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Wer kommt für Fahrten zum Arzt auf?

Für den Hermsdorfer Leon zahlt die Krankenkasse die Fahrten zum Nierenzentrum für Kinder und Jugendliche in Leipzig vorerst. Noch sind aber nicht alle Sorgen aus der Welt.

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© Egbert Kamprath

Von Stephan Klingbeil

Klingenberg. Erkältet ist er, die Werte sind nach der Untersuchung jedoch in Ordnung. Vor ein paar Tagen war der zehnjährige Leon aus Hermsdorf im Erzgebirge wieder im KfH-Nierenzentrum für Kinder und Jugendliche in Leipzig. Dort muss der Viertklässler etwa alle sechs Wochen hin. Doch noch immer ist nicht klar, wer eigentlich tatsächlich die Fahrtkosten übernehmen muss.

Das Schicksal des nierentransplantierten Jungen bewegte viele Menschen. Einige boten Hilfe an. „Dafür sind wir sehr dankbar“, betont Liane Ludwig, die Mutter von Leon. Zuletzt schenkte so etwa die Bergwacht Wildes Weißeritztal, bei der Liane Ludwig regelmäßig Blut spendet, einen Gutschein im Wert von 50 Euro.

Leons Mutter arbeitet in der Landwirtschaft, der Vater ist selbst schwer krank und darf nicht mehr Auto fahren. Die beiden können sich die regelmäßigen Fahrten zur Untersuchung von Leon in Leipzig selbst nicht leisten. Doch ein anderer, näherer Behandlungsort käme nicht infrage. Im KfH-Nierenzentrum wird das bestätigt. Hier sei die einzige Kinderdialyse Sachsens – demnach ist es auch zuständig für Leon.

Dessen Nieren hatten 2013 nach einer unverschuldeten Infektion mit Ehec-Bakterien versagt. Er musste täglich zur Blutreinigung. Die Heimdialyse klappte nicht gut. Leons Zustand verschlechterte sich. Weihnachten 2013 erhielt er eine Spenderniere.

Keine Frist vereinbart

Die AOK Plus, die zuständige Krankenkasse, strich jedoch im August 2016 das Beförderungsgeld für den Jungen, weil es ihm wieder gutgehe und seine hundertprozentige Behinderung von den Behörden aberkannt worden war. Nach einem verlorenen Rechtstreit der Eltern in der Sache hatte die AOK Plus aber eingelenkt. Bis auf Weiteres übernimmt sie die Fahrtkosten. Eine konkrete zeitliche Frist dafür wurde aber nicht vereinbart, erklärt die AOK Plus. „Die Entscheidung wurde so getroffen, um Familie Ludwig in ihrer schwierigen Situation zu unterstützen. Ob und wann gegebenenfalls ein anderer Leistungsträger die Fahrtenfinanzierung übernimmt, können wir derzeit nicht bewerten“, sagt AOK Plus-Sprecher Bernd Lemke. Die Ludwigs und ihre Gesundheitsberaterin der Krankenkasse stehen in engem Kontakt, sie stimmen sich ab. Die Familie bestätigt das. Dessen ungeachtet hatte sich Liane Ludwig aber an das Sozialamt gewandt, stellte dort einen Antrag zur künftigen Erstattung der Fahrkosten. Das wurde ihr so geraten. „Grundsätzlich sind Sozialämter oder Jobcenter in der Pflicht, wenn eine medizinisch notwendige Behandlung wegen der individuellen finanziellen Lage nicht in Anspruch genommen werden kann“, erklärt der Kassensprecher. Das kann der Fall sein, wenn Versicherte die Kosten zu einem weiter entfernten Behandlungsort nicht tragen können und die Krankenversicherung die Fahrkosten aufgrund fehlender gesetzlicher Voraussetzungen nicht tragen darf.

Doch ist im Fall von Leon wirklich das Sozialamt zuständig? „Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung haben Anspruch auf Übernahme der Kosten“, sagte Amtsleiterin Anita Richter Ende 2016 dazu. „Und zwar dann, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse vom Arzt verordnet wurden. Sind Personen in keiner Krankenkasse versichert, können Hilfen gewährt werden.“ Nur dann sei das Landratsamt zuständig. Die Aussagen sorgten auch bei den Ludwigs für Verwirrung. Ihr Antrag vom November 2016 sei zudem noch immer nicht beantwortet. In einem ganz anderen Fall wird das Thema Fahrtkostenerstattung gerade vor dem Landessozialgericht in Chemnitz (LSG) neu

aufgerollt. Zuvor hatte das Sozialgericht Dresden einer 42-Jährigen aus Dohna recht gegeben. Die Klägerin ist seit 2013 verwitwet, sie lebt mit ihrem inzwischen 14 Jahre alten Sohn zusammen und bezieht Hartz IV vom Jobcenter in Pirna.

Jobcenter geht in Berufung

Beide unterzogen sich einer ambulanten Psychotherapie. Hierzu mussten sie von Dohna nach Dresden fahren. Die Klägerin fuhr zweimal pro Woche dorthin, ihren Sohn begleitete sie einmal wöchentlich. Beide besitzen Monatskarten, die aber die Fahrten nach Dresden nicht abdeckten. 2014 entstanden der Klägerin daher extra Fahrtkosten in Höhe von fast 230 Euro. Das Jobcenter Pirna lehnte eine Erstattung ab.

Für außergewöhnlich hohe Fahrtkosten zu einer regelmäßigen ambulanten Psychotherapie muss aber das Jobcenter aufkommen, urteilte das Sozialgericht in Dresden im vorigen Dezember. Das Jobcenter Pirna ging in Berufung. Ein Termin für den neuen Prozess steht noch nicht fest. „Das kann noch mehrere Monate dauern“, heißt es am Gericht.

In bestimmten Fällen ist das Jobcenter zuständig. Es kann Sonderzahlungen für Erwerbsfähige und Bedarfsgemeinschaften, also auch für Familien mit Kindern, bewilligen. In dem Fall der Dohnaerin hatte die Krankenkasse die Zahlung abgelehnt.

Dies ist nach Willen des Gesetzgebers nur in bestimmten definierten Fällen möglich. „Anspruch auf eine Fahrtkostenübernahme durch die Krankenkasse haben Versicherte, die sehr stark in Ihrer Mobilität eingeschränkt sind, vor allem mit Pflegegrad vier oder fünf“, so AOK Plus-Sprecher Lemke. Oder, wenn sie einen Schwerbehindertenausweis besitzen. Fahrten zur ambulanten Behandlung seien dann vorab bei der AOK Plus zur Prüfung der Voraussetzungen einzureichen.

In bestimmten Fällen werden Dauergenehmigungen erteilt. „Welches Beförderungsmittel aus medizinischer Sicht notwendig ist, entscheidet aber immer der behandelnde Arzt“, erklärt Lemke. Sofern für Fahrten öffentliche Verkehrsmittel oder Privatwagen genutzt wurden, ist eine nachträgliche Kostenerstattung durchaus möglich. „Eine ärztliche Verordnung wird in diesem Fall nicht benötigt“, erklärt Lemke.

Leons Fahrten zu den Untersuchungen nach Leipzig sind jedenfalls jetzt finanziell abgesichert. Alles Weitere wird sich zeigen.