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Wenn der Umzugswagen kommt

Um die 800 Menschen verlassen Weißwasser jedes Jahr. Einige mehr ziehen her. Trotzdem schrumpft die Stadt.

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© Joachim Rehle

Von Constanze Knappe

Matthias Kittan schickt den Hubwagen wieder hoch. Auf dem Balkon einige Etagen höher warten bereits Mitarbeiter des Möbeltransport-
unternehmens von Hagen Kittan aus Weißwasser, um die Plattform des Hubgeräts mit Möbeln aus einer Plattenbauwohnung zu beladen. Es ist der einfachste Weg, sperrige Gegenstände nach unten zu befördern, ohne sich jedes Mal durch das Treppenhaus schinden zu müssen. An die zehn Umzüge bewältigt das Unternehmen jeden Monat. Manche Familien verlassen nur den Block, weil der wie in der Bautzener Straße abgerissen wurde. Andere kehren der Stadt ganz den Rücken.

Es gab Zeiten, da haben nach Aussage von Oberbürgermeister Torsten Pötzsch pro Jahr mehr als 1 200 Bürger Weißwasser verlassen. Ganz so schlimm, so sagte er gegenüber SZ, sei es jetzt nicht mehr. Und das besonders erfreuliche daran: In den vergangenen beiden Jahren zogen mehr Leute nach Weißwasser hin als im Gegenzug aus der Stadt weg. In Zahlen ausgedrückt stehen 815 Wegzüge für 2016 zu Buche, im Jahr davor verließen 787 Männer, Frauen und Kinder die Stadt für immer. 848 Menschen ließen sich dafür 2016 als neue Einwohner von Weißwasser registrieren. Das waren sogar mehr als die 817 im Jahr davor. Die Statistik belegt damit, dass sich die Fluktuation eingepegelt hat und außerdem, dass zwischen Zu- und Wegzug nicht mehr wie einst die großen Differenzen klaffen. Wohin es die Weißwasseraner verschlägt, darüber lässt sich freilich nur spekulieren. Ein knappes Drittel wechselte nach Aussage von Stadtsprecherin Sylvana Hallwas seinen Wohnsitz innerhalb des Landkreises. 107 Bürger der Stadt zog es 2015 sogar ins Ausland, im vorigen Jahr begaben sich 60 außerhalb Deutschlands auf die Suche nach einer neuen Heimat.

Im Jahre 1820 hatte Weißwasser gerade mal 30 Einwohner, 1899 waren es 1 929. Und nur elf Jahre später wohnten hier bereits 13 724 Menschen. Die höchste Einwohnerzahl weist die Statistik mit 37 388 für das Jahr 1987 aus. Bergbau und Glasindustrie hatten unter sozialistischen Vorzeichen zum Wachstum der Stadt beigetragen. Nach der Wende trat der umgekehrte Effekt ein. Viele Menschen im Osten Deutschlands fühlten sich abgehängt, die in der Grenzregion zu Polen ganz besonders. Eine regelrechte Flucht setzte ein. Die Menschen verließen Weißwasser in Scharen, um anderswo, vor allem in den alten Bundesländern, Arbeit oder eine Ausbildung und damit zugleich eine Perspektive für sich und ihre Kinder zu finden. Problematisch für die Stadt ist bis heute, dass es sich dabei oftmals um junge Menschen handelte. Deren Kinder fehlen heute in der Stadt. Der demografische Wandel ist in Weißwasser angekommen. Alles in allem sank die Zahl der Einwohner zwischen 1990 und 2000 um 9 323 Menschen. Bis heute nahm sie um weitere 9 256 ab. Und die Schrumpfung hält an, weil mehr Leute sterben als Kinder geboren werden.

Derzeit leben noch 16 600 Menschen in Weißwasser. Mancher befürchtet gar, dass die Zahl auf 15 000 sinken könnte, wie es 1964 der Fall war. So schwarz sieht es Torsten Pötzsch aber nicht. Ganz im Gegenteil. Er ist davon überzeugt, dass sich angesichts der Zuzügler, unter denen viele junge Leute sind, auch in der Geburtenzahl etwas tun wird. Deshalb sei die Entscheidung zum Bau der neuen Kita Regenbogen richtig und wichtig gewesen.

Nach eigener Aussage avisiert Torsten Pötzsch lieber die Zahl von 17 000 Einwohnern an. Eine magische Grenze. Die zu überschreiten es Ideen braucht. Wie das Rückkehrer-Telefon, welches nach den Worten von OB Pötzsch „anfangs ziemlich belächelt“ wurde. Im Juli 2013 war es geschaltet worden. Seither wurden an die 100 Telefongespräche geführt. In diesem Jahr ließen sich acht Anrufer registrieren, im vorigen Jahr waren es zehn. Betreut wird das Rückkehrer-Telefon von drei Mitarbeitern aus dem Bereich des Referats Oberbürgermeister. Dieser nahm aber auch selbst schon Anrufe entgegen. Zudem werde er über Facebook und per E-Mail auch selbst direkt kontaktiert. Anfragen kamen nach Aussage von Sylvana Hallwas überwiegend aus den alten Bundesländern. Zwar lasse sich der Erfolg des Rückkehrer-Telefons nicht unmittelbar in Zahlen abrechnen, aus Sicht des OBs mache es dennoch Sinn. „Es ist ein Baustein in der Willkommens-Kultur der Stadt“, sagt er. Manchen, der Weißwasser einst den Rücken kehrte, zieht es zurück in die Stadt. Und damit in die alte Heimat, wo Eltern und Freunde leben. Und wo inzwischen Arbeitgeber danach fragen, ob in der Rückkehrerkartei geeignete Fachkräfte sind. Es gelinge zunehmend, alles passend zu kriegen, so der OB. Der Erfolg liegt für Torsten Pötzsch auf der Hand. „Es sind bereits Menschen nach Weißwasser gezogen, die das Rückkehrer-Telefon genutzt haben“, sagt er. Deshalb müsse man dranbleiben.