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Wenn die Hütte brennt

Karl-Peter Füßlein soll in der Naturschutzstation Feuer gelegt haben, die er 30 Jahre geleitet hat. Erst verurteilte ihn das Amtsgericht als Brandstifter, dann sprach ihn das Landgericht frei. Eine fiese Intrige im sächsischen Forst?

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© kairospress

Von Thomas Schade

Der Brandort befindet sich ein paar Kilometer nördlich von Chemnitz im Schwarzholz. Dort, wo der Schwarzbach fließt und der Holzteich liegt und wo der SV 1920 Herrenhaide trainiert. Dort, gleich in der Nachbarschaft, steht ein altes Jagdhaus. Der Burgstädter Handschuhfabrikant Hermann Hempel ließ es vor über hundert Jahren im Schweizer Sennhausstil bauen. Vom Balkon schweift der Blick aus dem Mischwald über die Gleise einer Bahnlinie bis nach Herrenhaide, dem Ort, der dem Haus den Namen gab.

Die Naturschutzstation Herrenhaide am Morgen des 8. Juni 2013. Ein Brandstifter hatte das Feuer gelegt. Aber fand die Polizei den Richtigen?
Die Naturschutzstation Herrenhaide am Morgen des 8. Juni 2013. Ein Brandstifter hatte das Feuer gelegt. Aber fand die Polizei den Richtigen? © haertelpress

Als Karl-Peter Füßlein das Kleinod 1975 entdeckte, war es in ruinösem Zustand. Füßlein war Förster, das Schwarzholz sein Revier. So befiel ihn die Idee, das alte Jagdhaus zur Naturschutzstation umzubauen. Eine kleine Schar Naturschutzhelfer opferte über die Jahre Tausende Stunden ihrer freien Zeit für das Projekt. Biotope entstanden, für die Gegend typische Tiere und Pflanzen wurden angesiedelt, Habitate und eine Gehölzsammlung angelegt. Alles unter Anleitung des Revierförsters. Etwa 20 000 Schüler und zigtausende erwachsene Naturfreunde hat Füßlein durch die Wälder und Fluren geführt. Die Naturschutzstation war das Zentrum. „Sie ist mein bescheidenes Lebenswerk“, sagt er und redet von „meiner Station“. Sie sollte so etwas wie sein Refugium nach dem Staatsdienst im Forst werden. Mittlerweile ist Füßlein Revierförster a. D., Haar und Vollbart sind ergraut. Aber das Jagdhaus hat er seit drei Jahren nicht mehr betreten.

Am Morgen des 8. Juni 2013 eilten Polizei und Feuerwehr zur Naturschutzstation. Schon von fern war die Rauchsäule zu sehen, das Jagdhaus stand in Flammen. Sie hinterließen schweren Sachschaden. Noch am selben Tag stand die Kripo vor Füßleins Haus. Beamte beschuldigten ihn: Er habe das Feuer gelegt. Der Rentner widersprach heftig. Doch das nützte wenig. Monate später klagte ihn die Staatsanwaltschaft an. Im August 2014 verurteilte eine Amtsrichterin in Döbeln Füßlein als Brandstifter zu zwanzig Monaten Haft. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Der Forstmann ging in Berufung. Mit Erfolg. Vor einigen Wochen hob das Landgericht Chemnitz das Urteil auf und sprach Füßlein vom Vorwurf der Brandstiftung frei. Den Vorsitzenden Richter überzeugte das Ergebnis der Ermittlung ganz und gar nicht.

Der 62-jährige Revierförster a. D. sieht sich indes als „Opfer einer perfiden Intrige“. Einige Leute aus dem Naturschutzbund Deutschlands (Nabu) hätten sich gegen ihn verschworen. „Die wollen mich aus der Station herausdrängen. Denen bin ich zu eckig“, sagt Füßlein, der selbst 22 Jahre lang Mitglied im Nabu war. Er bestreitet nicht, ein unbequemer Zeitgenosse zu sein. Geradeheraus, einer, der mitunter sagt, was er besser nicht sagen sollte, einer, der niemanden um den Bart geht. Wer ihn nicht überzeugen kann und stattdessen disziplinieren will, beißt auf Granit.

Im Nabu aber wird seiner Verschwörungstheorie widersprochen. Es sei nicht um die Vorherrschaft in der Station gegangen, sondern um andere Dinge, sagt der Landesvorsitzende Bernd Heinitz.

Die Umstände und Indizien rund um den Brand skizzieren allerdings ein merkwürdiges Bild. So gab es schon Monate vor dem Feuer heftige Querelen zwischen einzelnen Nabu-Mitgliedern. Auf der einen Seite Karl-Peter Füßlein mit einigen Getreuen. Auf der anderen Seite Nabu-Mitglieder aus Chemnitz und Burgstädt. Langjährige Weggefährten in Sachen Naturschutz waren da plötzlich aneinandergeraten.

