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Versammlungsfreiheit gilt für alle

1 000 Rechtsextreme und doppelt so viele Gegner auf engstem Raum: Das kleine ostsächsische Ostritz steht vor einer Ausnahmesituation. Hätte das verhindert werden können?

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© picture alliance / Sebastian Haa

Von Theresa Hellwig und Ulrich Wolf

Bands, deren Lieder auf dem Index stehen. Martialische Kampfsportler beim „Kampf der Nibelungen“. Die ranghöchsten Politiker der NPD – sie alle werden beim nationalsozialistischen Festival „Schild und Schwert“, kurz SS, am kommenden Wochenende die Kleinstadt Ostritz im Landkreis Görlitz heimsuchen. Rund 1 000 Besucher werden erwartet; bis Mittwochmittag waren 711 Tickets verkauft. Den Rechtsextremen wollen sich etwa 2 000 Gegendemonstranten von der bürgerlichen Mitte bis hin zu Linksextremen entgegenstellen. Die Einwohner fürchten Krawalle. Fragen und Antworten zum hohen Gut der Versammlungsfreiheit.

Warum kann das SS-Festivalnicht einfach verboten werden?

Dafür müsste es „ganz besonders triftige Gründe geben“, sagt Christian Pestalozza. Der Ex-Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Freien Universität Berlin war Berater beim Entwurf des sächsischen Versammlungsgesetzes. Pestalozza betont, der Anmelder des Festivals, der Thüringer Neonazi Thorsten Heise, sei so clever gewesen, das Ganze als politische Versammlung angezeigt zu haben. „Und das Recht der Versammlung unterliegt in Deutschland einem besonders hohen Schutz.“ Das betone nicht nur Artikel acht des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit stehe darüber hinaus noch „im Dienst der Meinungsfreiheit“. Jeder Bürger, auch ein Nazi, dürfe sich in Deutschland friedlich versammeln, um sich eine Meinung zu bilden und mit anderen auszutauschen. Ebenso gelte das für den politischen Gegner. Der dürfe sogar in „Sicht- und Hörweite“ seine andere Meinung kundtun. Das unterscheide die Versammlung wesentlich von der Veranstaltung.

Welche Auflagen wird es geben?

Im sächsischen Versammlungsgesetz sind Waffen tabu, ebenso verfassungsfeindliche Symbole wie Hakenkreuze. Das Ordnungsamt des Landratsamtes Görlitz hat als Genehmigungsbehörde zudem Auflagenbescheide an die Veranstalter auferlegt. Demnach ist es den Besuchern untersagt, Fahnenstangen, bestimmte Hundearten, Flaschen, Gläser sowie Vermummungs- und Schutzbekleidung auf ihre jeweiligen Areale in Ostritz mitzunehmen. Die wohl schmerzhafteste Auflage für die Besucher ist ein geplantes Alkoholverbot. Insbesondere die Veranstalter des SS-Festivals planten, mit dem Verkauf auch alkoholischer Getränke die Finanzen der NPD aufzubessern.

Was ist der Unterschied zwischen Versammlung und Veranstaltung?

Das Ziel einer Versammlung ist es in der Regel, eine bestimmte Meinung im öffentlichen Diskurs zu bilden, zu vertreten und letztendlich auch durchzusetzen. Das Treffen muss deshalb öffentlich zugänglich sein, auch wenn das Areal in Privatbesitz ist wie in Ostritz. Konzerte oder Kinovorführungen zum reinen Vergnügen hingegen fallen nicht unter die Versammlungsfreiheit. Hier decken in der Regel die Erlöse aus dem Verkauf von Tickets die Kosten für Sicherheit, Organisation und Gagen.

Warum wird bei dem SS-Festival dennoch Eintritt verlangt?

