Merken

US-Geheimpapiere nennen Großenhain als Atombomben-Ziel

Hätten die USA einen Krieg gegen den Ostblock geführt, wäre auch die Röderstadt im Visier der Bomber gewesen.

Teilen
Folgen
© privat

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Es lag wohl an den Weihnachtsfeiertagen, dass eine internationale Sensationsmeldung kaum für Aufsehen sorgte: Jetzt wurden Geheimpapiere der US-Behörden öffentlich, nach denen Ziele in Mittel- und Osteuropa während des Kalten Krieges mit Atomwaffen angegriffen werden sollten. Demnach hätte Ende der 50er Jahre auch eine Atombombe auf den Großenhainer Flugplatz abgeworfen werden können. „Das Gebiet der ehemaligen DDR wäre massiv betroffen gewesen. Neben Berlin waren auch Leipzig, Erfurt und Altenburg als Ziele für US-Bomber vorgesehen“, heißt es in der Nachricht. Dresden wäre allerdings nicht vorrangig Ziel gewesen.

Großenhain kam durch seine sowjetische Garnison auf die Liste, die über 1000 Ziele aufführt. „Allein in Ost-Berlin hatte das Strategic Air Command – die zuständige Teilstreitkraft – 91 Ziele ausgemacht“, so die Meldung. Die Papiere von 1956 offenbaren Pläne, wie die USA im Jahr 1959 einen Krieg gegen die Sowjetunion und die Ostblockstaaten geführt hätten. Zugänglich gemacht wurde das bislang als topsecret eingestufte 800-Seiten-Dokument durch Forscher der George-Washington-University um den Historiker William Burr im Rahmen des National Security Archives.

Aus den Unterlagen geht hervor, dass sich die Strategie der US-Streitkräfte an den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges orientierte. Zuerst sollte demnach die Luftwaffe des Gegners zerstört werden: durch Angriffe mit Atombomben auf Flughäfen und Fliegerhorste. Hochrangige militärische Ziele lagen in Mitteldeutschland demnach nicht nur in Großenhain, sondern unter anderem auch in Erfurt, Bautzen, Merseburg, Dessau, Altenburg.

Große Bevölkerungszentren anvisiert

Industrieanlagen, Bahnhöfe und ähnliche Infrastruktur waren dagegen Ziele mit niedrigerer Priorität. Auch die Bevölkerung an sich galt als probates Ziel. Vor allem in Berlin, aber auch in Leipzig – auch wegen seiner Industrie und als Verkehrsknotenpunkt bedeutsam. Historiker Burr sagte der New York Times, es sei verstörend, dass große Bevölkerungszentren anvisiert wurden. Ziel sei die Abschreckung des Gegners gewesen, so Matthew McKinzie, Direktor einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation, die sich mit Atomwaffen befasst. Im Kriegsfall wären US-Bomber die größten Städte angeflogen, hätten während des Anflugs alle auf dem Weg liegenden Ziele mit Nuklearwaffen bombardiert.

Historiker Burr hatte die Anfrage nach den Regierungsdokumenten bereits 2006 gestellt. Erst neun Jahre später gab das US-Militär die Liste frei. Welche Anlagen und Einrichtungen in den jeweiligen Städten konkret angegriffen werden sollten – außer den Militärflugplätzen – ist nicht bekannt. Dies ist noch unter Verschluss.

Für den Großenhainer Flugplatzkenner Marcel Reichel ist die Nachricht allerdings keine Neuigkeit. „Dass diese Dokumente jetzt öffentlich werden, hängt mit der abgelaufenen Sperrfrist zusammen“, weiß Reichel. In dem Falle sind das 60 Jahre. Doch die Anfrage der Historiker sei ein Glücksfall. Sonst wären die Daten vielleicht nicht publiziert worden. Auch in russischen Archiven liegen nach Reichels Ansicht Dokumente, die Auskunft über geplante sowjetische Gegenmaßnahmen geben könnten. Doch dazu ist eine Auskunft in nächster Zukunft unwahrscheinlich.

›› Download der Dokumente (pdf)