Im Jahr 2011, zum 30-jährigen Bestehen der Station, herrschte noch Friede, Freude, Eierkuchen. Füßlein flogen die Ehrungen zu: eine Urkunde vom Minister, ein Scheck vom Landrat, anerkennende Worte von vielen Bürgermeistern. Füßlein feierte sich auch selbst, trug Forstuniform, hatte alle Auszeichnungen ans Revers geheftet, die ihm in 50 Jahren verliehen worden waren, in denen er organisiert im Naturschutz tätig war.

Nach dem Jubiläum wurde es unruhig um die Station. Der Zweckverband, der sie jahrelang getragen hatte, wurde aufgelöst. Die Stadt Burgstädt, Eigentümerin des Jagdhauses, suchte einen neuen Träger. Füßlein selbst schlug den Nabu dafür vor. „Ich war bereit, einem Jüngeren die Leitung zu übertragen, wäre aber gerne der Alterspräsident geblieben“, sagt er. Mit Christel Römer trat eine rüstige Rentnerin der Gruppe bei. Sie wollte nach ihrem Arbeitsleben in der Natur sein, sagt die Versicherungskauffrau. Füßlein argwöhnt, sie sei geschickt worden, um ihn kaltzustellen.

Zudem erhob der Nabu in Chemnitz Vorwürfe gegen Füßlein. Er sollte ein Rechtsradikaler sein. Als Beleg galt seine Tätigkeit in der Kameradschaft gedienter Forstleute, einer Altherren- und Reservistenriege, die sich angreifbar macht, weil sie nicht unterscheidet zwischen dem Dienst in der Wehrmacht, in der NVA oder der Bundeswehr. Füßlein hält die Riege zusammen. Er ist stolz, dass er in der DDR als Kreisnaturschutzbeauftragter nie in der SED war. Sein politisches Koordinatensystem funktioniert nicht nach dem gängigen Rechts-links-Schema. Er redet von „die da oben“ und „die da unten“. Und „die da unten“ haben Füßleins Sympathie, da ist dem einstigen NVA-Grenzsoldaten und Staatsdiener „egal, wo der einfache Soldat gedient hat“.

Im Januar 2012 verlangte der Nabu-Regionalverband Erzgebirge, Füßlein wegen „vereinsschädigenden Verhaltens“ auszuschließen. Er würde die Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg leugnen, lautete nur ein Vorwurf. Der Nabu-Landesvorsitzende Bernd Heinitz bat den Bundesverband, beim Staatsschutz anzufragen, ob verfassungsfeindliche Aktivitäten des Forstmannes bekannt seien. Doch dort lag nichts vor gegen ihn. Forstmann Füßlein, der seit vielen Jahren Waffenträger ist, bestreitet, dass er mit Rechtsextremisten etwas am Hut habe. Sein Großvater sei Jude gewesen. „Ich suche heute noch, in welchem KZ der Nazis er verschollen ging.“ Das Jagdhaus stehe unter Denkmalschutz, weil Nazis hier Chemnitzer Arbeiter quälten, sagt er. „Ich habe dafür gesorgt, dass eine Gedenktafel daran erinnert.“

Keineswegs zimperlich verteidigte sich Füßlein gegen die Vorwürfe. In seiner Stasiakte habe er entdeckt, dass ihn früher Leute bespitzelten, die heute ausgerechnet in dem Nabu-Verband zu finden seien, der ihn bekämpfe. Füßlein drohte, die Namen öffentlich zu machen. Damit war das Band endgültig zerschnitten.

Zu klärenden Gesprächen gab es Einladungen, zustande gekommen sind sie nie. Dafür stellte der Nabu-Landesverband im Februar 2012 plötzlich fest, dass die 2009 von Füßlein gebildete Fachgruppe Naturschutzstation Herrenhaide nicht der Vereinssatzung entspreche. Er musste sie auflösen. Der Förster kam schließlich seinem Rausschmiss zuvor, trat nach 22 Jahren aus dem Nabu aus. Wenige Monate später wurde die Nabu Regionalgruppe Burgstädt gegründet, die nun Christel Römer leitet. Sie bedauert das Zerwürfnis. „Wir hätten zusammen in der Station arbeiten können.“

Doch Karl-Peter Füßlein gab nicht klein bei. Er gründete eine Interessengemeinschaft Naturschutzstation Herrenhaide. Ohne den Nabu wollte er „seine Station“ mit Naturfreunden, die zu ihm hielten, weiter betreiben. Der Stadtrat von Burgstädt entschied jedoch dagegen und schloss einen Erbbaupachtvertrag mit dem Nabu-Regionalverband Erzgebirge. Im Februar 2013 wurden die Schlösser der Station ausgetauscht. „Am Tag zuvor habe ich mich von meinem Lebenswerk verabschiedet“, sagt Füßlein. Furchtbar sei das gewesen.