Grundsätzlich müsse eine Versammlung zwar allgemein zugänglich sein, „nicht aber ohne jede Hürde“, sagt Rechtsexperte Pestalozza. Wichtig sei allerdings, dass es sich dabei lediglich um eine Kostenbeteiligung handele. „Es darf nicht das Ziel sein, Gewinn zu machen.“ Obwohl Programmpunkte wie der „Kampf der Nibelungen“ Veranstaltungen sind, haben die rechtsextremen Organisatoren das Festival als Versammlung deklariert. Nur so können sie den Eintrittspreis von 45 Euro für das gesamte Wochenende als Spende rechtfertigen. Der Görlitzer Polizeisprecher Thomas Knaup sagt dazu: „Am versammlungsrechtlichen Charakter des SS-Festivals ändert sich nach herrschender Rechtsprechung nichts, nur weil die Verantwortlichen Eintrittskarten verkaufen.“ Er verweist auf das Rechtsrock-Festival im vorigen Jahr im südthüringischen Themar, an dem gar 6 000 Neonazis teilnahmen. Auch dies ließ sich nicht verbieten. Die Wiederholung in diesem Jahr allerdings droht dort jedoch zu scheitern. Das zuständige Landratsamt in Hildburghausen entdeckte das Naturschutzgesetz: Der Lärm des Festivals störe die Brut seltener Vogelarten wie die des Blaukehlchens. Die Anmelder in Thüringen wollen gegen diesen Entscheid gerichtlich vorgehen. Das Landratsamt sowie die Polizeidirektion Görlitz hatten in Thüringen zuvor Rat gesucht.

Warum muss der Steuerzahlerden Polizeieinsatz bezahlen?

Die gesamte sächsische Bereitschaftspolizei wird im Einsatz sein, dazu Polizisten aus anderen Bundesländern sowie Bundes- und Wasserschutzpolizei. Jurist Pestalozza betont, der Schutz der Bürger sei eine staatliche Hoheitsaufgabe. Der Staat müsse dieser Aufgabe auch in Ostritz nachkommen und gleichzeitig die Ausübung der Grundrechte garantieren. Das seien Demokratiekosten. Würden die Versammlungsteilnehmer selbst zahlen müssen, käme das „einem Instrument der Abschreckung“ gleich. Die Möglichkeit der Meinungsbildung wäre immens eingeschränkt. Der Görlitzer Polizeipräsident Torsten Schultze betont, bei der Durchsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit müsse sich die Polizei neutral verhalten.

Wie wird für die Sicherheitder Ostritzer gesorgt?

Die Polizeidirektion Görlitz, die den Einsatz am Wochenende leitet, will „an jeder Ecke in Ostritz präsent sein“. Verkehrskontrollen auf der Bundesstraße 99, Polizeigitter zwischen den politischen Lagern, Patrouillen in den Zügen der Strecken Bischofswerda-Görlitz sowie Görlitz-Zittau, Polizeischlauchboote auf der Neiße, Teamwork mit der polnischen Polizei, ein Bürgertelefon, unentwegte Kommunikation über soziale Medien – die Polizei will nichts dem Zufall überlassen. Sie wird nach SZ-Informationen mit etwa 1 100 Kräften im Dreischichtsystem im Einsatz sein. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow verspricht: „Die Justiz ist vorbereitet.“ Straftäter würden „entschlossen verfolgt“. Zudem sei die Zentralstelle Extremismus Sachsen eingebunden, von der Staatsanwaltschaft Görlitz stünden drei Staatsanwälte in Bereitschaft. Auch das Amtsgericht Görlitz habe einen Bereitschaftsrichter im Einsatz.

Wer haftet für Schäden,etwa an Autos und Häusern?

In der Regel haftet derjenige, der den Schaden verursacht hat. Das ist gerade in Krawallsituationen jedoch schwer nachzuweisen, zumal in Ostritz keine Videokameras hängen. Die Stadt betont ausdrücklich, dass Autobesitzer, die ihre Fahrzeuge außerhalb des Zentrums auf extra ausgewiesene Parkplätze abstellen müssen, keinen Anspruch auf Schadenersatz haben. Bei Zerstörungen an Gebäuden sollte geprüft werden, ob man gegen Vandalismus-Schäden versichert ist. „Manchmal kann allerdings auch der Staat haften“, erklärt Pestalozza. Etwa wenn die Veranstaltung nicht hinreichend abgesichert gewesen sei, „der Staat also seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt hat“. Das nachzuweisen, ist allerdings auch schwierig.