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Wenn das Wetter Theater macht

Auf der Felsenbühne Rathen ist Andreas Gärtner der Mann am Regenradar. Sein schwerster Job: das Publikum heimschicken.

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© Dirk Zschiedrich

Von Jörg Stock

Alles trieft. Mit breiten Schiebern wischen Arbeiter Pfützen von der Bühne. Im Zuschauerraum fehlt ein Teil des Fußbodens. Er liegt etliche Meter bergab im Wehlgrund, oder noch weiter unten, an der Kasse. Mit Schubkarren wird der weggeschwemmte Sand eingesammelt und in die knöcheltiefen Scharten bei den Bänken und am Reitweg gekippt. Andreas Gärtner leitet die Aktion. Er sieht wenig glücklich aus. Gerade heute hat auch noch der Hausmeister frei. „Schöner Mist!“

Andreas Gärtner ist Chef auf der Felsenbühne Rathen. Offiziell heißt sein Job Objektverantwortlicher. „Das schließt praktisches Handeln ein“, sagt er grinsend. Deshalb war er an diesem Morgen halb sieben als Erster hier und hat seither geschaufelt. Die Nacht davor war er praktisch auch im Dienst. Da lag er mit dem Laptop im Bett und verfolgte die Gewitterfronten, die auf seine Spielstätte zurollten. Wenn er solche Wetterberichte sieht, sagt er, geht bei ihm das Kopfkino los. „Da weiß ich schon, was mich am nächsten Tag hier erwartet.“

Die Felsenbühne Rathen gilt als schönstes Naturtheater Europas. Der Haken: Die Natur spielt nicht immer mit. Im Schnitt fallen jährlich sechs Vorstellungen dem Regen zum Opfer. Dieses Jahr waren es schon fünf, darunter, besonders schmerzlich, die Premiere des Musikmärchens „Die Sonne“. Wenigstens war es eine eindeutige Sache, sagt Andreas Gärtner. Es goss so hartnäckig, dass man vier Stunden vor Spielbeginn absagen konnte. Allemal besser, als nervenzehrendes Hoffen und Bangen, das am Ende doch nichts nützt. „Wenn schon Mistwetter, dann richtig!“

Gegenüber der Gewandmeisterei steigt Andreas Gärtner die Stiege zu seinem Büro hinauf. „Die Zentrale der Macht“, flachst er. Bei seiner wichtigsten Aufgabe, der Wetterbeobachtung, ist er komplett machtlos und zum Zuschauen verdammt. Das immerhin tut er mit Akribie und Hingabe. Kaum ist das verschwitzte Hemd gewechselt, sitzt der Bühnenchef hinterm Schreibtisch und späht auf den Computerschirm, wo sich die Niederschlagskurven und die Echobänder des Regenradars tummeln. In einer Stunde geht das Spiel los: Schneeweißchen und Rosenrot. „Das kriegen wir durch“, sagt er. Doch neuer Niederschlag ist im Anmarsch und bedroht den Freischütz. Zum Glück ist der erst am nächsten Abend dran. Laut Vorausschau müsste der Regen dann schon weg sein. Doch Gärtner hat eine goldene Regel: Traue keiner Prognose, die weiter vorausblickt als drei Stunden. Vorläufig bleibt also nur eins: abwarten.

Ein Säuseln aus dem Off: Die Inspizientin ruft ihre Akteure zum Auftritt. Bühne und Sitzbänke sind einigermaßen trockengelegt. Das Gelände freilich nicht. Gut, dass keine Pferde im Märchen vorkommen. So ist die ausgespülte Koppel keine Katastrophe, und der pappige Weg, wo Pferd und Wagen stecken bleiben könnten, stört auch nicht weiter. Wäre große Reiterei im Spiel, wie etwa bei Winnetou, könnte die Vorstellung auch ausfallen, obwohl es gar nicht mehr regnet. Die Sicherheit geht vor.

Das Stück läuft. Zeit zum Verschnaufen für den Bühnenchef. Er guckt auf seine Wetterstation und dann zum Fenster raus. Ins Protokoll schreibt er 18 Grad Wärme, 87 Prozent Luftfeuchtigkeit, Himmel bedeckt, leichter Sprühregen. Tatsächlich. Es regnet ja schon wieder! Gefahr? Wenn es nicht mehr wird, sagt Andreas Gärtner, geht es. Das Ensemble ist tapfer. „Was machbar ist, das wird gemacht.“ Doch manchmal ist eben nichts mehr zu machen. Wie letztens, an einem Samstagabend, 1 200 Gäste und Regen, unerwartet heftig. Schauspieler, Musiker, Bühnenmeister – alle stimmten für Abbruch. Einer musste es den Leuten sagen, der Chef, Andreas Gärtner. Was er dann sagt, ist Routine. Aber wie er es sagt, das wird nie Routine werden. Furchtbar findet er solche Momente. Die Gäste, kurzärmlig und klamm, wären sicher geblieben. Aber dieses Mal, und das nimmt er als Trost, waren die meisten bestimmt froh, dass sie gehen durften.