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Viel Licht und ein Schatten

In Niesky gelingt die Integration von Asylbewerbern weitestgehend geräuschlos. Nur ein Schuss trübt die Stimmung.

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© Jens Trenkler

Von Alexander Kempf

Als die Staatsanwaltschaft Görlitz und das Operative Abwehrzentrum der Polizei gemeinsam verkünden, dass drei Jugendliche aus dem Raum Niesky nicht für den Angriff auf das Asylbewerberheim in der Nieskyer Klenke-Straße verantwortlich sind, ist die Empörung bei manchem groß. „ Das Schlimme ist, dass Jugendliche und deren Eltern mit reingezogen worden sind, welche nichts mit der Tat zu tun hatten“, schreibt etwa Antje Schuster auf der Nieskyer Facebookseite der Sächsischen Zeitung. Die beiden jungen Männer, 15 und 19 Jahre alt, seien genau wie die 16-Jährige schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. „Ein Hohn überhaupt“, schreibt Antje Schuster. Es sei höchste Zeit, dass der Verdacht ausgeräumt werde.

Die Jugendlichen sind in der Tatnacht in einem Auto angehalten worden, das jenem ähnelt, das Zeugen zuvor beim Angriff auf das Asylbewerberheim gesehen haben. Das Trio streitet jedoch von Anfang an ab, für das Einschussloch in einer Außenscheibe des Asylbewerberheimes in der Klenke-Straße verantwortlich zu sein. Als die Ermittler später bei einer Hausdurchsuchung eine Softair-Waffe finden, steht dennoch der Verdacht im Raum, dass es sich dabei um die Tatwaffe handeln könnte.

Sind Staatsanwaltschaft und das Operative Abwehrzentrum zu schnell an die Öffentlichkeit gegangen? Sprecherin Anke Müller von der Polizei beschreibt das Vorgehen als normales Ermittlungsprozedere. „Ermittlungen haben das Ziel sowohl belastende, als aber auch entlastende Beweise zu erbringen. Bei den Jugendlichen konnten entlastende Tatsachen erbracht werden, die dazu führten, dass das Verfahren gegen sie eingestellt wurde“, erklärt sie. Um die Jugendlichen in der Region auch öffentlich zu rehabilitieren, seien die Medien deshalb im Oktober auf den aktuellen Stand des Verfahrens gebracht worden.

So ermitteln die Beamten nun auch nicht mehr wegen Totschlags. Denn die Waffe, aus der auf das Asylbewerberheim gefeuert worden ist, sei gemäß eines Gutachtens nicht geeignet, um die Scheibe ganz zu durchschlagen und einen Menschen tödlich zu verletzen. Um welche Tatwaffe es sich demnach handelt, beantworten die Ermittler auch auf Nachfrage nicht. Gleiches gilt für das am Tatort beobachtete Fluchtauto. „Bitte haben Sie Verständnis, dass aus laufenden Ermittlungsverfahren keine Auskünfte erteilt werden können, insbesondere nicht zu polizeilichen Maßnahmen“, teilt Anke Müller vom Operativen Abwehrzentrum der Polizei mit.

Bei Facebook nutzt mancher den Fall, um Flüchtlinge zu verdächtigen, für das Loch in der Außenscheibe des Asylbewerberheims in Niesky verantwortlich zu sein. Weil ein Projektil und Fakten fehlen, wird eifrig spekuliert. Im echten Leben verläuft die Integration der Nieskyer Flüchtlinge weitestgehend geräuschlos ab. So berichtet Jens Zschernig vom Jugendring Oberlausitz, dass der im August eröffnete interkulturelle Treffpunkt im Jugendzentrum Holz von den Nieskyer Asylbewerbern gut angenommen werde. Mittwochs und donnerstags treffen sich dort Nieskyer und Flüchtlinge, um miteinander Billard zu spielen oder zu kickern.

„Mittlerweile können viele Flüchtlinge auch ein wenig Deutsch“, sagt Jens Zschernig. Das Angebot, das noch bis zum Jahresende läuft, soll den Asylbewerbern helfen, die neue Sprache im Alltag anzuwenden. Der Mitarbeiter des Jugendrings beobachtet, dass viele Deutsch lernen wollen. Doch Sprachkurse werden in Niesky nicht von offizieller Seite angeboten. Stattdessen zeigen verschiedene Privatpersonen und Einrichtungen Eigeninitiative. So bietet der ehemalige Pfarrer Reinhard Müller montags und mittwochs ehrenamtlich Sprachkurse an. Schon seit Beginn des Jahres organisiert Katarina Seifert von der Diakonissenanstalt Emmaus ein Deutsch-Café, um dort Begegnungen von Nieskyern und Flüchtlingen zu ermöglichen.

„In Niesky ist viel gewachsen“, sagt Katarina Seifert. Es sind Freundschaften entstanden. Sie hilft Asylbewerbern auch mal bei Problemen mit Behörden oder dem Gang zum Arzt. „Wir wünschen uns, dass noch eine paar mehr Deutsche das Angebot annehmen“, sagt sie. Ab dem 14. November sollen die Treffen immer montags statt bisher dienstags stattfinden. Auch im interkulturellen Treffpunkt des Jugendrings Oberlausitz sind die gebürtigen Nieskyer noch in der Unterzahl, bestätigt Jens Zschernig. Das Projekt soll auch 2017 fortgeführt werden. Vorausgesetzt ein gestellter Förderantrag wird bewilligt.

Derzeit werden dem Landkreis etwa 60 Personen pro Monat neu zugewiesen. Perspektivisch sollen die vorgehaltenen Plätze auf 1 632 gesenkt werden. Noch sind aber rund 1 750 Asylsuchende im Landkreis Görlitz untergebracht. Weniger als ein Drittel davon sind Einzelpersonen. Dabei handelt es sich zumeist um Männer.