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Wann sind Tiere herrenlos?

Um diese Frage streitet sich Olbersdorf mit dem Landkreis vor Gericht – und könnte vors Bundesverwaltungsgericht ziehen.

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© Matthias Weber

Von Mario Sefrin

Olbersdorf. Olbersdorf könnte deutsche Rechtsgeschichte schreiben. Denn die Gemeinde muss sich in diesen Wochen überlegen, ob sie vor dem Bundesverwaltungs-gericht gegen eine Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Bautzen in Revision geht. Dort ist die Gemeinde jetzt mit der Berufung gegen ein Urteil gescheitert, laut dem sie 384 Euro für Transport und Unterbringung eines aufgefundenen Hundes im Tierheim zahlen soll.

Der Fall, um den es geht, liegt über fünf Jahre zurück. „Am 28. April 2011 fanden Mitarbeiter der Olbersdorfer Gemeindeverwaltung am Rande der Ortslage einen herrenlosen großen braunen Hund“, sagt der Zittauer Rechtsanwalt Torsten Mengel. Er vertritt Olbersdorf in dem Verfahren vor Gericht. „Der Hund verhielt sich apathisch, war völlig verwildert, zerzaust und ungepflegt, abgemagert und reagierte scheu und abweisend auf sich nähernde Menschen“, gibt Mengel die Eindrücke der Gemeindemitarbeiter wieder. Da Ermittlungen im Umland ergeben hatten, dass kein Hund als vermisst gemeldet worden war, und das Tier keinerlei Halsband oder Steuermarke trug, habe es sich „nach allen objektiv zur Verfügung stehenden Kriterien um ein herrenloses Tier gehandelt“, sagt Anwalt Mengel. Der Einschätzung, um was für ein Tier es sich handelt, kommt in dem Fall eine große Bedeutung zu. Denn bei Fundtieren, deren Halter ermittelt werden können, ist die jeweilige Fundgemeinde in der Pflicht. Laut Sichtweise des Landkreises trifft das aber auch für herrenlose Tiere zu. Der Kreis beruft sich dabei auf eine Handlungsempfehlung des Sächsischen Städte- und Gemeindetages und des Sozialministeriums von 2011. Danach sind sowohl ausgesetzte als auch verlorene oder entlaufene Tiere, bei denen eine Besitzaufgabe nicht eindeutig festgestellt werden könne, als Fundsache zu betrachten. In solchen Fällen sei die Fundgemeinde verpflichtet, die Tiere entgegenzunehmen und eine artgemäße Ernährung, Pflege und Unterbringung zu gewährleisten, sagt der Landkreis. Im Zweifel sei stets dem Fundverdacht Vorrang einzuräumen.

Anwalt Mengel lässt das nicht gelten. „Insbesondere das Fehlen einer Steuermarke ist allein schon, noch mehr aber angesichts der vielen anderen Indizien, ein klares Anzeichen dafür, dass das Tier herrenlos war und ein möglicher früherer Eigentümer den Besitz längst aufgegeben hatte – in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten“, sagt er. Bei derartigen Tieren wie im Olbersdorfer Fall sei das Fundrecht nicht anwendbar, argumentiert er. Für ihn steht fest: „Eine Einstandspflicht der Klägerin besteht nicht.“ Er meint damit: Olbersdorf muss nicht für Transport und Unterbringung des Hundes aufkommen.

Das hat das Dresdner Verwaltungsgericht im Mai 2015 anders gesehen. Dort hatte Olbersdorf den Landkreis Görlitz auf Erstattung der genannten Kosten verklagt. Das Gericht jedoch sah dafür keinen Anlass: Die von Olbersdorf geschilderten Umstände seien kein ausreichender Beweis dafür, dass das Tier ausgesetzt und damit herrenlos war, heißt es in der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts. Zwar sei eine eindeutige Klärung, ob es sich bei dem Hund um ein Fundtier oder ein herrenloses Tier gehandelt habe, nicht möglich, urteilt das Gericht weiter. Aber: „In einem derartigen Fall ist mit der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung davon auszugehen, dass es sich im Zweifel um ein Fundtier handelt.“ Eine Berufung gegen dieses Urteil am Oberverwaltungsgericht Bautzen hatte das Verwaltungsgericht zugelassen. Diese Möglichkeit haben die Gemeinde Olbersdorf und Anwalt Torsten Mengel ergriffen. „Die Problematik ist umstritten“, sagt der Anwalt. „Vor dem Hintergrund einer prekären Finanzlage der Kommunen ist eine grundsätzliche Klärung immer wieder angemahnt und eingefordert, jedoch nie erreicht worden.“ Nach Lesart des Landratsamtes werde jedes Tier irgendwann einmal „gefunden“, so Mengel. Somit handele es sich immer um Fundtiere und damit seien ausschließlich die Kommunen zuständig und hätten regelmäßig die Unterbringung im Tierheim zu bezahlen. „Das können die Kommunen gar nicht leisten“, sagt Torsten Mengel. „Da die Besitzaufgabe so eindeutig wie nur möglich und denkbar festgestellt wurde, ist der Klage stattzugeben“, begründet Mengel darum seinen Antrag auf Berufungszulassung beim Oberverwaltungsgericht Bautzen.

Doch auch dort hat die Gemeinde Olbersdorf am Donnerstag erst einmal den Kürzeren gezogen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Dresden zurückgewiesen, eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht jedoch zugelassen. „Die Zurückweisung der Berufung hatten wir bereits erwartet, da das Oberverwaltungsgericht schon in der Verhandlung dahingehend Andeutungen gemacht hat“, sagt Torsten Mengel. „Ungewöhnlich für mich ist jedoch, dass das Oberverwaltungsgericht eine Revision am Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat. Das kann bedeuten, dass sich das Oberverwaltungsgericht in dieser Sache selbst nicht sicher ist und eine grundsätzliche Klärung in dieser Frage anstrebt.“ Nun warten die Gemeinde und ihr Anwalt auf die schriftliche Begründung des Gerichtes. „Die liegt in etwa drei Wochen vor“, so Mengel. Olbersdorf hat dann einen Monat Zeit zu überlegen, ob man vors Bundesverwaltungsgericht zieht. Torsten Mengel kann sich das vorstellen: „Der Streitwert in der Sache ist gering, sodass der Gemeinde keine hohen Prozesskosten drohen“, sagt er.