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Verzweifelte Arzt-Suche

Eine Familie zieht nach Görlitz. Vor allem die Oma muss medizinisch betreut werden, doch das scheint schier unmöglich.

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© nikolaischmidt.de

Von Daniela Pfeiffer

Von Görlitz hatten sie einen Spitzeneindruck. Beim Probewohnen von Kommwohnen hatten sie die Stadt kennengelernt und sich entschieden, Frankfurt am Main nach 20 Jahren den Rücken zu kehren, um in Görlitz zu leben. Mit Mann und Tochter, Mutter und Bruder mit Frau kam Janina Mikusinksa vor einem knappen Jahr an die Neiße. So weit, so schön.

Aber auch an einem neuen Wohnort braucht man medizinische Betreuung. Frauenarzt, Kinderarzt, Hausarzt. Vor allem Mutter Ursula Mikusinska brauchte dringend Hausarzt und Neurologen. Die 87-jährige war am alten Wohnort wegen Demenz und Depressionen bereits in neurologischer Behandlung. Ihre Unterbringung in einem Betreuten Wohnen in Görlitz war kein Problem, die Suche nach neuen Ärzten aber schon. Ein riesiges, wie sich mit der Zeit herausstellen sollte. Denn was Tochter Janina auch versuchte – es fand sich kein Hausarzt und schon gar kein Neurologe, der bereit war, die Mutter als Patientin aufzunehmen. Die Lage spitzte sich zu, als die Medikamente der alten Dame sich dem Ende entgegen neigten. „Ich habe zehn, zwölf Ärzte angerufen und allen erklärt, dass die Mutter unbedingt einen Arzt braucht“, erzählt Irina Mikusinska. Sie wollte direkt zu einem Neurologen, aber das ginge ohne Überweisung nicht, sagte man ihr. Dass sie dort ohnehin keinen Termin für die Mutter bekommen hätte, wusste sie da noch nicht. In der ganzen Stadt suchte sie also zunächst weiter nach einem Hausarzt, nahm die Mutter schließlich direkt mit, im Glauben, dann nicht abgewiesen zu werden. Und doch: überall Schulterzucken und Bedauern. Man sei voll, es würden keine neuen Patienten aufgenommen.

Das Problem haben freilich nicht nur Zugezogene. Auch die Görlitzer haben ihre liebe Not mit dem Ärztemangel, der laut Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) nicht dramatisch ist. In einer Görlitzer Facebookgruppe kam jüngst die Frage: Weiß jemand, welcher Allgemeinmediziner in Görlitz noch Patienten aufnimmt? Darauf erhält er viele Antworten, Tipps und Vorschläge, etliche Namen von Görlitzer Hausärzten fallen. Jedoch: Hinter jedem dieser „Versuche es doch mal bei ...“-Sätze kommt mindestens eine Gegenstimme dieser Art: „Brauchst Du nicht zu versuchen, die nehmen niemanden mehr.“

Janina Mikusinksa reichte es irgendwann. Dann werde sie sich ans Gesundheitsamt wenden, sagte sie, nachdem sie einmal mehr abgewiesen worden war. „Ich hatte den Eindruck, die Schwestern dort waren erleichtert, dass das mal jemand macht. Denn sie müssen die Patienten ja ständig abweisen. Das ist nicht leicht.“

Allerdings ist das Gesundheitsamt nicht zuständig, wie Amtsarzt Christoph Ziesch bestätigt. „Wir haben da keinerlei Befugnisse.“ Trotzdem möchte man die Menschen nicht im Regen stehen lassen und versucht zu helfen, wenn es geht. In erster Linie ist das der Verweis an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS). Indirekt hat auch Janina Mikusinska Kontakt zur KVS gehabt – ohne großen Erfolg.

Seitens der KVS heißt es, ein Service-Telefon für Bürger biete Patienten Hilfe bei der Suche nach einem Arzt oder Psychotherapeuten im ambulanten Bereich, Ärzte mit besonderen Qualifikationen und Behandlungsschwerpunkten werden genannt. Gibt es bereits eine Überweisung zu einem Facharzt, helfe die KVS, einen Termin zu bekommen. Aber voll ist eben voll. So sagt Dr. Dariusz Rosinski – jener Neurologe, bei dem Ursula Mikusinska nicht aufgenommen wurde: „Selbstverständlich bekommen wir von der KVS Anfragen zu freien Terminen.“ Frei würde aber eben nur etwas bei Absagen von Patienten, was äußerst selten vorkomme.

Neue Patienten können grundsätzlich nur aufgenommen werden, wenn andere weggezogen oder verstorben sind. Um die 15 bis 20 Patienten bemühen sich jede Woche um Neuaufnahme. Bevorzugt genommen werden Epilepsie-Patienten. „Denn wir sind die einzige Praxis, die über die entsprechende Diagnostik verfügt.“ Die Zahl von insgesamt etwa 6000 Patienten, die Dariusz Rosinski betreut, macht auch die Dramatik auf seiten der Mediziner deutlich. Viele Ärzte sind genauso unzufrieden mit der Situation wie die Patienten. „Ich bin selbst ratlos und erwarte Rat, wie ich die Patienten vertrösten soll, die ich nicht aufnehmen kann“, sagt der Neurologe. Vom großen Zeitaufwand für die Schwestern und die täglichen unendlichen, aber wenig weiterführenden Gespräche einmal ganz abgesehen. Um die Lage im Griff zu haben, gibt es ein strenges System: Patienten werden in unterschiedlichen Intervallen wiederbestellt – je nach Krankheitsbild, meistens aber in drei- oder sechsmonatigen Intervallen. Dazu kämen aber täglich ungeplante Stammpatienten, zum Beispiel, wenn bei ihnen eine Verschlechterung aufgetreten ist.

Patienten wie Ursula Mikusinska, die er abweisen muss, könne er leider keine Alternative empfehlen. Auch Kollegen haben keine Kapazitäten mehr, beim im April 2017 von der KVS neu zugelassenen Nervenarzt Dr. Zablocki seien die Kapazitäten für Neupatienten bereits nach zwei Monaten ausgeschöpft gewesen. Die immer ältere Bevölkerung, kontinuierlicher Zuzug von Rentnern und überlastete Hausärzte – das alles führe zur enormen Nachfrage.

Und dazu, dass auch für Ursula Mikusinska weitergesucht werden muss. Zumindest aber hat sie von Dr. Rosinksi ein Rezept für die dringenden Medikamente bekommen. Mit dem Hausarzt hatte sie mehr Glück: mit Hilfe wurde sie an Dr. Tietz auf der Jakobstraße vermittelt. Trotzdem schüttelt ihre Tochter über die Situation den Kopf. „Görlitz soll wachsen, man lockt Leute, hier zu leben. Aber sie brauchen medizinische Versorgung. Jeder hat Anspruch auf einen Arzt.“

Hier gibt es Hilfe

Servicenummern der KVS:

allgemein: Tel 0341 2349371, montags bis freitags, 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr, mittwochs, 14 bis 17 Uhr,

E-Mail: service(at)kvsachsen.de

Dringende Facharzttermine (bei vorhandener Überweisung):

Tel 0341 23493733 bzw. per E-Mail: terminvermittlung(at)kvsachsen.de

Suche auf der KVS-Website:

Unter www.kvs-sachsen.de finden Patienten die Rubrik „Suche nach Ärzten und Psychotherapeuten in Sachsen“.