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War Sachsens Kreisreform ein Fehler?

Brandenburgs Regierungschef hat die Reform bei sich gekippt. Wäre auch der Freistaat mit einem Verzicht besser gefahren?

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© dpa/Michael Kappeler

Von Gunnar Saft und Rochus Görgen

Das Projekt war umstritten, es war langwierig, und am Ende wurde es von vielen Betroffenen nur zähneknirschend umgesetzt: die Kreisreform in Sachsen

Mit 48 Landkreisen startete der Freistaat einst in die Nachwendezeit. Zwei Mammutreformen sorgten dafür, dass deren Zahl inzwischen auf nur noch zehn gesunken ist. Das erste Mal veränderte sich die Sachsenkarte ab 1994. Nach Fusionen und Gebietsaufteilungen blieben damals noch 22 selbstständige Kreise übrig. Der nächste Einschnitt folgte im Sommer 2008, bei dem sich das Prozedere wiederholte, was zu der heute gültigen Struktur führte. Ein Problem, das allerdings blieb: Während Verwaltungsexperten die großen Strukturen als effektiver ansehen, fremdeln viele Bürger mit der neuen Konstruktion. Sie beklagen, dass regionale Identität verloren geht und Behördenwege länger werden.

Ein Umstand, welcher der Bevölkerung im Nachbarland Brandenburg nun erst einmal erspart bleibt. Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) hat dort jetzt die umstrittene Kreisgebietsreform gestoppt. Die geplante Abstimmung über das Gesetzesvorhaben Mitte November werde es wegen des Widerstandes der kommunalen Ebene nicht geben, sagte er am Mittwoch in Meyenburg (Landkreis Prignitz) „Das folgt aus Verantwortung für dieses Land“, erklärte Woidke. „Wir sind gut beraten, das Land zusammenzuhalten, und stehen vor riesengroßen Herausforderungen.“

Damit ist das zentrale Reformvorhaben der rot-roten Landesregierung in Potsdam gescheitert. Linken-Landeschef Christian Görke und Linken-Fraktionschef Ralf Christoffers erklärten in einer gemeinsamen Mitteilung: „Demokratie muss ohne Brechstange auskommen und braucht Mehrheiten in Parlament und Gesellschaft.“ Für das Projekt haben man keine breite Zustimmung erzielen können. Es sei nicht gelungen, den Zusammenschluss von Landkreisen nachvollziehbar zu begründen.

Wegen des Rückzugs Woidkes bei der Reform kam es auch zum Bruch mit SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz, die als strikte Befürworterin der Reform galt. Die Generalsekretärin und er wollten sich im gegenseitigen Einvernehmen trennen, sagte Woidke. Das ursprünglich für die Reform vorgesehene Geld in Höhe von über 400 Millionen Euro soll nun unter anderem in Infrastruktur investiert werden, kündigte der Regierungschef an. Damit geht er auf eine zentrale Forderung der Opposition ein, die die Reform strikt bekämpft hatte.

Auf den Tag genau vor einem Jahr war mit Unterstützung der CDU eine Volksinitiative gegen die Kreisgebietsreform gestartet worden. CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben wertete das Scheitern der Reform als „großen Erfolg für die Bürger Brandenburgs“. Woidke sei nun bereits an seiner dritten Reform gescheitert, meinte Senftleben. „Erst Forstreform, dann Polizeireform, nun Kreisreform – Woidkes Weg ist von gescheiterten Projekten gepflastert.“

Nach den Plänen sollte es nur noch 12 statt 18 Kreise und kreisfreie Städte geben. Nur Potsdam sollte kreisfreie Stadt bleiben. Die Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel sollten jeweils mit angrenzenden Kreisen fusionieren. Durch weitere Zusammenlegungen sollten größere Verwaltungseinheiten entstehen. Hintergrund waren Prognosen über eine rückläufige Bevölkerungszahl und die hohe Verschuldung der großen Städte.

Das Scheitern von Brandenburg kratzt dann auch in Sachsen wieder an alten Wunden. Hierzulande hat sich die öffentliche Empörung zwar längst gelegt, einige ungute Gefühle gibt es bei diesem Thema aber immer noch. So steht der versprochene Nachweis über die vermeintlich enormen Kostenvorteile sowie einen deutlichen Bürokratieabbau weiter aus. Zudem gibt es bei der Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben noch viele Lücken, sodass der Computer zu Hause für viele Bürger den Gang zu Amt oft nicht ersetzen kann. Auch hat die Kreisreform nicht automatisch dafür gesorgt, dass man dann dort als Antragsteller stets auf einen freundlich agierenden Verwaltungsmitarbeiter stößt.

Immerhin: Pläne für weitere Zusammenlegungen gibt es im Freistaat bisher nicht. Dafür wurden die Sachsen in einem Punkt entschädigt: Seit 2012 können sie fast alle Kfz-Kennzeichen der abgeschafften Altkreise wieder beantragen und nutzen. Der Andrang auf dieses regionale Erkennungsmerkmal ist ungebrochen hoch. So bleiben die alten Strukturen zumindest im Straßenverkehr erhalten. (mit dpa)