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„Werden Sie ernst genommen?“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte das BMW-Werk in Leipzig. Dabei hatte er keine Augen für Autos.

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© dpa/Jan Woitas

Von Theresa Hellwig

Das Rauschen vieler Maschinen und Motoren erfüllt die hohe Halle. Zwischendurch knirscht, knackt, quietscht es. Etwa 15 Auszubildende stehen in Blaumännern in dem Raum und gehen ihren Aufgaben nach. Einige schleifen, andere schrauben. Gillian Wacht und Jimmy Grunst setzen ein Planetengetriebe zusammen, folgen einer Anleitung auf dem Tablet. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender den Raum betreten, gesellen sie sich zu den beiden. Sie unterhalten sich, doch hören kann man sie nicht. Das liegt nicht nur an dem Lärm, sondern auch daran, dass Gillian und Jimmy gehörlos sind. Gillian hebt den Daumen, nimmt ihn wieder runter. Jimmy öffnet die Hand, schließt sie zur Faust, öffnet sie wieder. Daraufhin greift Gillian zur Zange. Sie gestikulieren weiter; es scheint witzig gewesen zu sein, denn alle lachen.

Der Bundespräsident und seine Frau haben die Schirmherrschaft für die Woche der beruflichen Bildung vom 16. bis 20. April übernommen. Eine Woche lang reisen sie durch sechs Bundesländer, schauen sich Betriebe an, sprechen mit Gewerkschaftern und treffen Verbände, besichtigen Berufsschulen. Am Mittwoch besuchten die beiden das BMW-Werk in Leipzig.

152 Auszubildende beschäftigt das BMW Group Werk Leipzig derzeit. Der Bundespräsident und seine Frau haben sich Zeit genommen; sie gehen intensiv auf die Jugendlichen ein. Während Elke Büdenbender mit Auszubildenden über Frauen in klassischen Männerberufen spricht, sitzt der Bundespräsident im Anzug zwischen Jugendlichen in Blazern und Turnschuhen. „Wie geht es Ihnen in der Berufsausbildung? Werden Sie ernst genommen in den Betrieben? Oder gehen Sie abends deprimiert nach Hause?“, fragt er väterlich. In Sesseln sitzen alle in einem gedehnten Kreis zusammen. Die Lehrlinge, die sich in der Jugend- und Auszubildendenvertretung engagieren, erzählen von Problemen, die sie einst in ihren Betrieben hatten. Einer sagt, dass in seinem Betrieb der Meister für die Ausbildung verantwortlich war – und dafür nicht genügend Zeit hatte. Eine Auszubildende berichtet, dass in der Lehre theoretische Inhalte fehlten. Daraufhin habe die Jugendvertretung eine Art innerbetrieblichen Unterricht organisiert.

Steinmeier hakt nach: „Wer macht den Unterricht?“ Die Auszubildende erklärt, dass dieser von unterschiedlichen Mitarbeitern gegeben wird. Nach ihrer Geschichte berichtet ein anderer Lehrling, dass er bei Siemens arbeitet – ihm und den anderen Lehrlingen fehlt wegen der Schließung des Werks die Perspektive.

Es sind Probleme, die nicht unbedingt zur Attraktivität der Ausbildung beitragen. Ein weiteres Thema: der Fachkräftemangel. Zwar gibt es bei BMW noch immer genügend Bewerbungen – aber das Grundwissen, das die Azubis mitbringen, sei nicht mehr dasselbe wie noch vor einigen Jahren, erzählt Pressesprecher Michael Blabst. Steinmeier erzählt aus anderen Zeiten. „Zu meiner Zeit hat man sich die Finger wund geschrieben, um eine Ausbildung zu bekommen“, erinnert er sich.

440 000 Fachkräfte fehlen laut einer Statistik des Instituts der deutschen Wirtschaft derzeit am Arbeitsmarkt, von 38 454 offenen Stellenangeboten berichtet die sächsische Arbeitsagentur. Das sind fast 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Die berufliche Ausbildung muss attraktiver werden, heißt es immer wieder – und dafür will sich auch der Bundespräsident einsetzen. „Die Wertschätzung der beruflichen Ausbildung zu fördern, darum geht es uns“, sagt Steinmeier. Er und seine Frau betonen, dass auch sie aus Arbeiterfamilien stammen. Und dass der Weg nach oben durch eine Ausbildung nicht verschlossen, ein Studium immer noch möglich ist. Ein kleiner Widerspruch, wenn es um die Attraktivität der Lehre geht.