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Unter Verdacht

Ein Kemnitzer tankt in Polen, zahlt mit Karte und wird plötzlich des Tankbetrugs beschuldigt.

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© Bernd Gärtner

Von Anja Beutler

Wenn Jürgen Schilling dieser Tage nach Polen zum Tanken fährt, hat er immer Bargeld dabei. Denn mit seiner Girokarte zu bezahlen, das getraut sich der Kemnitzer, der im Ortsteil Lehdehäuser wohnt, nun nicht mehr. Als Tankbetrüger ist er bezeichnet worden. Ein Anwalts-Brief flatterte ihm ins Haus – und damit einige Unruhe. Schuldig fühlt sich Schilling allerdings nicht – sondern als Opfer eines Missverständnisses.

Was ist passiert? Jürgen Schilling fährt am 14. März mit seiner Tochter über Hagenwerder nach Radomierzyce zum Tanken. Er kommt regelmäßig, etwa alle zwei Wochen, um den Tank aufzufüllen. Zusammen mit einer Stange Zigaretten stehen an diesem Abend rund 92 Euro auf seiner Rechnung. Er gibt – wie immer – seine Karte an die Kassiererin. „Die junge Dame war neu, keine der Kassiererinnen, die ich schon kannte“, erinnert er sich. Das Bezahlen verläuft wie immer, Schilling gibt die Geheimzahlen ein, erhält zwei Kassenzettel, grüßt und verlässt die Tankstelle. „Niemand hat mich aufhalten wollen“, sagt er.

Als er zwei Wochen später wieder an der Kasse der Tankstelle steht, berichtet ihm eine Kassiererin aus dem Stammpersonal, dass das mit der Karte letztens nicht geklappt habe. Sie bittet ihn, das Geld zu bezahlen. „Ich habe mich darauf eingelassen, obwohl ich nicht prüfen konnte, ob das auch stimmt“, sagt er. Zu Hause schaute er auf die Kontoauszüge und stellte fest, dass der Betrag tatsächlich nicht abgebucht worden war. „Ich habe gedacht, das ist ja nun erledigt“, sagt Schilling. War es aber nicht. Denn anderthalb Wochen später flatterte ein Brief des Görlitzer Anwalts Martin Pfnür in seinen Briefkasten. Jürgen Schilling wird darin des Tankbetruges beschuldigt. Zusätzlich zu der 92-Euro-Rechnung soll er auch noch 70,20 Euro Anwaltskosten zahlen.

Dass er die Tankrechnung schon beglichen hat, ist schnell bewiesen. Aber die Anwaltskosten soll er trotzdem überweisen. „Ich hab doch aber gar nichts gemacht und auch keinen Anwalt bestellt“, ärgert er sich. Rein rechtlich gesehen, muss er das auch nicht, betont Torsten Mengel. Der Zittauer Jurist ist Experte für Verkehrsrecht und betont, dass er nur dann auch die Anwaltskosten tragen muss, wenn er tatsächlich vorsätzlich die Zeche geprellt oder gewusst hätte, dass die Karte nicht funktioniert. Bezahlen müsste der Kemnitzer auch, wenn er von der Tankstelle vor dem Brief des Anwalts eine Mahnung erhält, den Zahlungstermin aber verstreichen lässt. Gleich den Anwalt einzuschalten und Kosten in Rechnung zu stellen, funktioniere hingegen nicht, ordnet Mengel grundsätzlich ein. In den Augen von Martin Pfnür sieht die Sache ganz anders aus. Der Görlitzer Anwalt der Kanzlei Balduin Pfnür ist seit Langem mit deutsch-polnischen Fällen befasst. Gerade auch mit Tankbetrug. Pfnür beschreibt, dass Tankbetrug in den vergangenen Jahren ein Massenphänomen geworden sei und vor allem auch Deutsche glauben, sich in Polen im rechtsfreien Raum zu befinden. Sogar das Nachrichtenmagazin Spiegel habe jüngst darüber berichtet, verweist der Anwalt. In Polen aber werden solche Fälle zivil- und strafrechtlich konsequent verfolgt, erklärt Pfnür.

Konsequent verfolgen – das war auch das Ziel beim Fall von Jürgen Schilling. Denn der polnische Tankstellenbesitzer hat seinem Anwalt die Sache ganz anders geschildert: Demnach sei Herr Schilling von der Kassiererin – die ihn keineswegs als Stammkunden erkannt haben will – darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Kreditkarte nicht belastet werden konnte. Kassenbons habe er deshalb auch nicht erhalten, es sei also keineswegs alles „wie immer“ gewesen, schildert der Anwalt. Als der deutsche Kunde zu seinem Auto gegangen sei, habe die polnische Kassiererin gedacht, er wolle Geld zum Bezahlen holen. Da er aber losgefahren ist, sei das Tankbetrug – und das Einschalten eines Rechtsanwaltes logisch.

Damit steht Aussage gegen Aussage. Jeder beharrt auf seiner Version. Weil Schilling aber tatsächlich beim nächsten Tankstellenbesuch sofort die alte Tankrechnung beglichen hat, hat der polnische Tankstellenbesitzer nun eingelenkt: „Unser Mandant sieht in diesem Einzelfall aus Kulanz von einer weiteren zivil- und strafrechtlichen Verfolgung ab und übernimmt sogar die entstandenen Anwalts- und Halteranfragekosten“, schreibt Martin Pfnür. Damit sei der Fall nun aus Sicht des Anwalts abgeschlossen.