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Vom Hörsaal ins Klassenzimmer

Linda Schmidt ist die Antwort auf den Lehrermangel auf dem Land. Für die junge Frau wurde so manche Regel gebrochen.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Lampertswalde. Nach dem Ende des Studiums, nach fünf Jahren Büffeln und Prüfungsmarathon erst einmal ein paar Monate lang gar nichts tun, durchatmen, vielleicht sogar eine Weltreise machen? Das war nichts für Linda Schmidt. Als die 24-jährige Dresdnerin, die ursprünglich aus Strehla kommt, im Sommer ihr 1. Staatsexamen in der Tasche hatte, wollte sie so schnell wie möglich den nächsten Schritt gehen auf dem Weg zu ihrem Traumberuf Grundschullehrerin. Normalerweise heißt dieser Schritt Referendariat, also das Lehrerdasein unter strenger Beobachtung erst einmal am lebenden Objekt durchspielen, bevor das 2. Staatsexamen bewältigt werden muss und die erträumte Festanstellung in greifbare Nähe rückt.

Stattdessen stand Linda Schmidt ab August bereits alleine vor einer Schulklasse, ihrer eigenen: 16 Abc-Schützen aus Lampertswalde und Umgebung, für die die junge Frau als Klassenlehrerin nun die Verantwortung trägt. Die Grundschule in Lampertswalde – neun Lehrer, gut 120 Schüler – hat die Absolventin praktisch von der Hörsaalbank weg fest angestellt. Ein Traum für Linda Schmidt – und eine völlige Überrumpelung. Dass es so schnell mit einer Festanstellung klappen würde, hätte sich die 24-Jährige nicht träumen lassen, als sie nach ihrem Abschluss bei der Bildungsagentur anfragte, ob sie den Zeitraum bis zum Beginn des Referendariats im nächsten Februar nicht irgendwie überbrücken könnte. Was ein großes Problem für viele Schulen, gerade in ländlichen Gebieten, ist, wurde für die junge Frau zum Glücksfall: der Lehrermangel. Die Lehrer, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, können nicht so schnell ersetzt werden, auch weil der Beruf in Sachsen an Attraktivität verloren hat. Der Freistaat lässt sich das Werben um neue Lehrer in den nächsten zwei Jahren rund 213 Millionen Euro kosten. Es sollen unter anderem zusätzliche Stellen geschaffen und Lehrer besser bezahlt werden. Außerdem wurden in diesem Jahr 700 Quereinsteiger eingestellt.

Was es für diese heißen muss, plötzlich vor einer Klasse zu stehen, kann sich Linda Schmidt nicht einmal ausmalen. Denn schon die ausgebildete Grundschullehrerin für die Fächer Englisch, Mathe, Deutsch und Sachunterricht fühlte sich am Beginn ihrer Anstellung ins kalte Wasser geworfen. Eine Freundin aus der Uni, die den gleichen ungewöhnlichen Werdegang hat wie sie, hat es in einem Fernsehinterview einmal so verglichen: „Wir hatten jetzt unsere Fahrstunden und haben gerade die theoretische Prüfung bestanden – und auf einmal sind wir Berufskraftfahrer.“

Wie ein Elternabend aussehen sollte, wurde im Studium an der TU Dresden zwar theoretisch besprochen, plötzlich musste Linda Schmidt aber selbst einen organisieren. „Ich konnte da noch gar nicht abschätzen, was ich Anfang des Schuljahres alles sagen muss“, so Schmidt. „Der nächste Elternabend ist erst nach den Ferien im Februar. Bis dahin habe ich die Chance verpasst, allen Eltern auf einmal etwas mitzuteilen. Zum Beispiel gibt es eine schöne Leseförderung, für die man sich anmelden könnte.“ Wie muss man ein Elterngespräch vorbereiten, wie eine Elterninformation verfassen? „Man muss das erst einmal falsch gemacht haben, um zu merken, wie es richtig geht.“ So schön, wie die berufliche Absicherung direkt nach dem Studium ist, Linda Schmidt wäre doch lieber den traditionellen Weg über ein Referendariat gegangen. Dann hätte sie den erfahreneren Kollegen erst einmal über die Schulter schauen können, und hätte sich manchen Fehler in der Praxis vielleicht erspart. Wenn sie ihr Referendariat im Februar anschließen wird, bleibt die junge Frau Klassenlehrerin, muss weiter normal Unterricht geben. Eine Doppelbelastung, an die sie sich dann erst gewöhnen muss.

Woran sie sich bereits gewöhnt hat, ist der tägliche Fahrtweg: 50 Minuten braucht sie von Dresden bis nach Lampertswalde, Zeit, die ihr für die Vorbereitung und Nachbereitung ihrer Stunden eigentlich fehlt. Doch Linda Schmidt ist gerne Lehrerin auf dem Land, auch wenn sie weiß, dass es die meisten ihrer Kommilitonen eher in die Stadt zieht.

In Lampertswalde sei es aber ein ganz anderes Lern- und Arbeitsklima als in den Schulen in Dresden, in denen sie für Praktika war, sagt Schmidt. Die Klassen seien kleiner, der Kontakt zu den Eltern enger und die Schüler hätten auch noch mehr Respekt vor dem Lehrer. Schmidt „Ich habe auch das Gefühl, hier werden noch nicht so viele Schimpfwörter verwendet.“