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Vorne Hui, hinten Pfui

Die Stadt Lommatzsch hat ein Problem mit herrenlosen Häusern. Dafür verantwortlich ist der Freistaat. Doch der tut nichts.

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© Jürgen Müller

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Als die junge Familie Bräuer vor gut zwei Jahren ein Haus an der Robert-Volkmann-Allee in Lommatzsch erwarb, war sie glücklich. „Wir sind Lommatzscher und wollten in der Stadt bleiben. Doch wir haben nicht geahnt, welche Probleme wir bekommen werden“, sagt die 28-jährige Kathleen Bräuer. Denn links und rechts neben ihrem Haus befinden sich sogenannte herrenlose Grundstücke. Der Eigentümer hat auf das Grundstück verzichtet, ist verschwunden. Kraft Gesetzes fallen die Grundstücke ins Eigentum des Freistaates Sachsen. Doch wie das Kreisbauamt des Landkreises mitteilt, übe der Freistaat Sachsen sein Aneignungsrecht nichts aus. Er beabsichtige, dieses Grundstück an die Stadt Lommatzsch zu übertragen.

Von vorn betrachtet sieht das Haus an der Meißner Straße ordentlich aus, ...
Von vorn betrachtet sieht das Haus an der Meißner Straße ordentlich aus, ... © Jürgen Müller
... doch hinten ist es eine Ruine. Die Leidtragenden sind die Nachbarn.
... doch hinten ist es eine Ruine. Die Leidtragenden sind die Nachbarn. © Jürgen Müller

Wie Bürgermeisterin Anita Maaß (FDP) sagt, habe die Stadt tatsächlich das Aneignungsrecht des Freistaates übernommen, übe es aber ebenfalls nicht aus. Und es sei auch in Zukunft nicht geplant. Somit bleibe das Grundstück weiter herrenlos. Das sieht nicht nur unschön aus, sondern hat für die Bräuers unangenehme Folgen. Die an ihr Haus angrenzende Mauer auf dem Nachbargrundstück fällt nicht nur ein, sondern ist durchnässt. Doch sie haben niemanden, an den sie sich wenden, den sie auffordern könnten, die Mängel abzustellen. Das einzige, was die Stadt gemacht hat, ist, einen Bauzaun aufzustellen, damit niemand das Grundstück betreten kann. Und sie hat auf der anderen Straßenseite, der Meißner Straße, die zugemauerten Fenster bemalen lassen. Früher nannte man so etwas ein Potemkin'sches Dorf. Vorn Hui, hinten Pfui. „Aneignungsrecht heißt nicht, dass wir das Grundstück besitzen, sondern bedeutet, dass jedermann das Haus erwerben kann“, sagt die Bürgermeisterin. Die Stadt habe kein Geld, um dieses und andere Grundstücke zu sanieren. „Selbst wenn es Fördermittel gibt, haben wir nicht mal den Eigenanteil“, so die Amtschefin. Zudem sei mit den Mieten, die derzeit am Markt zu erzielen seien, keine Refinanzierung möglich.

Fremdes Eigentum sichern?

Die Bräuers sind rat- und hilflos. Die Sicherung der Grenzmauer werde nicht veranlasst, heißt es vom Kreisbauamt. Im öffentlichen Interesse an der Wahrung von Sicherheit und Ordnung habe das Kreisbauamt die Sperrung des gefährdeten Bereiches von der Grenzmauer auf dem herrenlosen Grundstück mittels einer Bauzaunabsperrung in Zusammenarbeit mit der Stadt Lommatzsch bereits veranlasst. Mehr wird jedoch nicht passieren. Das Amt verweist auf die Sächsische Bauordnung, wobei jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich standsicher sein muss. „Damit obliegt Ihnen die Sicherung der Bausubstanz“, schreibt das Amt. Ansprüche auf Schadensersatz müssten zivilrechtlich verfolgt werden. Doch das Amt baut gleich vor. Wegen der „Herrenlosigkeit“ des Nachbargrundstückes bestünden derzeit keine Erfolgsaussichten. Das Amt empfiehlt der jungen Familie, „im Interesse der alsbaldigen Instandsetzung der Grenzwand in Erwägung zu ziehen, nach Absprache mit der Stadt Lommatzsch die erforderlichen baulichen Maßnahmen zu deren Sicherung selbst zu veranlassen und von einem Fachunternehmen ausführen zu lassen“.

Die Bräuers sind empört. „Was für eine Frechheit! Wir sollen fremdes Eigentum auf unsere Kosten instandsetzen lassen. Der Freistaat wälzt das einfach auf uns ab. Sind wir Menschen zweiter Klasse und nur die Geldgeber für Steuern“, empört sich Kathleen Bräuer.

Das Grundstück ist kein Einzelfall, weder in Lommatzsch noch anderswo. Allein in Lommatzsch gibt es einige „herrenlose“ Grundstücke. „Für diese ist der Freistaat zuständig, aber es passiert nichts“, so die Bürgermeisterin. Sachsen wolle das Problem auf die Kommunen abwälzen, aber die seien gar nicht in der Lage, diese Grundstücke zu entwickeln. „So entsteht eine Situation, in der sich niemand bewegt“, so Anita Maaß. Ein Abriss sei wegen der restriktiven Förderung nicht möglich. So muss ein Grundstück erst zehn Jahre brachliegen, ehe es wieder bebaut werden darf.

Nicht nur herrenlose Grundstücke sind das Problem. Manche Häuser haben Eigentümer, doch diese lassen sie verfallen. In mehreren Fällen ist jetzt die Bauaufsicht des Landkreises eingeschritten, hat wegen Einsturzgefahr Absperrungen aufgestellt. Die Lommatzscher Friedrichstraße ist deswegen sogar teilweise gesperrt.

Und Besserung ist nicht in Sicht. So hat die Landesregierung bei der Abrissförderung weitere Einsparungen beschlossen. Im neuen Doppelhaushalt sollen die Mittel für Abriss halbiert werden. Noch drastischer wird das Landesbrachenprogramm gekürzt: von zehn Millionen Euro auf 100 000 Euro jährlich. „Hier ist ein Umdenken in der Förderpolitik des Freistaates dringend notwendig, sonst kommt der Umbau im ländlichen Raum nicht voran“, sagt Bürgermeisterin Anita Maaß. Das Problem gebe es nicht nur in Lommatzsch. Alle Städte im Landkreis seien davon betroffen. „Es ist zu befürchten, dass es in Zukunft überall noch mehr Abrissgrundstücke geben wird, wenn nichts passiert“, so die Bürgermeisterin. Das Problem mit den herrenlosen Grundstücken müsse aber der Freistaat lösen. Außerdem gehe es auch um rechtliche Lösungen für Grundstücke, die nur noch „Briefkastenfirmen“ gehörten oder Spekulanten, die nicht greifbar sind. Hierfür bräuchte man im Sinne der Stadtentwicklung durchaus auch „Enteignungsmöglichkeiten“.

„Natürlich werden solche Dinge Geld kosten. Die ständige Neuausweisung von Siedlungsgebieten kosten aber auch Geld und geht zu Lasten der Umwelt. Hier ist der Freistaat gefragt, welche langfristige Entwicklung er einschlagen möchte. Historische Altstädte, die verfallen oder Einheitsneubaustandorte am Rande der Großstädte, zu Lasten von land- und forstwirtschaftlichen Flächen?“, so die Lommatzscher Bürgermeisterin.