zweieinhalb Zimmer, 768 Euro warm. Ein Rentner, der im Garten werkelt, reagiert genervt auf die Frage nach Timo S. „Natürlich habe ich das mitbekommen, als sie den geholt haben“, sagt er. Mehr will er nicht sagen über seinen Nachbarn.

Heute steht Timo S. erstmals in Sachsen vor einem Gericht. Abseits der Ermittlungen wegen der Sprengstoffanschläge hat die Staatsanwaltschaft Dresden ihn und zwei weitere Männer im Spätsommer angeklagt, nach Demonstrationen vor der Asylbewerberunterkunft in Freital am 24. Juni ein Auto verfolgt und mit einem Baseballschläger attackiert zu haben. Im Fahrzeug saßen mehrere Demonstranten, darunter Johannes Dulig, Sohn des SPD-Politikers und Wirtschaftsministers Martin Dulig. Vor dem Hintergrund der neuen Ermittlungen wegen Rädelsführerschaft und versuchten Mordes spielt dieser Prozess kaum noch eine Rolle.

Generalbundesanwalt Frank hat für sein hartes Durchgreifen gegen die Gruppe Freital von vielen Seiten Lob erhalten. Selbst die linke Tageszeitung taz schwärmt von dem neuen „Frontmann der Demokratie“. Dieses Kompliment sei allerdings selbst den Bundesanwälten zu viel gewesen, heißt es. Dresdner Verteidiger glauben dagegen, die Behörde schieße mit Kanonen auf Spatzen. Böller aus Tschechien seien gefährlich, aber nicht vergleichbar mit den Bomben der Sauerland-Terroristen, kritisiert Rechtsanwalt Franek.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat das harte Durchgreifen der Bundesbehörden am 19. April kalt erwischt. Immerhin saßen drei der Hauptbeschuldigten wegen mehrerer Sprengstoffexplosionen seit November in Untersuchungshaft. Die Gruppe Freital war längst zerschlagen. Sachsens Ermittler stehen trotzdem da wie Deppen, ahnungslos, überfordert, schlimmstenfalls auf dem rechten Auge blind. Eine rechte Terrorzelle vor den Toren Dresdens und wieder hat es keiner gemerkt.

Solche vernichtenden Kommentare standen in vielen überregionalen Medien. „Das war mit Anlauf in die Fresse“, kommentiert einer der Verteidiger den Vorgang. Dass Justizminister Sebastian Gemkow noch schnell in einer ausführlichen Pressemitteilung die Leistungen seiner neuen Sondereinheit gegen politisch motivierte Kriminalität lobte, passte ins Bild.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte bereits vor dem Jugendschöffengericht Dresden Anklage gegen fünf der acht Beschuldigten erhoben, im Juni hätte der Prozess wegen mehrerer Sprengstoffanschläge beginnen sollen. Die meisten Beschuldigten räumen die Vorwürfe ein. Abgehörte Telefonate und Gruppen-Chat-Protokolle stehen als Beweismittel zur Verfügung. Auf Bitten der Bundesbehörde hat sie ihre Anklage jedoch zurückgezogen. Mindestens drei Jahre Freiheitsstrafe für die Angeklagten wären in diesem Verfahren drin gewesen, heißt es in sächsischen Justizkreisen.

Ob die Bundesanwaltschaft mit ihrem Terrorvorwurf nun vor Gericht mehr herausholen wird, sei längst nicht ausgemacht, heißt es. Normalerweise regen sich Staatsanwälte nicht auf, wenn Terrorverfahren übernommen werden. So sind nun einmal die Regeln. In diesem Fall allerdings entschied sich Karlsruhe sehr spät. Die Früchte der erfolgreichen Arbeit, so heißt es hier, ernten jetzt andere.

Zuständig wäre im Falle einer Terror-Anklage das Oberlandesgericht Dresden. Erfahrungen mit Verfahren dieser Art haben die Richter dort so gut wie nicht. Das kann auch für die Karlsruher Anklagebehörde, die ihre Prozesse normalerweise in München, Düsseldorf oder Stuttgart führt, spannend werden. Das OLG Dresden sucht bereits nach einem geeigneten Gerichtssaal in der Stadt.