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Wenn ein Unfall kein Zufall ist

Immer wieder tauchen in den Kreisen Bautzen, Görlitz und Spree-Neiße die gleichen Autos in Unfallberichten auf. Nach Schätzungen der Polizei könnte bei jedem zehnten Zusammenstoß Versicherungsbetrug im Spiel sein.

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© Roland Halkasch

Von Jana Ulbrich

Diesen Fall aus Hoyerswerda wird Frank Wobst nicht so schnell vergessen. Selbst ein erfahrener Polizist wie er schüttelt immer wieder den Kopf, wenn er davon erzählt. Zwei Jahre lang haben er und seine Kollegen akribisch ermittelt – und einen spektakulären Fall von Versicherungsbetrug aufgedeckt. Es geht um Unfälle, die keine Zufälle waren.

Wobst, der die Verkehrspolizeiinspektion der PD Görlitz leitet, blättert in der Akte, die vor ihm auf dem Schreibtisch liegt: Einem Streifenpolizisten des Hoyerswerdaer Reviers fällt es zuerst auf, als die Beamten zu einer Unfallaufnahme an eine abgelegene Straße ins Seenland gerufen werden. Hatte der Fahrer dieses Lancias nicht erst kürzlich einen ähnlichen Unfall? Die Polizisten im Revier beginnen zu recherchieren. Und was sie herausfinden, wird ein Fall für die Staatsanwaltschaft:

Allein der Lancia ist innerhalb kurzer Zeit in acht Unfälle verwickelt. Er ist auch nur eins von 14 Fahrzeugen, die innerhalb von sieben Jahren auf den Mann aus dem Raum Hoyerswerda zugelassen sind. Und alle diese Fahrzeuge tauchen in Unfallprotokollen auf. Meistens sind es Auffahrunfälle, irgendwo an wenig befahrenen Straßen in den Kreisen Bautzen, Görlitz und Spree-Neiße. Meistens passieren sie nach Einbruch der Dunkelheit. Meistens sagt der Mann, er habe aus irgendeinem Grund plötzlich bremsen müssen. Schuld ist dann meistens derjenige, der auffährt. Und der nicht ahnt, dass er gerade in eine Falle gelockt worden ist. Insgesamt 75 solcher Unfälle sind in der Ermittlungsakte aufgelistet. Den Schaden begleichen jedes Mal brav die Versicherungen: allein in diesen Fällen insgesamt 340 000 Euro. Auch gegen den Schadensgutachter und den Chef der Autowerkstatt ermitteln die Polizisten.

Zum Volkssport geworden

Im Bereich der Polizeidirektion Görlitz sind die fingierten Unfälle aus Hoyerswerda der bisher größte Fall dieser Art, den die Beamten aufdecken konnten. Aber sie sind sehr wahrscheinlich nicht die einzigen, die sich so oder ähnlich ereignen. „Versicherungsbetrug ist ja ein regelrechter Volkssport“, sagt Frank Wobst. Nach Schätzungen der Polizei könnte es bei jedem zehnten gemeldeten Unfallschaden nicht mit rechten Dingen zugehen: Auffahrunfälle oder Zusammenstöße an Kreuzungen und Straßeneinmündungen werden – wie im Fall aus Hoyerswerda – ganz bewusst provoziert. Es gibt auch Fälle, in denen ein Unfall zwischen den Beteiligten geplant und abgesprochen ist. Frank Wobst nennt Beispiele aus Berlin und Nordrhein-Westfalen, bei denen ganze Banden auf diese Weise Geld verdienen.

Neben den absichtlich provozierten Unfällen gehören auch die zu den zehn Prozent der Schadensfälle, die es in Wahrheit gar nicht gegeben hat. Eine Polizistin aus dem Bautzener Revier ist vor Kurzem stutzig geworden, als ein Pkw-Fahrer einen Wildunfall anzeigen wollte, von dem er gar nicht so richtig sagen konnte, an welcher Stelle genau er eigentlich passiert sein sollte. Frank Wobst erzählt auch von einem Fahrzeughalter, der am Kotflügel seines Autos einen angeblichen Wildunfall mit Himbeermarmelade und Besenborsten vortäuschen wollte. Das Gros unter den Manipulationen machen aber vor allem die Fälle aus, bei denen Unfälle genutzt werden, um bereits vorhandene Schäden an den Fahrzeugen nachträglich auf Versicherungskosten reparieren zu lassen.

„Die Täter haben meistens ein leichtes Spiel“, weiß Frank Wobst. Denn nur die wenigsten dieser Betrugsfälle werden tatsächlich aufgedeckt. Die Beamten müssen bei der Unfallaufnahme schon sehr genau hinsehen und hinhören. Und die richtigen Fragen stellen. Der Fahrer eines 7,5-Tonners beispielsweise konnte entlarvt werden, weil er den Polizisten nicht erklären konnte, was er in der Seitenstraße eigentlich wollte, in der er auf ein haltendes Fahrzeug aufgefahren war. Und weil er auf die hartnäckige Frage des Polizisten, wie sich der Unfall denn ganz genau ereignet habe, ziemlich ins Stottern geraten war.

Nicht immer ist der Nachweis eines Betrugs so leicht möglich. „Der Polizist, der zu einem Unfall kommt, muss schon sehr viel in der Hand haben, um zu sagen: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ Einmal hat dabei der Satz der Frau geholfen, die zum Auffahren provoziert worden war: „Ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum der Fahrer vor mir so plötzlich gebremst hat.“