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Weiße Luftballons für Anneli

Hunderte begleiten die Familie der ermordeten 17-Jährigen bei ihrem letzten Gang. Sie setzen ein Hoffnungszeichen.

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© kairospress

Von Christoph Scharf und Ulf Mallek

Ein Sonnabend im August in Sora bei Meißen: Der Himmel im schönen Blau, als habe er einen neuen Engel empfangen. Die Sonne scheint, eine wilde Pflaume wirft ihre überreifen Früchte ab.

Der Trauerzug für Anneli kommt aus der Kirche. Die Familie hatte Pressefotos von der Beerdigung untersagt. Dieses Foto wurde von ihr freigegeben.
Der Trauerzug für Anneli kommt aus der Kirche. Die Familie hatte Pressefotos von der Beerdigung untersagt. Dieses Foto wurde von ihr freigegeben. © Claudia Hübschmann

Die Kirchenglocken läuten. Anneli- Marie wird an diesem Tag zu Grabe getragen. Rund 800 Menschen sind gekommen, um Anteil zu nehmen. Die Kirche im Klipphausener Ortsteil Sora ist viel zu klein für die Trauernden. Sie fasst weniger als die Hälfte.

Hunderte Menschen begleiten die Feier draußen auf dem Kirchhof, wohin Lautsprecher die Gebete, Reden und den Gesang des Gospelchors der Meißner St.-Afra-Kirchgemeinde übertragen. Der Chor singt „True Colors“ von Cindy Lauper, einen von Annelis Lieblingsongs. Die Menschen halten ihre Köpfe gesenkt.

Pfarrer Bernd Oehler erinnert an die 17-Jährige, die vor reichlich zwei Wochen entführt und wenig später ermordet worden war. Sie war nur mit ihrem Hund Paula spazieren gegangen. Wie immer. „Es gibt keinen größeren Schmerz für Eltern, als am Grab ihrer Kinder zu stehen“, sagt der Meißner Pfarrer, der gemeinsam mit seinem Soraer Kollegen Christoph Rechenberg die Trauerfeiern gestaltet. Unfassbar seien die Gier und Dummheit, die die Täter getrieben habe. Sie erwarte ein hartes Gericht.

Nur eine Blume

Gott nehme Anneli nun zu sich, er tröstet auch den Schmerz der Hinterbliebenen, sagt der Pfarrer. Während seiner Rede nehmen sich Menschen in die Arme. Schülerinnen stützen sich gegenseitig, Eltern fassen ihre Kinder um die Schulter. Zwischen Gräbern und Bäumen drängen sich Mitschüler, Freunde, Bekannte. Fast jeder hat eine Blume mitgebracht: Rosen, Nelken, Sonnenblumen. Und immer wieder weiße Rosen. „Nur eine Blume“, darum hatten Annelis Eltern in ihrer Traueranzeige in der SZ gebeten. Vielen Zuhörern stehen Tränen in den Augen, als der Pfarrer die Lebensstationen Annelis Revue passieren lässt. Sie ist das Nesthäkchen, wird geboren, als die Schwester 14 und der Bruder 8 Jahre alt ist. Sie spricht früh, kann schon mit einem Jahr laufen und liebt es, ganze Städte aus Papier zu bauen. Kaum in der Schule, entdeckt Anneli das Klavierspiel für sich. Mit acht Jahren beginnt sie, ihre Musik-Stunden selbst zu organisieren. Sie liebt Katze, Hase, Hund und auch Harry Potter.

Von früh an habe Anneli eine Begabung für Sprachen gezeigt, vor allem für das Englische. „Auf den Reisen der Familie wurde sie bald zur Dolmetscherin“, sagt Pfarrer Oehler. Die letzte gemeinsame Reise führte die Familie nach Israel, ins Heilige Land. Dort besichtigte man auch den Kreuzweg. „Da wusste noch niemand, dass Anneli bald selbst ein Kreuzweg bevorstehen würde. Und nun auch der ganzen Familie.“ Annelis große Schwester Anett gedenkt in einer bewegenden Ansprache der Schülerin, die so viele Pläne gehabt hatte. Ihre fröhliche Art, ihr lässiger Umgang mit dem Aufräumen. „Zu viel Ordnung ist ungemütlich“ – das sei einer ihrer Sprüche gewesen.

Nächstes Jahr hätte die Gymnasiastin ihr Abitur abgelegt. „Wir haben gedacht: Mit ihrer Empathie und ihrer offenen Art findet sie danach leicht den passenden Beruf“, sagt die Schwester. Und nun dieses unfassbare, grausame Geschehen. „Eigentlich wollte ich auf Annelis Hochzeit sprechen, nicht auf ihrer Beerdigung.“ Abscheuliche Menschen haben Anneli genommen, sagt sie weiter. „Ich wünsche uns, dass wir irgendwann unbeschwert trauern können.“

Ein 39-jähriger Koch und ein 61-jähriger Schrotthändler sollen Anneli getötet haben. Der jüngere lebte bis vor Kurzem mit seiner Familie ganz in der Nähe, in Lampersdorf. Auf dem Hof wurde Annelis Leiche gefunden.

Nun werde Anneli die Familie als Engel begleiten, sagt die Schwester zu den Trauernden. Im ersten Strahl des Sonnenaufgangs sei Anneli präsent, im letzten Schein der Abendsonne. Im Herbstnebel genauso wie in den ersten Frühlingsknospen. Auch in der Taube, die seit ihrem Tod an Annelis Zimmerfenster auftaucht.

Sechs Träger tragen den weißen Sarg aus der Kirche, über den Kirchhof bis zum Familiengrab, das am Rand des Friedhofs in Sichtweite eines Maisfelds, von Apfelbäumen und Rhododendron liegt. Dem Sarg folgen die Eltern und Geschwister, Verwandte, Freunde und Mitschüler, Lehrer und Bekannte.

Als Zeichen der Hoffnung lassen die Menschen Hunderte weiße Luftballons in den blauen Himmel über Sora steigen. Die Trauergäste werfen Blumen in das Grab und drücken der Familie ihr Beileid aus. Die Eltern und die beiden Geschwister stehen sehr lange und schütteln alle Hände.

„Unser Engel beschütze uns“

Gleichzeitig spielt ein Pianist am Grab auf einem Flügel Annelis Lieblingslieder. „Wir versprechen, ihr Andenken zu ehren. In der Hoffnung auf ein Miteinander: Herzen und Türen stehen offen“, schreibt die Familie im Faltblatt zur Trauerfeier. „Unser Engel beschütze uns.“ Der Sommerwind trocknet die Tränen der Trauenden. Ihren Schmerz aber lässt er zurück.

Aufgrund der Nachfrage hat die Familie ein Spendenkonto angelegt. Vom Geld soll ein steinerner Schutzengel am Grab angefertigt werden. Sollten mehr Spenden als dafür nötig eingehen, kommt das Geld einem gemeinnützigen Zweck zugute. Bankverbindung: Anneli-Marie R., IBAN: DE 50 8505 5000 4001 1686 72, BIC: SOLADES1MEI,

Kreissparkasse Meißen, Verwendungszweck „Schutzengel“.

www.anneli-marie.com