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Wenn Frauen nach der Flucht fliehen müssen

Leipzig richtet erstmals Schutzwohnungen für Gewaltopfer aus anderen Regionen der Welt ein.

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© Symbolfoto: dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Belita * hat die Hölle hinter sich. Ihr Mann hat sie geschlagen, immer wieder, er hat ihr die Haare büschelweise ausgerissen, sie gewürgt und vergewaltigt. Sie ist geflohen in eine andere Wohnung im Vogtland, doch er hat sich einen Schlüssel besorgt. Irgendwann lag sie am Boden der Wohnung und stellte sich tot, um zu überleben, und er ließ noch immer nicht von ihr ab. „Er wollte mich umbringen“, sagt Belita. Doch der wohl schlimmste Moment ihres Lebens sollte zugleich ihre Rettung werden. Ihre Tochter holte Hilfe bei Nachbarn, und Polizisten brachten sie ins Frauenhaus. Endlich in Sicherheit.

Belita ist 33, sie stammt aus Tschetschenien. 2013 hat sie in Deutschland mit ihrem Mann und ihrer Tochter Asyl beantragt. „Im Frauenhaus habe ich richtig Deutsch gelernt – und dort bin ich wieder stark geworden“, sagt sie heute, zwei Jahre nach dem Drama. Doch der Mann gab keine Ruhe. Er fand die anonyme Schutzwohnung, weil sie in ihrer Panik ein Informationsblatt mit der Adresse liegen gelassen hatte. Bald stand ihr Peiniger dort vor der Tür. So kam Belita nach Leipzig, ins Erste Autonome Frauenhaus, wo sie neuen Schutz fand.

Doch die ersten drei Tage in Obhut habe sie nur in ihrem Bett gelegen, ängstlich und misstrauisch. Sie hat sich darüber gewundert, dass es da Frauen gibt, die sie versorgen und ihr Essen bringen. Doch nach und nach hat sie Vertrauen zu ihnen gefasst und sich geöffnet. „Diese Frauen haben mein Leben völlig verändert“, sagt sie. Mittlerweile führt sie in der Stadt ihr eigenes Leben und hilft anderen Frauen in Not. Sie übersetzt für sie Tschetschenisch und Russisch, sie begleitet sie zu Ämtern oder Ärzten. „Das mache ich bis zum Ende meines Lebens“, sagt sie. „Das Wichtigste ist, dass dir jemand die Hand reicht.“

Der Verein „Frauen für Frauen“ in Leipzig leistet rund um die Uhr Hilfe für jene, die Gewalt erleben mussten – egal welcher Art, und egal, wo sie herkommen. Und die Verzweiflung ist groß. Die mehr als 30 Plätze im autonomen Frauenhaus sind ständig belegt. Voriges Jahr flohen besonders viele geflüchtete Frauen vor ihren Männern an die geheime Adresse. Aus diesem Dilemma haben die Mitarbeiterinnen ihre Konsequenzen gezogen: Nach langem Kampf konnten sie Anfang Dezember in Leipzig die ersten Schutzwohnungen nur für geflüchtete Frauen und ihre Kinder in Sachsen eröffnen.

Pilotprojekt des Freistaates

Es ist ein Pilotprojekt des Freistaates, das bis Ende 2018 läuft, und mit 350 000 Euro aus Landesmitteln finanziert wird. Die Koalition hat im März mit dem Integrationspaket die Fördermittel für die 16 Frauenschutz-Wohnungen in Sachsen auf knapp drei Millionen Euro mehr als verdoppelt. „Frauen und Kindern, die in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften Gewalt ausgesetzt sind, einen sicheren Schutzort zu bieten, war mir von Anfang an ein besonders großes Bedürfnis“, sagt Petra Köpping, die SPD-Ministerin für Gleichstellung und Integration, die zur konspirativen Eröffnung des neuen Leipziger Schutzhauses an einer versteckten Adresse angereist kam.

Sozialarbeiterinnen helfen

Es sind zwei schöne, schlichte Wohnungen mit insgesamt sechseinhalb Zimmern für ein Dutzend Frauen und ihre Kinder, eingerichtet mit Etagenbetten, Kleiderschrank und kleinen Spielecken. Küche und Bad sind gerade groß genug für so viele Menschen. Außerdem werden Sozialarbeiterinnen dort sein, um die Frauen mit ihren besonderen Bedürfnissen zu unterstützen. „Geflüchtete Frauen sind in einer besonderen Notlage“, sagt die Mitarbeiterin des Vereins, Gesine Märtens. „Sie haben keine Mutter und keine Verwandten hier, keine Freundin und kein soziales Netz. Sie haben keine Möglichkeiten und kein Geld, um sich selbst zu versorgen.“ Außerdem sind die Frauen anfangs auf Dolmetscher angewiesen und dürfen aus rechtlichen Gründen die Stadt nicht verlassen. Für Frauen wie Belita aus Tschetschenien ist das ein Riesenproblem. Der Verein „Frauen für Frauen“ musste schon mehrmals Klagen einreichen, damit sie überhaupt nach Leipzig umziehen durften. Viele geflüchtete Familien bringen Gewalt schon aus der Heimat mit, erzählt Märtens. Aber manchmal entstehen die Übergriffe auch erst hier in Deutschland. Es gibt Geschichten von Familien, in denen die Frauen das freiheitliche westliche Leben schätzen lernen – aber ihre patriarchischen Männer genau aus diesem Grund die Rückreise beantragen. „Gewalt kann auch aus Überforderung und Stress am fremden Lebensort entstehen“, sagt Märtens. Wie bei Belita.

Die Muslima ist eine starke Frau, sie hat Jura studiert und war Anwältin in Tschetschenien. Doch aus politischen Gründen musste sie mit ihrer Tochter das Land verlassen, den Mann nahmen sie mit. Er muss ein lieber Mann gewesen sein, damals. „Er hat mir den Kaffee ans Bett gebracht“, erzählt Belita. Doch in Deutschland wendet sich das Blatt. Sie hat kein Geld mehr und keinen Job. Ihr Mann nimmt Drogen und fängt an zu dealen. Er lernt eine andere Frau kennen, und er wird gewalttätig gegen seine Ehefrau aus der Heimat.

Heute hat Belita in ein neues Leben gefunden. Sie wartet auf die Anerkennung ihres Asylantrages, sie besucht weitere Sprachkurse, obwohl sie schon gut Deutsch spricht, und sie will endlich arbeiten. Und sie ist auch bereit, ihre Geschichte zu erzählen. Sie sagt: „Ich will mich nicht mehr verstecken.“

* Name aus Sicherheitsgründen geändert.