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Das große Warten

Die SZ begleitet eine Flüchtlings-Familie aus Syrien in Sachsen. Heute: Rozan Sido ist zum ersten Mal in der Arbeitsagentur. Die Familie braucht nun sehr viel Geduld.

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© Thomas Kretschel

Von Olaf Kittel

Auch für Flüchtlinge ist in der Dresdner Agentur für Arbeit inzwischen alles klar geregelt. In der ersten Etage, gleich gegenüber dem Fahrstuhl, gibt es einen kleinen Wartebereich. Rozan Sido, der Familienvater der Flüchtlingsfamilie aus dem syrischen Aleppo, den die SZ in einem Langzeitprojekt begleitet, wird von einer Tagesmanagerin freundlich begrüßt und amtlich registriert. Acht Monate nach seiner Ankunft in Dresden. Heute übernimmt das Areti Anagnostou, eine gebürtige Griechin.

Rozan Sido spult seine persönlichen Daten routiniert ab. Wie er es in vielen Dresdnern Ämtern zuvor auch schon getan hat. 28 Jahre ist er, verheiratet, zwei kleine Kinder. Schulabschluss der 8. Klasse. Er arbeitete in Syrien zwölf Jahre als Bauelektriker. Nein, Arbeitspapiere hat er nicht. Ausbildung auch nicht. In seiner Heimat ist es üblich, angelernt zu werden, und dann geht`s eben los. Deutsch kann er auch noch nicht. Frau Anagnostou kann das nicht schrecken. Sie lobt, dass er im Erstaufnahmelager ohne Bezahlung gemalert hat und jetzt versichert, gern auch jeden anderen Job zu machen. Die Tagesmanagerin bestätigt: „Die meisten Flüchtlinge, die zu uns kommen, wollen arbeiten. Sie wollen ihr eigenes Geld verdienen.“

Die Ehefrau ist einen Schritt weiter

Eine Woche später ist Rozan Sido wieder in die Arbeitsagentur bestellt, diesmal zu seinem künftigen Betreuer Andreas Babuke. Der junge Mann prüft noch einmal die Personaldaten. Wieder beantwortet Rozan Sido geduldig die gleichen Fragen. Und wie geht es nun weiter? Herr Babuke erklärt dem Syrer ebenso geduldig den Lauf der Dinge, der schon für Deutsche schwer zu verstehen ist.

Zunächst muss der Aufenthaltsstatus geklärt sein. Während seine Frau jetzt wenigstens eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen hat, lebt Rozan Sido noch immer mit einem Schriftstück, das sich „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ nennt. Damit darf er nicht viel, schon gar nicht arbeiten. Anfang Juni könnte sich das ändern. Aber noch ist unklar, ob er doch weiter mit dieser Bescheinigung leben muss, eine sogenannte Aufenthaltsgestattung erhält oder gleich einen befristeten Aufenthaltstitel. Dann könnte er auch Arbeit suchen. Aber erst dann. Nachfragen bei der Ausländerbehörde, was denn nun wird, sind zwecklos. Also: Warten.

Nun folgt die nächste, die zurzeit höchste Hürde. Er braucht einen sechsmonatigen Integrationskurs, in dem er Deutsch lernt. Ohne geht es kaum auf dem Arbeitsmarkt. Aber obwohl er als Syrer dafür bevorzugt angenommen wird, dämpft Andreas Babuke die Erwartungen: Das kann noch ein halbes Jahr dauern! Das heißt: Familie Sido ist seit acht Monaten hier, sie wartet jetzt noch sechs Monate auf den Kurs, der dann sechs Monate dauert. Halbwegs fit für den Arbeitsmarkt ist Rozan Sido also frühestens 20 Monate nach der Ankunft, nach fast zwei Jahren. Der Flüchtlingsansturm, der seit Sommer erst auf den Straßen und dann in den Flüchtlingslagern zu erleben war, hat jetzt unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Behörden erreicht. Die Kapazitäten reichen nicht vorn und nicht hinten. Für die Flüchtlinge heißt das: Warten, warten, warten.

Rozan Sido muss sich mit seiner Familie jetzt überlegen, wie er die Zeit sinnvoll nutzt. Deutschstunden können sie auch vor dem Integrationskurs schon nehmen und vielleicht auch einen Schnupperkurs in einem Unternehmen belegen. Eine Dresdner Solarfirma hat nach den ersten SZ-Artikeln über Familie Sido schon mal Interesse bekundet und vorsichtig die Fühler ausgestreckt.

Zwei Angebote mit Risiken

Wenn der Integrationskurs dann irgendwann begonnen hat, bietet die Agentur für Arbeit zwei Alternativen an. Rozan Sido kann als Hilfsarbeiter anfangen und bekommt dann auch schon Geld. Oder er beginnt in diesem halben Jahr eine Ausbildung ohne Bezahlung. Dafür könnte er dann anschließend eine besser bezahlte Tätigkeit aufnehmen. Die Entscheidung wird Familie Sido nicht leichtfallen.

Eine noch längerfristige Planung ergibt gegenwärtig wenig Sinn. Flüchtlinge aus Syrien erhalten zwar mit großer Wahrscheinlichkeit Asyl, aber maximal für drei Jahre. Was dann wird, ist vollkommen unklar. Muss Familie Sido zurück? Hat sie eine Chance hierzubleiben, wenn sie sich gut integriert? All diese Fragen sind bald zu beantworten. Davon wird nicht zuletzt abhängen, ob sich Unternehmen, die langfristig planen müssen, für Flüchtlinge interessieren.

Ist in Dresden ein Platz in einem Integrationskurs frei? Wer kann helfen? Informationen bitte an [email protected]

Alle Artikel über Familie Sido finden Sie gesammelt im Themenspezial „Von Syrien nach Sachsen“