Danach gelang es dem Nabu, eine Versicherung über 300 000 Euro für die Station abzuschließen. Wobei ein Gutachten der Stadt den Wert des Objektes lediglich mit 17 000 Euro beziffert, die anfallenden Instandsetzungskosten mit 12 000 Euro. Wenige Monate später stand das alte Jagdhaus in Flammen.

Noch am Brandtag präsentierten Mitglieder der Nabu-Regionalgruppe Burgstädt den Kripo-Leuten einen Verdächtigen. Das war möglich, weil sie Wochen zuvor eine Überwachungskamera aufgebaut hatten. „Es gab Schmierereien an der Station und wir wollten den Schmierern auf die Spur kommen“, sagt Christel Römer.

Auf den Bildern der Brandnacht ist schemenhaft ein Mann mit heller Jacke und Vollbart zu sehen. Die Bilder blieben nicht als Beweismittel bei der Polizei. Sie landeten auf dem Computer eines Nabu-Mitgliedes, wurden kopiert und in den Nachbargemeinden herumgezeigt. „Der Mann auf dem Bild ist Herr Füßlein“, sagt Christel Römer. Alle, denen die Bilder gezeigt wurden, hätten ihn auch erkannt.

Mit ihren Angaben hätten die beiden Nabu-Mitglieder die polizeilichen Ermittlungen in eine Richtung gedrängt, sagt Füßleins Verteidigerin Kerstin Börner. „Mein Mandant wurde damit quasi vorverurteilt.“ In der Akte sei der Förster die einzige ernsthafte Ermittlungsrichtung.

Davon ließ sich wohl auch die Döbelner Amtsrichterin beeindrucken, die Füßlein im August 2014 verurteilte. Sein Motiv sei Rache gewesen. Füßlein habe sein Lebenswerk angezündet, weil man es ihm weggenommen hatte. Doch in dem Prozess seien nur Beweise zulasten ihres Mandanten gewürdigt worden, so Verteidigerin Börner.

Anders vor wenigen Wochen im Chemnitzer Landgericht. Da hörte der Vorsitzende Richter genau hin, als eine Sachverständige vom Landeskriminalamt erklärte, dass der Mann auf den Beweisbildern auch ein anderer als Füßlein sein könnte. Das sei bei der Qualität der Bilder nicht festzustellen. Die Beamtin zeigte ins Publikum, wo mehrere Männer mit ähnlichen Bärten wie Füßlein saßen.

Im Berufungsprozess kam auch die Kripo in die Bredouille. Sie war einer Reifenspur nicht nachgegangen, die von einem Fahrrad stammt. Der Verdächtige Füßlein lebt zwölf Kilometer von der Station entfernt, ist laut Ausweis gehbehindert, wäre nur mit dem Auto zum Schwarzholz gekommen, lag aber nach Aussagen seiner Frau zur Tatzeit mit einer Dosis Opium-Tropfen im Bett – fahruntüchtig.

Auf ähnliche Weise ließen die Ermittler von einer Schnapsflasche ab, die am Brandort gefunden wurde – mit Fingerabdrücken. Die stammten nicht von Füßlein. Enthielt die Flasche den Brandbeschleuniger? Die Frage blieb ungeklärt. Die Spur sei nicht weiter verfolgt worden, so die Anwältin. Weder die Razzia in Füßleins Haus noch die Auswertung seiner Handyverbindungsdaten brachten Hinweise, dass er das Feuer gelegt hatte.

Für den Vorsitzenden Richter stand nach der Beweisaufnahme fest, dass auch andere Personen als Täter infrage kommen und dass auch andere von dem Brand profitiert hätten. Doch all das habe die Polizei nicht ausreichend untersucht, so der Richter in der mündlichen Begründung seines Freispruchs. „Das Berufungsgericht habe sehr wohl festgestellt, dass es immer die gleichen Leute seien, die versuchten, meinen Mandanten zu diskreditieren“, sagt Anwältin Börner. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Revision gegen den Freispruch eingelegt.

Karl-Peter Füßlein sieht sich rehabilitiert. Die Station gibt er noch immer nicht verloren. Am 21. März will er wieder Naturfreunde durch das Schwarzholz führen. Dann könnte er das alte Jagdhaus wieder mal sehen – schöner denn je. Wieder aufgebaut für 300 000 Euro – ziemlich genau für die Summe, mit der es versichert war.